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Im Geiste des Pariser Vertrages

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Die Ernennung des Tirolers Prof. Gschnitzer zum zweiten Staatssekretär im Außenamte der österreichischen Regierung ist nicht nur in Oesterreich, sondern auch im Auslande, besonders in Italien, mit Interesse vermerkt worden. „Corriere della Sera“ betont, daß die Ernennung Prof. Gschnitzers in die österreichisch-italienischen Beziehungen ein neues delikates Moment bringe und Störungen in den Beziehungen beider Länder hervorrufen könne. Der italiensiche Botschafter in Wien hat auch bereits den Außenminister Figl um Aufschluß über die „Position“ des neuen Staatssekretärs in der Regierung gebeten. Dazu ist zu sagen, daß die Stellungnahme der Regierung klar und eindeutig in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 4. Juli enthalten ist.

Bundeskanzler Raab erklärte darin, daß auf unsere sonst so freundschaftlichen Beziehungen zu Italien immer noch „ein Problem seine Schatten werfe“: Noch immer seien „nicht alle Bestimmungen des Pariser Vertrages erfüllt“. „Dies bedauern wir“ — erklärte der Kanzler wörtlich — „um so mehr, als Europa nur leben kann, wenn alte Streitigkeiten und Differenzen begraben werden. In diesem Geiste betrachtet, müßte es auch der italienischen Regierung leichtfallen, den Pariser Vertrag dem Buchstaben und dem Sinne nach so zu erfüllen, daß der Bestand der Südtiroler Volksgruppe gesichert ist. Ich möchte feststellen, daß Oesterreich nach wie vor auf dem Boden dieses Abkommens steht. Die Einhaltung dieses Uebereinkommens ist für beide Teile nützlich und wertvoll. Ich verweise auf die einwandfreie Lösung der Nationalitätenfrage in der Schweiz. Die Schweiz sichert durch ihre Maßnahmen den Volkscharakter aller ihrer Bewohner. Auch Oesterreich tut dies gegenüber seinen Minoritäten. Es ist das erste Lebensrecht eines Volkes, seine Muttersprache zu erhalten. Wir appellieren daher an die Einsicht unseres südlichen Nachbarn und sind überzeugt, auf dem Verhandlungswege die bestehenden offenen Fragen im europäischen Geist einer gerechten Lösung zuzuführen.“

Der italienische Standpunkt in der Südtiroler Frage ist vorläufig der, daß die Südtiroler Frage eine rein innenpolitische Frage sei, in der sich Italien von keiner auswärtigen Macht dreinzureden lassen brauche.

Zwischen diesen beiden Auffassungen liegt nach wie vor das Problem Südtirol mit einer ganzen Reihe offener Fragen, die im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Oesterreich und Italien als den beiden Staatsmächten des Pariser Vertrages zu regeln wären. Die vordringlichsten davon sind:

1. Erlassung der Durchführungsbestimmungen für die rund 60 Artikel des Autonomieabkoiri-mens, die bis heute noch nicht in Rechtskraft getreten sind. 2. Regelung des deutschen Sprachgebrauches bei den Aemtern und zwischen den Aemtern in Südtirol. Bei den letzten Wahlen haben 21 Südtiroler Gemeinden überhaupt keine italienische Stimme abgegeben, und doch müssen die Bürgermeister dieser 21 rein deutschen Gemeinden in italienischer Sprache untereinander verkehren. 3. Gleich behandlung der deutschen und italienischen Arbeiter und Angestellten.

4. Regelung der Kriegsinvaliden-, Witwen- und Waisenrenten. 5. Gerechte Verteilung des Wohnraumes in den Volkswohnhäusern. 6. Proportionale Besetzung der Beamtenposten mit Deutschen und Italienern. 7. Berücksichtigung der Deutschen im Verhältnis zur Einwohnerzahl bei Vergebung von Gemeindearztens- und Gemeindehebammenstellen. 8. Regelung Aet Rückgabe deutschen Besitzes seitens der Ente nationale an die zurückgekehrten Südtiroler bzw. Verwaltung von solchen Bauerngütern durch die Landesregierung in Bozen. 9. Regelung der Lehrerverhältnisse und Pragmatisierung der deutschen Lehrer.

Es ist zu hoffen, daß es dem neuen Staatssekretär Prof. Gschnitzer gelingen wird, in diesen und anderen Angelegenheiten in beiderseitigem Einvernehmen praktische Erfolge zu erzielen. Der Weg kamt nur so sein, daß alle Möglichkeiten, welche die zwischenstaatlichen Verträge — auch das Abkommen GruDer-De Gasperi zählt zu. ihnen — bieten, ausgeschöpft werden, und zwar:

1. Besprechung sämtlicher Angelegenheiten von einer gemischten österreichisch-italienischen Kommission, der auch Südtiroler selbst als Experten beizuziehen wären.

2. Falls diese Besprechungen zu keinem Ergebnis führen sollten, Anrufen der Schiedskommission, die im Abkommen Gruber-De Gasperi vorgesehen ist, und, falls auch dies noch zu keinem Ergebnis führen sollte:

3. Anrufung der UNO und eventuell des internationalen Haager Schiedsgerichtshofes.

Es gibt so viele wirtschaftliche und kulturelle Beziehung zwischen Oesterreich und Italien, daß es bei beiderseitigem guten Willen ohne weiteres möglich sein müßte, einen Weg zu finden, der beiden Teilen gerecht wird und der insbesondere die Südtiroler deutsche und ladi-nische Bevölkerung von dem Alpdruck befreien soll, daß sie dem Untergange geweiht sei.

Gerade die letzten Gemeindewahlen im Mai haben eindeutig bewiesen, daß die deutsche und ladinische Bevölkerung Südtirols geschlossen hinter ihrer Führung steht. Sie hat mit über 80 Prozent aller Stimmen der Welt eindrucksvoll ihre Lebenskraft bewiesen.

Es rnöge ein gutes Vorzeichen sein, daß der Verfassungsgerichtshpf in Rom gerade in letzter Zeit eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen hat. Der Einspruch des Bezirksrichters von Bruneck, der die Erbanteile der weichenden Eiben eines „Geschlossenen Hofes“ berechnen sollte und die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über die geschlossenen Höfe, anzweifelt, wurde mit der Begründung abgewiesen, daß das Autonomiestatut, das mit einem Verfassungsgesetz angenommen worden sei, die Einrichtung des „Geschlossenen Hofes“ wieder aufleben lasse; da es im italienischen Recht für diese Einrichtung kein Vorbild gebe, könne der „Geschlossene Hof“ nur mit allen jenen Eigenschaften wieder aufleben, die sich aus der Tradition und aus der' früheren Rechtsordnungherleiten.

Auch die Annahme des Artikels 14 in der Land- und Forstwirtschaft deutet auf eine Entspannung der Lage.

Das Problem Südtirol kann also mit einigem gutem Willen und „im Geiste gegenseitigen Verständnisses und gegenseitiger Zusammenarbeit“ gelöst werden.

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