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In der Gefahrenzone

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Die erste Amtshandlung des neuen Bundespräsidenten nach seiner Angelobung wird am 21. Juni die Entgegennahme der Demission des Bundeskanzlers und der Gesamtregierung sein und alsbald die Betrauung desselben Kanzlers mit der Unterbreitung eines Vorschlages an den Bundespräsidenten zur Neubildung des Kabinetts. Da das zahlenmäßige Kräfteverhältnis der parlamentarischen Parteien unverändert geblieben ist, wird die neue Regierung im allgemeinen die Züge des bisherigen Systems tragen, das auf der Zusammenarbeit der beiden großen Parteien beruhte, mit der Aufgabe, die Standfestigkeit der inneren Ordnung zu gewährleisten. Die Volkspartei hat sich entschlossen, mit Ingenieur Raab wohl ihre stärkste Persönlichkeit in das Kabinett zu entsenden. Das will bedeuten, daß die ministerielle Klaviatur neu gestimmt wird. Julius Raab drückte dies jüngst in einem Wirtschaftsblatt mit den Worten aus: „Es wird einer der wichtigsten Grundsätze einer möglichen Zusammenarbeit der beiden politischen Faktoren sein müssen, beiderseits die Verantwortung für alle Sanierungsmaßnahmen, die die schwere Zeit erfordert, mit gleichem Verantwortungsbewußtsein zu übernehmen und zu tragen.“ — Weiterreidiende personelle Veränderungen auf der Regierungsbank 6tanden bis in die letzten Tage innerhalb der Volkspartei in Erörterung. Die Motive, die derart gerichtete Wünsche bestimmten, konnten nicht mißverstanden werden. Jeder Gerechtdenkende ermaß, welche Mission einer Staatsführung zugefallen war, die das Steuer eines kriegsversehrten, von Ruinen besäten Landes übernommen und seitdem, bei jedem Schritt abhängig von fremden Mächten, trotz tausend Schwierigkeiten diesem Gemeinwesen Existenz und Fortschritt erkämpft und es vor Abstürzen bewahrt hatte, in denen andere zerbrachen. Die Männer, die ihre Vaterlandsliebe und ihren zähen Mut unter Beweis gestellt, hatten mehr als ihre Pflicht getan; ein halbes Wunder wäre es gewesen, hätten sie durch sechs Jahre aus den unbarmherzigen Realitäten, die sie durchstoßen mußten, nur Erfolge herausgeholt. Keine unter den neunzehn parlamentarischen Regierungen, die Österreich seit den Anfängen der ersten Republik hatte, erreichte eine auch nur annähernd gleiche Lebensdauer. Das erste Kabinett Seipel, jene Regierung, die das Land vor dem Untergang gerettet hatte, war die dauerhafteste Regierung der ersten Republik gewesen; sie hatte einen kaum zweieinhalbjährigen Bestand; allerdings wurde dieser von Seipel selbst begrenzt, da er aus eigener freier Initiative das Ende seiner Regierung herbeiführte, der große Staatsmann zog es vor, das Gesetz des Handelns selbst in der Hand zu behalten. Man braucht nicht das extreme Beispiel Frankreichs anzuführen,das seit 1871 über 130 Kabinette verbrauchte und nur unter dem Impetus des Kulturkampfes und dann der Kriegsleidenschaft der Regierung Combes und der Regierung Clemenceau eine zweieinhalbjährige Existenz gewährte, um darzutun, daß eine Regierung, die sechs Jahre Ausdruck und Träger der politischen Balance des österreichischen Staates war, reichlich das Recht erworben habe, Wachablösung zu verlangen. . Warum tat sie es nicht, warum folgt dem Kabinett Figl wieder ein Kabinett Figl, obwohl dieser Kanzler sich einen windstilleren und dankbareren Platz verdient hätte? Was sollen da häßliche Auslegungen der Art, die heute überall, nicht nur in Österreich, das öffentliche Leben vergröbern, bis zu dem Grad, daß selbst die Diplomatensprache in Lake Success zu einer Pöbelhaftigkeit ausgeartet ist, die jüngst einen Schilderer in der „New York Herald Tribüne“ dafür ein neues lautmalerisches Wort „Gutterge-gook“ prägen ließ. Unser österreichischer Geschmack wehrt sich und sollte sich noch kräftiger wehren gegen die verkrampfte Lieblosigkeit politischer Diskussionen, die längst schon zum Schaden des Gemeinwohls viele Menschen von der Anteilnahme am öffentlichen Leben wegscheuchte. Einer tieferschürfenden Prüfung werden die Gründe erkennbar, welche die Entschlüsse der Volksparteiführung bestimmten. Ein ruheloser Sommer steht uns bevor. Verantwortungsvollste Aufgaben wirtschaftspolitischer und sozialer Natur türmen sich in unmittelbarer Nähe auf. Erst vor wenigen Wochen neuerstellte Löhne und Produktionskosten werden von den Wirkungen eines neuen Lohn- und Preisabkommens überrannt werden. Wieder beginnt die unheimliche, schier endlose Wendeltreppe der Preisbewegung und dann die Bedrängnis der kleinen Leute, der Betriebe und Wirtschaften, die den Stoß nicht weitergeben können, der geistigen Arbeiter und freien Berufe, deren Einkommen bisher schon in dem Wettlauf der Lebenskostensteigerung weit zurückgeblieben sind; es kommt wieder die Zeit der eiligen Lizitierer und der rechenschaftslosen Mehrbegehrer. Gleichzeitig kämpft die inländische Wirtschaft mit der vom Weltmarkt ausgehenden Verknappung und Verteuerung der Rohstoffe und mit der Schwere der Folgewirkungen, die ihr nicht zuletzt eine ungesunde Politik der Preisstützung wichtiger, vom Ausland gelieferter Konsumgüter auferlegt. Genug der Quellen der Unruhe und Not. Hinter dem Busch aber liegt der verschlagene Feind auf der Lauer. — Die nächsten Monate werden der ganzen Bevölkerung Besonnenheit und bewußtes Stehen zur sozialen Gemeinschaft abverlangen. Zur gleichen Zeit dunkelt der Horizont der Weltpolitik von Gefahren,von deren Dynamik niemand weiß, auch die Mächtigen dieser Erde nicht, wie lange sie von deren freien Willen gebändigt werden kann. Diesen Monaten der quälenden, riskenreidien Probleme, der unpopulären Notwendigkeiten, der innen-und außenpolitischen Spannungen nicht einen neuen Mann opfern zu müssen, an seiner Statt diese bis in den Herbst reichende kritische Zone zu durchschreiten, ist der erkennbare Sinn der Bereitschaft des führenden Mannes, das Steuer noch in der Hand zu behalten.

