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Immer wieder: das Gespräch

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Die Fehler der Staatsführung, die in der Ersten Republik gemacht wurden, haben sich in der Zweiten Republik nicht wiederholt. Man war wirklich bemüht, vieles besser zu machen. In der Ersten Republik mangelte es am Glauben an Österreich, und ein großer Teil der Bevölkerung besaß keine positive Einstellung zum Staat, es fehlte das Staatsbewußtsein. Karl Renner schreibt in einem Bande seiner nachgelassenen Schriften von den „verhängnisvollen Irrtümern“ dieser Zeit, kritisiert sie und hofft, daß die Jugend, die künftigen Sachwalter des Staates, vor der Wiederholung dieser Irrwege behütet werde. Die Jahre von 1938 bis 1945 waren Jahre eines Druckes, der auf den ehemaligen Verantwortlichen beider großer Parteien der Ersten Republik gemeinsam lastete. Es mußte zur Einsicht und Besinnung kommen. Der bloße Wille, es besser zu machen, genügte nicht, man mußte wissen, was war falsch und wie macht man es besser. Friedrich Funder, der Begründer der Zeitschrift „Die Furche“, erwähnt in einem seiner umfangreichen Erinnerungsbücher ein Gespräch mit dem Wiener Bürgermeister Karl Seitz, das er nach den Februartagen geführt hatte. Funder hatte den Eindruck, daß die beiden Hauptträger des politischen Lebens, die Christlich-sozialen und die Sozialdemokraten, voneinander zuwenig wußten, daß ihnen vor allem die Kenntnis der grundsätzlichen Ausgangsposition der anderen Seite fehlte. Er stellt fest: „An solchen Lücken muß die Demokratie zu Schaden kommen.“ Es fehlte an den Voraussetzungen zu einer besseren Kontaktnahme. Die Schwarzweiß-Zeichnung war eben ein fehlerhaftes Bild. Wer den Gegner nicht kennt und ihm jeglichen guten Willen abspricht, kann keine Gespräche führen, die für das Ganze von Nutzen sind.

„Die Furche“, die der einst so harte Kämpfer gegen die Sozialdemokratie, Friedrich Funder, herausgab, sollte eine Zeitung der menschlichen Begegnung sein. Der tote Raum zwischen der Kirche und den Massen der industriellen Arbeiterschaft sollte überwunden werden. Dieser Entschluß war, wie Funder schreibt, in den schlaflosen Nächten der Haft, in den Konzentrationslagern, in denen Sozialisten das gleiche Schicksal teilten, gefaßt worden.

Die Sozialisten, die das neue Blatt lasen, waren zunächst überrascht, auch mißtrauisch, denn zwischen der Zeit des Erscheinens der ersten Nummern der „Furche“ und den unglückseligen Februartagen 1934 lagen nur elfeinhalb Jahre. Eine Zeit, die zu kurz ist, um zu vergessen oder zu überwinden. Dennoch hörte man bald hier, bald dort anerkennende Worte über die neue Wochenschrift. Daß die Kirche keinem Priester gestattete, ein Mandat der konservativen Partei anzunehmen, ließ wohl die Hoffnung auf ein besseres Verhältnis zur Kirche aufkommen. Es war ein Unglück, daß die Kirche durch ihr politisches, besser parteipolitisches Engagement in der Ersten Republik so viel von ihrer Bedeutung einbüßte, ja geradezu von ihrer Substanz verlor. „Die

Furche“ hat viel dazu beigetragen, daß das Verhältnis Sozialismus — Kirche besser wurde. In einem Staate mit so starken zentrifugalen Kräften müssen auch Hüter des Gemeinsamen, des Ganzen vorhanden sein. Sie sind in allen Parteien zu finden, aber eine ganz besondere Macht hat die Kirche. Sie kann zusammenhalten und zusammenführen, auch in einem Zeitalter des weltanschaulichen Pluralismus.

Diese „Furche“ feiert heuer ihr 20jähriges Bestehen. Sehr wichtige Probleme, die Staat und Kirche betreffen, sind in den letzten Jahren gelöst worden. Aber die Wirkung der Erfahrungen aus der Zeit der Ersten Republik muß abnehmen, weil die Jugend von heute zu dieser Zeit keinen persönlichen Kontakt besitzt. Es ist darum von allergrößter Bedeutung, daß die menschliche Begegnung, wie sie „Die Furche“ will, niemals schwächer wird oder gar abreißt. Dieser Gedanke und die Absicht, die Menschen einander näherzubringen, ist heute wichtiger denn je. Österreichs Demokratie ist jung, und Österreichs Demokraten haben keine lange Tradition. Man sucht so oft nach einem neuen Stil des demokratischen Zusammenlebens, so wie die jungen Menschen, die in den Reifejahren nach dem für sie richtigen Ich suchen. Und doch wäre alles so einfach: Respekt vor der Meinung des anderen, die ich schätze, weil ich will, daß man meine Meinung schätzt, Beschränkung des Politischen auf das wirklich Politische, denn, was man objektiv, für alle gültig, nach festen Grundsätzen regeln kann, bedarf keiner politischen Entscheidung, und schließlich menschlich und demokratisch einwandfreie Behandlung der politischen Minderheit.

Vielleicht sollte „Die Furche“ mehr als bisher das politische Gespräch führen, um noch wirkungsvoller zu werden. Sie könnte das, denn sie hat, was man im öffentlichen Leben immer hoch schätzt, Grundsätze, die jedoch nicht zur Unbewegtheit, zur Starrheit führen, sondern sie ist aufgeschlossen für andere und anderes. „Die Furche“ ist kein Amtsblatt der Kirche, aber sie steht auf dem sittlichen Boden des Christentums. Das ist wichtig, auch für das politische Leben. Wozu man sich menschlich bekennt, ist auch verpflichtend für das Politische, ganz besonders für den Politiker christlicher Weltanschauung. Der Geist der „Furche“ ist ein guter Geist. Es ist zu wünschen, daß er stark und kraftvoll bleibe und wirke.

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