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Im Mittelpunkt: das Rathaus

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In der Landesparteileitung der ÖVP Niederösterreich herrschte in der Nacht vom 10. zum 11. April Hochstimmung. Die Getneinderats-wahlen im Lande hatten der Volkspartei mit einem Gewinn von 413 Mandaten einen unerwarteten Erfolg gebracht; unerwartet aus drei Gründen.

Erstens: Die Sozialisten konnten bei den Landtagswahlen des vergangenen Jahres fühlbare Einbrüche in die niederösterreichischen Dörfer erzwingen, die sich bei Gemeinderatswahlen als größere Mandatsverluste auszuwirken drohten.

Zweitens: Noch niemals wurde vor Gemeinderatswahlen bei der Kandidatenaufstellung in den Städten, Märkten und Dörfern Niederösterreichs so erbittert gestritten wie vor dem 10. April 1960. Wenn es trotzdem gelungen ist, die Meinungsverschiedenheiten soweit zu überbrücken, daß die Anzahl der Personen- und Sonderlisten geringer war als 1955, so ist.dies vor allem ein Verdienst der Funktionäre der Landesparteileitung und der Bezirksparteileitungen, die wie die Feuerwehr im Lande herumrasten, um größeres Unheil zu verhüten.

Der dritte Grund ist in der Tatsache zu suchen, daß die Kandidatur der Freiheitlichen bei Gemeinderatswahlen in Niederösterreich fast ein Novum darstellte. Bis zum Jahre 1955 fanden sich für die FPÖ — damals noch Wdll — in den niederösterreichischen Gemeinden aus Angst vor den Russen kaum Männer, die einer Kandidatur zuzustimmen wagten. Es war für die FPÖ sogar heuer noch schwer, Kandidaten zu finden. Die 12.945 Stimmen und 99 Mandate, die von den Freiheitlichen am 10. April erreicht wurden, konnten daher das Wahlergebnis kaum merkbar beeinflussen.

Die Österreichische Volkspartei hat in den niederästerreichischen Rathäusern und Gemeindestuben 413 Mandate gewonnen. Sie wird in den kommenden fünf Jahren über 14.696 Gemeindevertreter verfügen. Demgegenüber ist die Mandatsanaahl der Sozialisten um 106 auf 6747 zurückgegangen. Die Gemeinderatswahlen am lO.Aprn.brachtender ÖVP.4,2.7-H Stimmen gegenü,|42 5 AM£$mm$l&}v4$ SfWHWinafeo wählen.,: 1,955. DkiSozialisten.haben irngleichen, Zeitraum 5-744.Stifnmen?vrki;e!n

Es wäre vermessen, angesichts dieser Wahl-ergenbisse von einem Erdrutsch zu sprechen. Trotzdem kommt dem Resultat, das manchem rein optisch nicht viel sagen mag, mehr Gewicht zu, als die Zahlen bei oberflächlicher Betrachtung zum Ausdruck bringen. Denn eine ganze Anzahl der 413 Mandate, die von der Volkspartei gewonnen wurden, wurde in nieder-österreichischen Industriestädten erkämpft. Auf solche Mandate kommen in den allermeisten Fällen mehr Stimmen, als die Gesämtwähler-schaft mehrerer Dörfer ausmacht. Außerdem bestätigt der ' weitere Einbruch in Arbeiterkreise auch in Niederösterreich den allgemein erkennbaren Rechtszug unter der Arbeiterschaft. So haben die Sozialisten, um nur einige Industriestädte zu nennen, beispielsweise in Hainburg an der Donau, in Heidenreichstein, Neunkirchen, Pöchlarn, Reichenau, Stockerau, Wiener Neustadt, Ternitz und Wollersdorf Mandate verloren. In St. Pölten wurde von der SPÖ die absolute Mehrheit verspielt.

Im Wahlergebnis in den niederösterreichischen Industriestädten zeigt sich, daß die ÖVP dort, wo sie die sozialistische Mehrheit mit Resignation zur Kenntnis nimmt, verliert; dort aber, wo sie sich zur Auseinandersetzung stellt, beachtliche Gewinne verzeichnen kann. Die Verjüngung ihrer Kandidatenlisten wirkte sich in dieser Hinsicht belebend aus.

Ein besonders paradoxes Ergebnis brachte die sozialistische Hochburg Felixdorf. Dort trat der bisherige Bürgermeister, der am 10. April seinen 70. Geburtstag feierte und weniger wegen der Erreichung der Altersgrenze, sondern auf Grund seiner persönlichen Differenzen mit dem Organisationsobmann, Nationalrat Staffa, nicht mehr kandidieren sollte, mit einer eigenen Liste in den Wahlkampf. Er nahm seinen Genossen von den bisherigen 16 Mandaten zwölf ab. Der Fall Frasl, so heißt der alte Herr, ist für zwei Erscheinungen symptomatisch. Das Felixdorfer Wahlergebnis bedeutet einen harten Schlag für jene sozialistischen Parteifunktionäre, die bisher auf die straffe Disziplin ihrer Anhänger geschworen haben. Ähnlich wie in Felixdorf war es auch in Purkersdorf, wo Altbürgermeister Zurek. der aus der SPÖ ausgeschlossen wurde, mit seiner eigenen Liste drei Mandate gewinnen konnte.