Weiter gehend, in das Grundsätzliche reichend, ist die gleichzeitig in den Beratungen der Volkspartei beschlossene Rücknahme ihrer Parteifunktionäre aus der Regierung — für heute und für immer ein Bekenntnis zu einer sichtbaren reinen Scheidung unvereinbarer Ämter. Man darf darin einen wesentlichen Fortschritt begrüßen, wenn auch eine Heimkehr zu alten parlamentarischen Prinzipien. Regierung und Partei gehören ihrem Wesen nach verschiedenen Ordnungen an. Nicht nur der Opposition, sondern auch der an der Regierungsbildung beteiligten Partei kommt die Funktion einer Kontrolle des Staatsapparats zu. Deshalb wohnt der Verbindung der Führerschaft in Regierung und Partei ein Widerspruch inne. Das hat schon die frühe österreichische Demokratie erkannt: Dr. Karl Lueger wies als Führer der jungen Christlichsozialen Partei nach dem Wahlsieg von 1907, der die Christlichsozialen zur größten Partei des alten österreichischen Abgeordnetenhauses machte, den Gedanken einer Ministerschaft weit von sich; er sah es ungern, daß Parteifreunde von Autorität in der Parteiorganisation Berufungen in die Regierung Beck annahmen. Nun kehrt die Volkspartei zu dieser rigorosen Auffassung zurück. Das ist die Einleitung einer Entwicklung, über die man sich freuen kann.

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