Ich wurde um einen Aufsatz über die polnische katholische Presse nach unserem „Frühling" im Oktober gebeten. Die folgenden Darlegungen entsprechen nicht genau dem gestellten Thema. Ich werde auch nicht den jetzigen Stand unserer katholischen Presse beschreiben, noch werde ich über ihre Arbeit berichten. Die katholische Presse in Polen ist aus verschiedenen, von uns unabhängigen Gründen ziffernmäßig nicht stark, doch wird sie, gebe es Gott, größer werden. Anstatt unsere kleinen Positionen zu beschreiben, will ich lieber über Aufgaben und Pflichten sprechen.
Diese Aufgaben teile ich in zwei deutlich verschiedene Kategorien ein. Es sind dies, wenn ich mich so ausdrücken darf, grundsätzliche und transzendentale Aufgaben, deren Durchführung immer und überall Pflicht der Katholiken ist, sowie ganz unbestimmte Aufgaben, die mit der besonderen sozialen Lage Zusammenhängen und uns vor allem als Polen und Landesbürger auferlegt sind. Im täglichen Leben verschmelzen sich selbstverständlich diese beiden Kategorien,
denn als Katholik bin ich auch Pole und als Pole — Katholik.
Polen ist ein seltsames Land. Ein tragisches Land. Vor dem Krieg waren wir zwischen zwei mächtigen ideologischen Blöcken eingezwängt, alle beide dem Christentum ganz fremd. Während des Krieges geschahen in unserer Heimat schreckliche Dinge, von denen andere Völker keine Ahnung hatten und auch heute noch nicht haben. Es gibt in Polen eine Ortschaft, die zum Sinnbild dessen, was wir erleben mußten, wurde. Diese Ortschaft heißt Auschwitz, auf Polnisch Ošwięcim. Ich rate es jedem, diesen Ort zu besuchen. Man sieht dort ganze Baracken voll Spielzeug und Schuhen jener Millionen Kinder, die in Gaskammern getötet und in Krematorien auf dem Gelände des Auschwitzer Lagers verbrannt wurden. Wir, die wir Zeugen dieser Greueltaten waren, empfinden die Verantwortung dafür, daß ähnliche Ereignisse sich niemals mehr wiederholen. Und das bestimmt das Ausmaß unserer Pflichten.
Wenn wir die Pflichten nach dem Maß der Aufgaben richten, so werden sie bestimmt das menschliche Maß übersteigen. Aber das ist wohl für die katholische Haltung natürlich. Die Menschen sollten ihren Pflichten gewachsen sein, sollten im Kampf um die Durchführung übergeordneter Ziele sich selbst übersteigen.
Was ist zu tun, damit es keine Rückkehr zu Zeiten gebe, wie wir sie damals erlebt haben?
Der große Sohn des deutschen Volkes K. W. Förster hat einmal gesagt, daß die Politik eine Kunst der Ueberbrückung von meinem eigenen Ich zu einem anderen Ich sein sollte, von einem Selbstbewußtsein zu einem anderen, sowie der Ueberbrückung zwischen Völkern und sozialen Gruppen. Wir sind mit Förster darin einig, daß dies eine Politik im christlichen Geist ist. Ihr Ziel muß eine Brüderschaft zwischen
Menschen und eine Brüderschaft zwischen Völkern sein.
Ich habe an die Gestalt K. W. Försters erinnert, die in Polen und wohl auch in der ganzen christlichen Welt, sehr gut bekannt ist, eine Gestalt, die in einem gewissen Sinne tragisch ist. Seine Tragik beruhte auf einer zielbewußten Vereinsamung und auf der Hoffnungslosigkeit seines Kampfes, den er mit seinen Zeitgenossen focht, indem er die Welt vor der furchtbaren Gefahr des Nationalismus warnte. Seine Stimme wurde nicht gehört, ähnlich wie die weisen Warnungen Pius' XI. nicht gehört wurden, als er den „integralen" Nationalismus der „Action Franęaise“ und später in der Enzyklika „Mit brennender Sorge" den Hitlerischen Nationalismus verurteilte.
Lieber dem Eingangstor in Auschwitz steht die Parole: „Arbeit macht frei“. Eine lügenhafte Lieberschrift, denn es war kein Arbeitslager, sondern ein Vernichtungslager, und das Eingangstor war das Tor zum Tod. Es sollte dort viel eher heißen: „I nsciate ogni speranza", und vielleicht noch u.zu: „Consummatum est": Es wurde vollbracht, was vom Nationalismus vor bereitet wurde und wohin er führte. Millionen von Kinderschuhen, welche von in Krematorien verbrannten Kindern hinterlassen wurden, Baracken voll von Haaren, welche in Gaskammern geführten Frauen abgeschnitten wurden, sind ein Denkmal des Nationalismus.
