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Im neuen Jahr — neue Richter

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Mit dem Ablauf dieses Jahres endet in Österreich im Bereiche der Strafrechtspflege eine Einrichtung, die nur als Notbehelt gedacht war — die Einrichtung politisch etikettierter Rieht.er.

Sowohl nach der vorläufigen Verfassung (S 43) als auch nach der spätestens mit 19. Juni 1946 (sechs Monate nach Zusammentritt des Nationalrates) wiederherge-steHten Verfassung 1929 (Art. 91) hat das Volk an der Rechtssprechung mitzuwirken. Im Bezirke der Strafrechtspflege erfolgt diese Mitwirkung des Volkes bei den Schöffengerichten, Schwurgerichten und Volksgerichten durch Schöffen, wobei sich diese drei Gerichte nur ihrem Namen nach unterscheiden.

In der Art ihrer Zusammensetzung bestehen alle drei aus (gelehrten) Richtern und Schöffen: das Schöffengericht aus zwei Richtern und zwei Schöffen, das Schwurgericht aus drei Richtern und drei Schöffen, das Volksgericht aus zwei Richtern und drei Schöffen, so daß bei keinem dieser Gerichte ein Schuldspruch gegen den Willen der Schöffen, bei dem Volksgericht aber auch kein Freispruch gegen ihren Willen erfolgen kann. In der Ausübung ihres Richteramtes aber sind bei allen drei Gerichten die Schöffen an ihren Eid gebunden, der ie unter anderem auch zur „Unparteilichkeit“ verpflichtet, so daß es schon deshalb bedenklich ist, aber auch einen Bruch mit bewährter österreichischer Strafrechtspflege bedeutet, wenn der zur Strafrechtssprecbung berufene Schöffe parteipolitisch etikettiert in Erscheinung tritt.

So aber war es nach dem vorläufigen Schöffenlistengesetz, wonach ( 2) die Vorstände der politischen Parteien die Schöffenlisten bildeten. Ursprünglich ( 13) bis sechs Monate nach dem Zusammentritt der ersten gewählten Volksvertretung befristet, wurde dieses Gesetz durch die Schöffenlistengesetznovelle in der Folge bis 31. Dezember 1946 verlängert und gilt spätestens von diesem Zeitpunkte an das neue Schöffenlistengesetz, wie es vom österreichischen Nationalrat am 13. Juni 1946 beschlossen wurde. Die Urliste, Jahresliste und Dienstliste der Schöffen wird nach einem in diesem Gesetz bis ins kleinste geregelten Verfahren nach demokratischen Grundsätzen in einer Weise gebildet, die es ausschließt, daß äußerlich irgendwie sichtbar wird, welcher politischen Partei der zum Richteramt berufene Schöffe angehört. Weder in den UrListen, noch in den aus diesen gebildeten Jahres- und Dienstlisten, scheint die Zugehörigkeit des Schöffen zu einer der politischen Parteien verzeichnet und er darf nach dem verfassungsmäßig geschützten Rechte der Gewissensfreiheit im Zuge der Ausübung seines Richteramtes um seine parteipolitische Gesinnung ebensowenig gefragt werden, wie seine beamteten Mitrichter.

Wie es eine unvorstellbare Zumutung wäre, den gelehrten Richter zu befragen, ob und welcher politischen Partei er angehört, darf dies nunmehr auch bei den Schöffen nicht geschehen. Es ist hiedurch mit Beginn des neuen Jahres jene Bestimmung rücksichtlich der Zusammensetzung des Volksgerichtes obsolet geworden, wonach von den drei Schöffen je einer derselben einer der drei politischen Parteien angehören soll und es ist auch gut so, denn jeder Richter und daher auch jeder Volksrichter, welcher in Wien die Schwelle des Grauen Hauses überschreitet, erscheint meines Erachtens von diesem Moment an in seiner Funktion als Schöffe, nicht als Angehöriger dieser oder jener politischen Partei, sondern ausschließlich und nur als Richter, und zwar als österreichischer Richter, welcher die Gesetze anzuwenden hat, die und wie sie von der österreichischen gesetzgebenden Körperschaft beschlossen wurden Nur in dieser aber kommen parteipolitische Kräfte zur unmittelbaren Auswirkung. Die Richter, welche die Gesetze anzuwenden haben, haben gute Österreicher zu sein, die sich im Beratungszimmer nicht als Angehörige dieser oder jener politischen Partei, sondern nur als österreichische Richter gegenüberstehen.

