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Im Dienste des Lebens

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Dieser Kongreß, der weit über die Grenzen Österreichs hinaus nicht nur allein bei den Fachleuten Beachtung gefunden hat, war mit seiner Teilnehmerzahl von 2000 Ärzten aus 40 Nationen mehr als eine Fachtagung wie Dutzende andere. Abgesehen von der zahlenmäßigen Beteiligung, die den 6. Internationalen Kongreß für Erkrankungen der Thoraxorgane (Thorax = Brustkorb) zum größten klinischmedizinischen Kongreß stempelte, der in Wien je stattfand, war diese Zusammenkunft in unserer von Teilungen und Sonderungen bedrückten Welt eine Kundgebung des durch keinerlei ideologische Scheuklappen behinderten Dienstes am Leben.

Trotz des Fehlens eines geeigneten Kongreßhauses, das in einem Zentrum der Medizin wie Wien schon dringend nötig wäre, lief der Kongreß reibungslos ab - ein besonderes Verdienst des Präsidenten des Kongresses, Professor Doktor Fellinger, des Generalsekretärs Professor Dr. Sattler, des wissenschaftlichen Sekretärs Dozenten Dt. Mlczoch und des gesamten Organisationsstabes, der überdies durch eine Reihe gesellschaftlicher Veranstaltungen in der Hofburg, in Schönbrunn und ui einigen Wiener Stadtpalais für einen glanzvollen Rahmen gesorgt hat. *

Das Bedeutungsvolle an dieser Wiener Tagung war die Schaffung von persönlichen Kontakten, namentlich nach Osten hin Die Ärzte aus den betreffenden Ländern (Polen. Ungarn, Tschechoslowakei) — es waren etwa fünfzig Fachleute anwesend — wirkten in privaten Gesprächer durchaus undoktrinär. Alle diese Ärzte, welch von der Aufnahme in Wien und von der Verhandlungsatmosphäre beeindruckt schienen, haben das Interesse an weiterer Zusammenarbeit ausgesprochen. Die sowjetrussische Delegation bestand aus 23 Ärzten unter der Leitung Professoi Kogans aus Moskau. Professor Kogan ist eine] jener prominenten Ärzte, die in den Jahrer 1952/53 bei dem sogenannten Ärzteprozeß angeklagt waren und nach dem, Tode Stalins enthaftet wurden.

Für die Gestaltung des Kongresses hatten die Veranstalter teilweise neue Weg gewählt: Neber Einzelveranstaltungen wurden 50 Kolloquien angesetzt, die sehr großen Zuspruch fanden und bei denen es oft zu überaus lebhaften Diskussionen kam. Diese Auflockerung hat zum Erfolg des Kongresses sicherlich beigetragen.

In der medizinischen Thematik waren die Organisatoren bemüht, in erster Linie eine Übersicht des derzeitigen Standes der Diagnostik, Klinik, Prognose und Therapie der Erkrankungen von Herz und Lungen zu geben. Vorherrschend wurden der Praxis naheliegende Anwendungsgebiete besprochen, die rein theoretischen Erwägungen traten etwas zurück. Von den prinzipiellen und möglicherweise auch theologischen Aspekten von Bedeutung wären einige hervorzuheben.

Zunächst gewinnt die große Thoraxchirurgie zur Korrektur und Heilung angeborener und erworbener Herzfehler immer mehr praktische Anwendungsgebiete. Vorbedingung für viele dieser Operationen ist die zeitweilige Unterb'echung des Herzschlages. Das kann entweder durch Ausschaltung des Organs und Anwendung einer Herz-Lungen-Maschine oder aber durch Unterkühlung des Patienten erreicht werden. Während bis vor kurzem die Herz-Lungen-Maschine eine führende Rolle zu spielen schien, wendet sich in letzter Zeit die Aufmerksamkeit immer mehr der Unterkühlung zu, bei der offenbar weniger technische Schwierigkeiten auftreten Es ist gelungen,

Patienten bis auf eine Temperatur von neun Grad Celsius zu unterkühlen, wobei die Stoffwechselvorgänge im Organismus auf ein Minimum beschränkt bleiben und der Blutkreislauf bis zu zwei Stunden unterbrochen werden kann. Die bisher operierten Patienten zeigten keine Schädigungszeichen. Diese Berichte, so eindrucksvoll sie für den Laien klingen mögen (als „künstlicher Todesschlaf“ von lautsprecherischen Presseorganen besonders hervorgehoben), können in tieferer Sicht kaum als ein grundlegendes Ereignis bezeichnet werden. Leben, selbst im materialistischen Sinn verstanden, ist ja keineswegs an Herzschlag und Kreislauf gebunden. Die Stoffwechselvorgänge laufen weiter, wenn auch verlangsamt. Der Eingriff ist prinzipiell weniger bedeutend als die Narkose mit Ausschaltung des Bewußtseins. v

Die Fortschritte der Herz- und Lungenchirurgie bringen es mit sich, daß die Frage der Schwangerschaftsunterbrechung auch beim materialistisch ausgerichteten Arzt immer mehr an Bedeutung verlieren muß. Herzoperationen und Resektionen von erkrankten Lungenabschnitten können ohne Vergrößerung der Gefahr auch an Schwangeren vorgenommen werden und bringen keine zusätzliche Gefährdung des Kindes mit sich. Es ist daher von Bedeutung und hervorzuheben, daß auf Grund dieser Fortschritte Mitralstenosen (Mitralklappe = Klappe des linken Herzteiles, beziehungsweise Vorhof und Kammer; Stenose: Verengung) und angeborene Herzfehler, die den Großteil der „Indikationen“ zur Schwangerschaftsunterbrechung darstellten, auch vom rein materialistischen Standpunkt nicht mehr als Indikation gewertet werden Weiterhin wurde in einem Kolloquium festgestellt, daß auch die Lungentuberkulose keine „Indikation“ darstellt. Bei entsprechender Behandlung wird die Schwangerschaft sogar als begünstigender Faktor zur Heilung der Tbc angesehen.

In der Frage der Übertragung eines Organs (Herz, Lunge, Niere) von einem Individuum auf das andere — ein von der Öffentlichkeit besonders dank der Publizität beachtetes Thema — wurde bisher kein entscheidender Fortschritt erzielt. Es besteht keine Möglichkeit, die kritische Reaktion des Empfängers gegenüber dem fremden Organ auf die Dauer zu verhindern. Von fachlicher Seite wird es als unwahrscheinlich bezeichnet, daß auf diesem Gebiet in nächster Zeit mit praktisch anwendbaren Ergebnissen zu rechnen ist. Vom rein theologischen Standpunkt wäre allerdings zu erwägen, ob — und unter welchen Bedingungen - es dem Spender gestattet ist, freiwillig ein Organ zu opfern.

Die Wiener 2. Medizinische Universitätsklinik unter der Leitung von Professor Dr. Fellinger besitzt eine große Erfahrung auf dem Gebiet der Kollagenkrankheiten der Lunge. Hierüber hat Universitätsdozent Dr. Herbert Braunsteiner - ein noch kaum bekanntes Gebiet berührend — referiert. Dozent Dr. Braunsteiner war die Auszeichnung und das Vertrauen zuteil geworden, den Vatikanstaat auf diesem Kongreß zu vertreten. Mit dieser Delegierung ist das nachdrückliche Interesse des Heiligen Stuhles an den Problemen der modernen Medizin unterstrichen worden.

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