In Anbetracht dieser furchtbaren Hinterlassenschaft der Vergangenheit verstehen wir das Gewicht des Appells, mit dem Förster zum Bau von Brücken von „Ich“ zu „Ich“ und von Volk zu Volk aufrief. Das ist die große Aufgabe der katholischen Presse. Diese Aufgabe wird von uns in Angriff genommen. Aber das ist nicht alles.
Es soll hier nicht eingehend über Programme die Rede sein. Notwendigerweise müssen wir uns hier auf grundsätzliche Voraussetzungen beschränken. Ein positives Programm und ein
transzendentales Programm, das alle Katholiken der Welt vereinigen sollte, bildet ein gemeinsames Programm zur Verwirklichung des christlichen Humanismus. Das muß ein konkretes Programm sein.
Ich weiß nicht, wie es damit anderswo steht, aber in Polen sind die Menschen für große Worte unempfindlich. Selbst stichfeste Schlagworte werden keinen Erfolg haben, wenn sie in allgemein gehaltener Form dargebracht werden. Dies sollte die Presse im Gedächtnis behalten und
sich nur an Konkretes halten. Deshalb sollte auch das Ideal des christlichen Humanismus in konkrete Sprache übersetzt werden. Es genügt nicht, ganz allgemein von christlicher Kultur, Liebe, Gerechtigkeit usw. zu sprechen. Es soll gezeigt werden, worauf das alles im Leben beruht, wie es in der Praxis des Alltags durchgeführt wird.
Solange wir ganz allgemein sprechen, scheint alles einfach und leicht zu sein, aber wenn wir in das Dickicht des Lebens eindringen, stehen wir sofort brennenden, immer mehr anschwellenden Problemen gegenüber, von denen wir nicht immer wissen, wie sie zu lösen sind. Es ist unbestreitbar, daß die Schlüsselprobleme des christlichen Humanismus Gnade, Askese, Mystik, Verstand und Glaube, Autorität und Freiheit, Liebe usw. sind. Jedes von diesen großen Worten öffnet einen wahren Abgrund der Problematik.
Die Askese zum Beispiel. Die Menschen verstehen sie nicht, das Wort hat den schlechtesten Ruf. Das kommt davon, daß Bücher in der Art des berühmten kleinen Werkes Thomas a Kempis für die Menschen von heute unverständlich sind. Dieses Wort erweckt also einen Widerspruch, und die Menschen verstehen nicht, daß es sich um die grundsätzliche und schönste schöpferische Kraft unseres Lebens handelt, Es soll an Beispielen konkreter Art die ganze Schönheit, Einfachheit und Notwendigkeit der Askese gezeigt werden. Es soll gezeigt werden, daß Askese nicht Selbstvernichtung bedeutet, sondern im Gegenteil, ein „epanouissement“ (Entfaltung) der menschlichen Natur ist. Askese stellt ein Opfer niedrigerer Werte zugunsten höherer dar, eine Ueberwindung jener inneren Hemmungen, welche die Machtlosigkeit der menschlichen Natur der Wirkung der Gnade entgegenzustellen versucht: Askese ist eine notwendige Selbsteinschränkung, damit die Gnade uns durchdringen könne. Wenn wir darauf unser Augenmerk richten, können wir uns zum Begriff der humanistischen Askese durcharbeiten.
Noch ein Beispiel: Die Demut. Selten hat irgendein Wort einen so schlechten Ruf wie dieses. Gewöhnlich pflegt man darunter eine Art von Schüchternheit oder Mangel an Selbstbehauptung zu verstehen, der Begriff wird mißtrauisch und beinahe mit Verachtung behandelt. Der wahre und authentische Sinn dieses Wortes wird sogar in vielen intellektuellen katholischen Kreisen nicht in seiner ganzen Tiefe und Wichtigkeit begriffen. In seinem ausgezeichneten Buch „Verteidigung des Unsinns" beschreibt Chesterton die Demut auf folgende Weise: Wenn ich auf kleine Käfer, die sich im Gras bewegen, schaue, erblicke ich darin ein großes Wunder der Natur, bestaune tuid preise dieses Wunder, bin demütig. Welch großer, intellektueller und erzieherischer Arbeit bedarf es, um diese Dinge den Menschen zu erklären und sie in der Welt menschlicher Begriffe zu ordnen!