Richter haben gerechte Urteile zu garantieren. Wir wissen aus der Erfahrung schwerer sieben Jahre, wohin es führt, wenn sich Richter mißbrauchen lassen, um Urteile zu fällen, die diktiert sind nicht von dem richterlichen Gewissen, sondern von dem Ruf der Straße oder dem Einfluß einer außenstehenden Macht, von Feigheit und Angst, Urteile, bei denen die beschworene Pflicht schweigt, zugunsten zeitgebundener Erwägungen. Schon der Möglichkeit oder auch nur dem Anschein solch erlebter Gefahren wird vorgebeugt, wenn die Bestellung der Volksrichter nicht unmittelbar durch die politischen Parteien erfolgt, denn bei der nunmehr vorgesehenen Art der Bestellung kommt die für den Richter so notwendige Unabhängigkeit viel deutlicher zum Ausdruck und zu ihrer Auswirkung. Nur völlig unabhändige Richter aber garantieren gerechte Urteile.

Worin aber hoben ungerechte Urteile ihre Wurzel?

Ein hervorragender österreichischer Richter, Dr. Gustav Chamrath, erinnerte erst unlängst (1. Juni 1946) in der „Furche“ an das weltgeschichtlich ungerechte Urteil, indem er schrieb:

Seit zwanzig Jahrhunderten erschüttert die christlidie Welt das ungerechte Urteil eines Richters, der an der Schuldlosigkeit des Angeklagten nicht zweifelte, diesen aber dennoch verurteilte, weil er der einseitig eingestellten, von demagogischen Führern aufgehetzten Volksstimme Gehör schenkte und sie fürchten zu müssen glaubte.

Wahrhaftig! Pontius Pilatus hatte eine weitaus höhere und mächtigere Stellung, als sie heute dem einzelnen Richter im Staate zusteht. Wenn dennoch selbst ein solcher Richter der Versuchung erliegen konnte, seine Entscheidung nicht nach Gesetz und Gewissen, sondern nach den Forderungen und Racheschreien einer aufgehetzten Menge zu fällen, dann ist die Erinnerung an die Gründe dieses ungerechten Urteils auch heute und immer von Nöten.

Zur Sicherung gerechter Strafrechtspflege war es daher geboten, diese von jedem Einfluß zu bewahren, welcher ein ungerechtes Urteil auch nur ermöglicht. Die Regierungsvorlage zum neuen Schöffenlistengesetz bezeichnete es daher mit Recht nur als eine Notvorschrift, wonach die „Auswahl der Schöffen durch die Organisation der drei politischen Parteien“ erfolgte, es sei diese Einrichtung von vornherein nur als Notbehelf für die Zeit des Überganges an geordneten und stabileren Zuständen gedacht“ gewesen und der Berichterstatter Mark verwies in der Sitzung des Nationalrates, in der das neue Schöffenlistengesetz beschlossen wurde, darauf, daß dieses „den Übergang von dem Provisorium, in welchem wir uns bisher befanden, au amem Definitivum darstellt.“

Mit 1. Jänner 1947 werden demnach neue Schöffen an der Strafrechtspflege mitwirken, die sich von den bisherigen vor allem dadurch unterscheiden, daß sie nicht mehr parteipolitisch etikettiert sind. Hiedurch aber wird nur der Schein vermieden, als ob das „garstige Lied“ der Politik mitklingt, wenn künftig in Österreich über strafrechtliche Schuld und Unschuld geurteilt wird.

Wir können daher aufrichtigen Herzens den Einzug der neuen Schöffen in die österreichische Straf rechtspf lege begrüßen, den las neue Schöffenlistengesetz und die auf Grund derselben zu erwartende Rechtssprechung der neuen Schöffen bedeutet bei aller Anerkennung der bisherigen Einrichtung einen nicht unbeichtlicher Fort schritt auf demokratischem Pfade.

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