Die Festlegung einer Altersgrenze für die Kandidatur mag bei Landtags- oder Nationalratswahlen vieles für sich haben. Bei Gemeinde-ratswahlen ist sie, vor allem in Niederösterreich, aus ganz bestimmten Gründen unsinnig. Frasl und Zurek gehören nämlich zu jenen Männern, die von 1945 bis 1960 die Geschicke ihrer Heimatorte leiteten. Die Bevölkerung hat es die- 1 sen alten Herren, ob sie nun links oder rechts stehen mögen, nicht vergessen, daß sie sich in schwerer Zeit selbstlos in den Dienst der Öffentlichkeit stellten und in vielen Fällen der Besatzungsmacht die Stirn boten. Darum wird ja auch von weiten Bevölkerungskreisen den Kandidaten der FPÖ der Vorwurf gemacht, daß sie — die Gründe sind begreiflich — während der Russenzeit für kommunale Angelegenheiten kein Interesse zeigten, während sie nun, da das Risiko wegfällt, ihre Berufung nicht nur zum Gemeinderat, sondern sogar zum Bürgermeister entdeckt haben.

Als weiteres interessantes Merkmal beim Wahlausgang vom 10. April in den niederösterreichischen Gemeinden muß festgestellt werden, daß es der ÖVP in sehr vielen Dörfern gelungen ist, den Abbröckelungsprozeß nach links abzufangen. In diesen Dörfern dürften die agrarischen Politiker endlich erkannt haben, daß längst nicht mehr nur Bauern in der Gemarkung ihres Heimatortes wohnen. Sie haben sich in zwölfter Stunde dazu bequemt, auch anderen Berufsschichten ein Mitspracherecht in der Gemeindestube einzuräumen. In einer Reihe von Orten, wo dies nicht geschehen ist, gingen Mandate und da und dort sogar die Mehrheit verloren.

Der Umstand, daß die gegenüber 1955 verhältnismäßig wenigen Splittergruppen in sehr vielen Fällen schon in ihrem Namen zum Ausdruck gebracht haben, daß sie der ÖVP nahestehen — in einer ganzen Reihe von Gemeinden gab es ÖAAB-Listen oder Wirtschaftsbund- oder Bauernbundlisten —, zeigt, daß man dort offensichtlich nur getrennt marschieren wollte, daß man- aber bereit ist, sich bei -der Wahl, der Bürgermeister wi-ederzu finden; Dies wird sich bei -der Besetzung der Bürgermeisterposten aus-wirken, so daß der wahre Ausgang der Gemeinderatswahlen erst mit der Konstituierung der Gemeindevertretungen und der Neuwahl der Gemeindevorsteher in einigen Wochen so richtig erkennbar werden dürfte.

Das „schwarze Gegenstück“ zu Felixdorf stellt Klosterneuburg dar. Obwohl, oder vielleicht weil diese Gemeinde der Heimatort des Landesparteisekretärs der ÖVP Niederösterreich ist, kam es dort im Lager der Volkspartei zu gefährlichen Spaltungen. Neben der offiziellen ÖVP-Liste, deren Stimmenanteil von 7063 auf 5958 zurückging, was den Verlust von drei Mandaten bedeutet, kandidierte dort auch eine Heimat- und Wirtschaftsliste, die 1617 Stimmen und vier Mandate erreichte. Dieser Streit, der zwischen den landessekretärtreuen ÖVP-Leuten und den Funktionären und Anhängern der Heimat- und Wirtschaftsliste, die zum Großteil aus der Volkspartei kommen, sehr gehässig geführt wurde — die Feuerwehr versagte im eigenen Haus, weil sie selber mit dem Feuer spielte —, schließt dort fast aus, daß die beiden Gruppen bei der Bürgermeisterwahl zusammenfinden werden. Der Klosterneuburger Bürgermeister dürfte aber diesmal nur mit der Schützenhilfe der Freiheitlichen wieder von der ÖVP gestellt werden.

Wie gewohnt, wird der Ausgang der niederösterreichischen Gemeinderatswahlen vom 10. April von allen Parteien als Sieg gefeiert. Die Sozialisten freuen sich wie Hans im Glück, der einen Klumpen Gold gegen eine Gans eintauschte; so etwa muß man den Tausch eines Mandats in Wiener Neustadt oder Hainburg gegen einen Gemeinderatssitz etwa in Höben-bach oder Gneixendorf werten.

Bei der ÖVP bedeuten die Verluste in Gneixendorf oder Höbenbach, um bei unseren Beispielen zu bleiben — man könnte auch ein Dutzend anderer Dörfer anführen —, einen bitteren Wermutstropfen im Jubel über den Erfolg in den Städten. Der Kampf um das Dorf geht weiter, wenn auch die Gemeinderatswahlen vom 10. April eine gewisse Atempause gebracht haben; wo trotzdem Verluste eingetreten sind, kann man sie billiger als bei Landtags- oder Nationalratswahlen mit lokalen Streitereien unter den Kandidaten entschuldigen.

So haben beide Parteileitungen ihren Jubel — und ihren Kummer.

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