Diese Beispiele deuten uns an, worum es sich handelt. Diese ungeheure intellektuelle Arbeit, dieses Durchdenken der konkreten Probleme der Kultur, das ist eben der rechte Weg zum christlichen Humanismus. Und das ist die wichtigste und die transzendentale Aufgabe der katholischen Presse und somit auch der polnischen katholischen Presse. Wir sind uns dieser Aufgabe bewußt. Und wir betrachten es als unsere Pflicht, dieser Aufforderung gerecht zu werden.
Es gibt noch andere Aufgaben. Aufgaben, die
— wie ich es bereits gesagt habe — uns anheimfallen, nicht so sehr als Katholiken, als vielmehr als Polen. Aber wir bleiben doch immer Katholiken, also, wenn wir diese Aufgaben lösen, müssen wir das als Katholiken tun. Das sind schlechterdings Angelegenheiten unseres Volkes und unseres Staates. Bei uns in Polen sind diese Dinge ganz besonders schwierig und verwickelt.
Als schwaches Land mußten wir in den vergangenen Jahrhunderten öfter fremden Mächten unterliegen. Die Tragik der modernen polnischen Geschichte beruht auf einer riesigen Diskrepanz des menschlichen und materiellen Faktors. Den großen geistigen Kräften und geistigen Aufflügen entspricht nicht die materielle Stärke. Daraus entspringen solche tragische Abschnitte unserer Geschichte, wie der Aufstand in den Jahren 1830 31, der Aufstand von 1863, der Krieg in den Jahren 1939 45, der Warschauer Aufstand vom Jahre 1944. Doch das Volk erfaßte den Sinn der historischen Lehre, es nahm zur Kenntnis, daß so oft große geistige Kräfte schlecht angewandt worden sind. So zum Beispiel ehrt man die Helden des Warschauer Aufstandes, aber das polnische Volk versteht wohl, daß in der Lage, die im August 1944 in Warschau herrschte, der Entschluß zum Aufstand ein Irrtum war. Gott sei Dank, die tragischen Erfahrungen der neuesten Geschichte waren nicht umsonst. Hier ist auch die Erklärung dafür zu sehen, daß die politische Vernunft jetzt im polnischen Volk so hoch geschätzt wird und daß die polnische Führung, die sich einmal als klug und geschickt erwiesen hat, sich nunmehr des Vertrauens des polnischen Volkes erfreuen kann.
Doch ist unsere Lage ungemein schwierig. Unser Volk ist gegenwärtig ganz außergewöhnlich einig, es will in Eintracht zur Festigung der Demokratie und Freiheit schreiten. In unserer Lage ist dieser Weg nicht leicht. Das muß offen gesagt werden. Weder üben die Katholiken die Macht im Lande aus, noch haben sie einen Einfluß auf die Führung. Polen wird von der kommunistischen Partei regiert, die ihre Macht im Namen der proletarischen Diktatur ausübt. Dieser Tatbestand entlastet die Bürger jedoch nicht von politischer Verantwortung. Die poli-
tische Lage wird nicht bloß von der Regierung, sondern von der ganzen Gemeinschaft geschaffen. Die eine oder andere Haltung des Volkes kann des öfteren über das Schicksal des Landes bestimmen. In diesem Sinn fällt die politische Verantwortung auf die Schultern aller polnischen Katholiken und in erster Linie auf die polnische katholische Presse. Im Oktober 1956 haben wir mit vollem Bewußtsein die Partei der Demokratie und der Reformen gegen die Stalinisten, welche die freie Stimme des Volkes unterdrücken wollten, unterstützt. Aus demselben Grunde haben wir im Jänner 1957 die Wahlen unterstützt und einige unserer Vertreter auf die Wahlliste gesetzt. Dank dieses Entschlusses haben wir gegenwärtig im Abgeordnetenhaus einen kleinen Klub katholischer Abgeordneter. Dieser Klub hat keinen Anspruch, an der Regierung teilzunehmen, seine Aufgabe beschränkt sich darauf, die Stimme der unabhängigen katholischen Meinung im Abgeordnetenhaus zu sein. Vor dem Oktober war sogar eine so bescheidene Vertretung der Katholiken im Abgeordnetenhaus undenkbar. In den Zeiten, in welchen im öffentlichen Leben alle Normen des moralischen Rechtes kraß vergewaltigt wurden, mußte unsere Haltung eine Haltung der Verneinung sein, deshalb konnten wir auch nicht unsere Vertreter in das Abgeordnetenhaus entsenden. Alles das wurde nach dem Oktober anders.
