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In abwartender Haltung

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Natürlich ist inzwischen durchgesickert, daß qualifizierte Militärfachleute beider Länder das Projekt mit großer Skepsis betrachten, da im Hinblick auf das Scheitern der ursprünglich vorgesehenen Produktion eines deutsch-französischen Panzers die Perspektive einer Assoziierung der gesamten beiden Streitkräfte wenig praktische Erfolgsaussichten bot; politische und psychologische Voraussetzungen waren dazu nicht gegeben. Der General ist diesen Widerständen mit größtem Mißmut begegnet. In seinen Augen war die hundertprozentige Unterstützung seines Projekts durch die Deutschen, vor allem aus diplomatischen Gründen, ein unerläßlicher Imperativ: Durch die Zusammenfassung der industriellen Macht der beiden Länder zur militärischen Produktion sollte der amerikanische Widerstand so bald als möglich gebrochen werden.

Anfangs schien de Gaulle entschlossen, bei seiner Bonner Reise einen Gegenschlag gegen Kennedy und gegen die amerikanische Außenpolitik zu führen. Man sagte in seiner Umgebung, daß ihn eine offenherzige Erklärung im amerikanischen Senat, es komme den USA darauf an, von Deutschland aus den Widerstand gegen das Elysee auszubauen, in seinem Entschluß bestärkt habe. Die Feststellung des Bundesaußenministers Schröder, es gäbe für Deutschland keinen befriedigenden Ersatz für eine Assoziierung zwischen den Vereinigten Staaten und einer europäischen Gemeinschaft, beweise de Gaulle, daß die Einkreisung beziehungsweise Isolierung Frankreichs bereits Fortschritte mache. In der äußersten Konsequenz werde er sich nicht scheuen, den Prozeß erst gar nicht abzuwarten, sondern — ohne Rücksicht auf die Schockwirkung und alle Risiken — seine bisherige Linie der engen Zusammenarbeit mit Bonn schlagartig aufzugeben. „Solange de Gaulle an der Macht bleibt”, schreibt Henri Marque in einem Artikel, der in Paris deshalb viel Aufregung auslöste, weil man ihn vom Elysee inspiriert glaubte, „kann man dessen sicher sein, daß er es vorziehen würde, sich vom Gemeinsamen Markt zurückzuziehen, als seine Paralysierung durch die deutsche Obstruktion zu dulden oder seine Verwässerung als eine Art atlantischer Handelszone hinzunehmen.”

Wenn es in der deutschen Bundeshauptstadt zu keinen ultimativen Forderungen des französischen Staatspräsidenten gekommen war und die Auguren, die dramatische Ereignisse angekündigt hatten, durch den loyalen Verlauf der deutsch-französischen Begegnung widerlegt schienen, so ist dies an erster Stelle damit zu erklären, daß de Gaulle die Dinge während des deutschen Interregnums, des Kanzlerwechselprozesses nicht forcieren wollte. Auch nach dem Beitritt Bonns zu dem sowjetisch-angelsächsischen Nuklearabkommen, der nach Überzeugung des Quai d’Orsay fraglos eine neue Belastung des deutsch-französischen Vertrages darstellt, hat Frankreich seine abwartende Haltung nicht aufgegeben. Rein atmosphärisch freilich konstatiert man eine neue Abkühlung zwischen den beiden Nachbarn am Rhein die in manchen, dem General nahestehenden Kreisen mit dem Begriff der an „leises Mißtrauen grenzenden Wachsamkeit” charakterisiert wird. Man habe sich — so heißt es in einer offensichtlich inspirierten Auslassung neueren Datums — zwar schnell über den Triumphzug Kennedys durch Deutschland beruhigt, da er keine verbindlichen Abmachungen mit sich gebracht habe, sei jedoch plötzlich stutzig geworden, als kurz nach dem Besuch des US-Präsidenten zwischen Bonner Regierungskreisen und Minister McNamara eine Reihe militärischer Verträge unterzeichnet wurden, über die man — entgegen dem Versprechen der gegenseitigen Konsultation — bisher in Paris keine Einzelheiten erfahren habe. Es wird eingeräumt, daß das Schweigen Bonns vielleicht als eine Art „Repressalie” wegen seiner Nichtinformierung anläßlich der Ausklam- merung französischer Flottenteile aus dem NATO-Verband zu werten sei. Dann heißt es aber wörtlich: „Der Affront wäre aber ein ernster Vertragsbruch, wenn es zwischen dem amerikanischen und deutschen Generalstab, wie von gewisser Seite behauptet wird, zu einem Übereinkommen gekommen ist, regelmäßige Kontakte zur Verwirklichung einer gemeinsamen Strategie aufzunehmen…”

Aus Deutschland berichten französische diplomatische Beobachter, daß das Volk der französischen Freundschaft in der Werteskala mindestens eine ebenso große Bedeutung beimesse wie dem Schutz durch die USA. Die neue Führungsmannschaft, die hinter Erhard bereits ein politisches Profil zu zeigen beginne, strebe jedoch mit Europa und der Sicherheit die Quadratur des Zirkels an Denn de Gaulle weigere sich, ihr die supranationale Integrierung zu geben, und er sei auf der anderen Seite nicht in der Lage, ihr die Sicherheit ihrer eigenen Vorstellungen zu konzedieren, nämlich den Besitz der Nuklearwaffe. Aber er sei der einzige Staatsmann, der ihnen einen diesen Wünschen am nächsten kommenden Kompromiß anbieten könne: die europäische Abschreckungswaffe, die von Macmillan abgelehnt worden ist.

Solche Verlautbarungen und Meinungsäußerungen hat es in den verschiedensten Varianten zu Dutzenden auch noch nach der Reise Kennedys und de Gaulles nach Deutschland gegeben. Die Tatsache, daß es vom Elysee weder Dementis noch Beschwichtigungen gegeben hat, ist zwar bezeichnend für die herrschende Stimmung, erlaubt jedoch/ nicht, ohrie-iweiteres’tden Rück schlug daß dsr„.General sefije, Partie auf Biegen oder Brechen zu Ende spielen wird. Mag er auch Risiken und dramatische Zwischenfälle nicht scheuen, so ist er doch weitblickend genug, die Grenzen der deutschen Aktionsfähigkeit zu erkennen. Und es erscheint einfach unvorstellbar, daß er sich nach dem Präzedenzfall Algerien (wo er eine hundertachtziggradige Wendung vollzog) ein zweites Mal leisten könnte, über ein eigenes politisches Werk das Todesurteil zu sprechen. Er würde im eigenen Lande, und vor allem bei der jüngeren Generation, massive Widerstände mit unübersehbaren Konsequenzen auslösen.

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