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Illusion und Wirklichkeit

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KARASEK: Es herrscht oft ein Streit darüber, ob man mit Hecht die Funktion Österreichs als eine Brük-kenfunktion zwischen Ost und West bezeichnen soll. Ich weiß, daß der frühere Außenminister Dr. Kreisky fast einen roten Kopf bekommen hat, wenn man Österreich als eine Brücke bezeichnet hat. Er hat das als etwas Anachronistisches empfunden und Österreich als einen Katalysator bezeichnet, der daziu baithrägt, gewisse Entwicklungen zu beschleunigen oder zu retardieren. Ich betrachte dies als einen Streit, der um Metaphern geht. Wichtig ist vielmehr die Frage nach der Punktion des* Landes, wie immer man sie bildlich umschreiben wil. Um diese Funktion zu bestimmen, kann man doch von drei Fakten ausgehen:

1. Die geopolitische Lage Österreichs. Österreich war und ist eine Drehscheibe durch Jahrhunderte einströmender Ideen und einströmender Leute.

2. Das historische Faktum. Jeder, der über Ostpolitik spricht, beschwört das Bild, daß wir durch Jahrhuniderte mit anderen Völkern ein gemeinsames Haus bewohnt haben. Wir sind mit tausend Fäden mit diesem östlichen Raum verbunden, noch heute bestehen menschliche Verflechtungen in diesen Raum.

3. Der politische Faktor. Daß Österreich ein neutrales Land ist, erlaubt dem Land, gewisse Dinge zu tun, die dem Land verwehrt wären, wenn es in einer Großmachtpolitik eingekapselt wäre, wenn s es Annex einer Gruppierung oder einer militärischen Allianz wäre. Ich betone hier ausdrücklich, daß ich diese Neutralität keineswegs im ideologischen Sinn aufgefaßt wissen will. Die eigene Position nützt jedoch nicht viel, wenn einem die weltpolitische Konstellation nicht erlaubt, ins Spiel zu kommen.

Erst der Prozeß, der ab 1955 Innerhalb der beiden Weltsysteme eingesetzt hat, hat uns gewisse Hoffnungen gemacht, mit subtileren Mitteln Außenpolitik zu machen.

Keine echte neue Linie

GATTERER: Bis zur Regierung Klaus I war das Hauptziel der Ostpolitik die Sanierung der Verhältnisse. Das war sicher ein außenpolitisches Konzept gegenüber den Nachbarstaaten; das einzige Land, mit dem wir sie nicht saniert haben, ist die CSSR aus Gründen, die vielfältig gelagert sind und sicher nicht allein in der Schuld von Prag liegen. Wir haben diesen Staaten gegenüber meiner Ansicht

nach noch keine echte neue Linie gefunden; wir täuschen durch viel Aktivität vielfach Außenpolitik vor. Unsere Politik gegenüber Moskau halte ich im allgemeinen für positiver als gegenüber den anderen Ostblockstaaten. Wir sind ein kleines Land, ein neutralles Land, das die Pflicht hat, sich selber die Wahrheit zu sagen und den anderen die Wahrheit über uns und unsere Außenpolitik zu sagen. Daß wir den vier Signatarstaaten des Staatsvertrages gegenüber eine besonders ehrliche und gründliche Unterrichtung betreiben müssen, ergibt sich von selbst. Deshalb halte ich es für sehr richtig, daß wir Moskau immer wieder besucht haben, mit ihm im Gespräch sind, es über unsere Ansichten informiert haben. Ich kann allerdings

sagen, daß ich von allem Anfang an sehr dagegen war, gewissermaßen mit dem Kopf durch die Kremlmauer nach Brüssel zu gelangen.

Ich möchte dem österreichischen Volk bescheinigen, ein gutes außenpolitisches Gespür, aber kein außenpolitisches Talent zu haben. Das ist ein Unterschied. Was mir immer wieder auffällt ist, daß die österreichische Politik im unmittelbar osteuropäischen Raum und im Balkanraum an gewissermaßen innenpolitischen Belastungen leidet. Man betrachtet Kroatien, Ungarn, die Tschechoslowakei als zu uns gehörig, man beurteilt die Verhältnisse dort, als säßen wir noch im vorgestrigen Österreich.

Und hier muß ich auch die Universitäten anklagen. Ich habe immer wieder festgestellt, daß man in Akademikerkreisen einen Horror davor hat, sich mit Kommunisten zu unterhalten, oder mit Leuten aus kommunistischen Ländern; ganz einfach,

weil man sich terminologisch oder sonstwie nicht für fähig hält, mit ihnen zu reden.

Kein Verständnis

KARASEK: Bundeskanzler Klaus hat im Oktober 1963 eine Rede zum Thema: „Österreich — Grenze oder Naht?“ in München gehalten, in der das Konzept der österreichischen Ostpolitik, das das Kabinett Klaus I entwickelte, in sehr klaren Worten niedergeiegit wurde.

Ein knappes Jahr später hat der Bundeskanzler in Straßburg ein weiteres sehr eindeutiges Bekenntnis zu dieser Ostpolitik abgelegt; zwei Reden, die man als die Dokumente der Ostpolitik des Kabinetts Klaus I bezeichnen könnte.

Außenpolitik — dafür wäre kein Verständnis in Österreich vorhanden, wird behauptet. Ich muß es auch sagen, außer einigen wenigen Journalisten, die auf gute Barrikaden gehen, findet man wenig Verständnis. Es ist traurig, das muß ich an die Adresse des Parlamentes sagen, daß die ÖVP keinen profilierten außenpolitischen Sprecher im Parlament hat. Was immer ein Abgeordneter dazu sagt, und die Herren Abgeordneten sind ehrenwert, so möchte man meinen, es sind Leute, die über irgend etwas reden, was sie nie gelernt haben. Es äst eher ein desaströser Eindruck, wenn man da jemanden reden hört. Und das hängt, glaube ich, damit zusammen, daß Außenpolitik in Österreich, wenn man sich damit beschäftigt, innerparteilMch kein Gewicht hat. Man wird nicht Nationalratsabge-oridneter, man wird nicht Minister, man wird nicht — ich weiß nicht sonstwas —, wenn man sich nur mit der Außenpolitik beschäftigt, denn das ist den Leuten uninteressant.

Ich bin auch der Meinung, selbst wenn es keine Integrationsfrage gäbe, müßte es eine österreichische Ostpolitik geben; schon aus diesem Grund kann dies nicht Motiv einer Ostpolitik sein. Es ist ein wesentliches Element österreichischer Außenpolitik, wann immer sie getrieben wird und uniter welcher Regierung immer, Klaus I, Klaus II oder III oder unter eäneni anderen Bundeskanzler, das außenpolitische Interesse Moskaus am Status quo Österreichs wachzuhalten und aufrechtzuerhalten. Ein neutraler Staat macht ja nicht nur Politik um der eigenen Neutralität willen. '

Ich bin im State Department gefragt worden: „Was glauben Sie werden die Russen machen, wenn Österreich unter1 Hinwegsetzen aller Bedenken doch der EWG beitritt und wenn es die Linie des Jahres 1955 verläßt?“ Darauf habe ich gesagt: „Wollen wir nicht die Frage mit dem Einmarschieren der Truppen aufwerfen, das wäre zu naiv und zu plump; aber glauben Sie, daß Österreich in der Grenzlage und in der Situation, in der es ist, es aushalten würde, jahrelang in einem Spannungszustand mit Moskau zu leben, angesichts der Größenverhältnisse, angesichts des Eides der westliehen Mächte, Österreich in einem solchen Fall politisch zu Hilfe zu kommen?

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