Es gibt Leute, die unsere jetzige Haltung kritisieren und uns verübeln, daß wir überhaupt, gleichgültig in welcher Form, eine politische Verantwortung auf uns zu nehmen bereit sind. Sie sind der Ansicht, daß in unserer Lage alle Katholiken vollständig apolitisch sein sollten, und behaupten des weiteren, daß diese unsere
konkreten sozialen Aufgaben, ja selbst die politischen, im Gegensatz zu unseren weitreichenden, grundsätzlichen Aufgaben, die wir oben geschildert haben, stehen. Diese Kritik wird von uns ganz entschieden zurückgewiesen.
Unseren Kritikern antworten wir ganz einfach: Dürfen wir uns fernhalten, wenn das Wohl unseres Volkes unsere Anwesenheit und unser Eingreifen fordert? Es gibt doch kein Gebiet des Lebens, das in sich selbst „unrein" wäre. Auch die Politik ist nicht „unrein". Es ist wahr, daß sie ein riskantes und schwieriges Gebiet darstellt, aber manchmal ist das Inangriffnehmen dieses Wagnisses eine Gewissensfrage. Die politische Tätigkeit kann schlecht oder gut sein, je nachdem, was man für ein Ziel verfolgt und wie man es verfolgt. Manchmal muß man den schwierigsten Weg wählen, politisch vorgehen, ohne daß es den weitreichenden Zielen der Kirche Nachteil brächte. Es steht also vor uns eine ungeheuer wichtige Aufgabe: Man muß weitreichende und transzendentale Ziele sowie konkrete sozial-völkische Aufgaben miteinander in Einklang bringen. Und eine Lösung muß gefunden werden. Der Mensch muß sich auf jenen Posten begeben, auf dem er von Nutzen ist. Würden wir uns von unseren patriotischen Pflichten fernhalten, in der Meinung, daß wir der Sache des christlichen Humanismus auf diese Weise besser dienen, dann würden wir in einen furchtbaren Pharisäismus stürzen.
Es wundert uns jedoch nicht, daß es Menschen gibt, die uns vor der Politik warnen. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit waren nicht ermutigend. Wer sich in die Politik begibt, muß daran denken, wie sehr dieses Gebiet „erblich belastet" jst. Deshalb muß sich auch
jede Aktivität in der Politik mit der Arbeit an der moralischen Erneuerung der Methoden verbinden. Auch politische Tätigkeit muß der Wahrheit Zeugnis geben. Es gibt also für einen Katholiken keine politische Arbeit ohne gleichzeitige Arbeit an der moralischen Erneuerung der Politik.
Der Machiavellismus sagte: das Ziel heiligt die Mittel. Eine für Politiker sehr bequeme und verführerische These. Dieser Versuchung darf der Katholik nicht nachgeben. Für ihn muß der politische Weg schwierig sein, da er auf Schritt und Tritt von Imponderabilien umstellt ist. Da der Katholik absolute Werte anerkennt, weiß er wohl, daß er sie um keinen Preis und um keines Zieles wegen vergewaltigen darf. Seine politische Arbeit soll diese Werte nicht bloß hochachten, sie muß sie sogar ausdrücken und Zeugnis von ihnen ablegen.
Schwierige Probleme stehen also vor einem Katholiken auf, wenn er sich auf das Gebiet der Politik wagt. Man darf jedoch nicht ängstlich vor Aufgaben zurückschrecken, bloß weil sie schwierig sind. „Timidite" steht in krassem Widerspruch zur tätigen christlichen Tugend der Tapferkeit. Sie ist nur mangelnde Glaube an die erlösende Kraft des „Sauerteiges“, der im Christentum enthalten ist.
Erst dieser Uebergang zum Konkreten, das Aufnehmen schwieriger, gewagter, aber nutzbringender Aufgaben, ist die wahre Lebensprüfung. Hier soll sich zeigen, wie stark in uns der christliche Humanismus ist. für den wir zu kämpfen haben. Man darf sich nicht in Politik verlieren, sich in herrschende brutale Rechte, und Sitten hinemleben. im Gegenteil: man soll in die politische Tätigkeit neue Sitten einführen.