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In der Minderheit die Stärke

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Die Katholiken stellen in den Vereinigten Staaten noch immer eine Minderheit dar. Dies gilt sowohl für ihre Zahl als auch für ihren Einfluß in der amerikanischen Gesellschaft. Im Jahre 1789, als der Vatikan die erste Diözese in Amerika gründete, gab es nur 40.000 Katholiken, bei einer Gesamtbevölkerung von vier Millionen, das heißt also nur 1 v. H. Heute zählen wir 32 Millionen Katholiken bei einer Bevölkerung von 160 Millionen, das heißt: 20 Prozent. Dem Anstieg von 1 auf 20 Prozent, von 40.000 auf 32 Millionen, kommt ohne Zweifel große Bedeutung zu. Aber diese Wachstum bedeutet noch nicht, daß Konversionen in großem Umfang erfolgt sind. Die Zahl erklärt sich vielmehr aus der großen Einwanderung von Katholiken aus Europa während des 19. Jahrhunderts. Die katholische Bevölkerung in Amerika ist im Gegensatz zu den meisten europäischen Nationen mehr städtisch. Viele der irischen und italienischen Immigranten gingen in die Großstadt. Die Deutschen siedelten sich zumeist in dem landwirtschaftlichen Mittelwesten an. Die größte Konzentration von Katholiken aber weist der nordöstliche Teil des Landes auf; etwa zwei Drittel aller amerikanischen Katholiken leben in dem Gebiet nördlich der Linie Minneapolis-Minnesota-Washington D. C, das heißt im Nordostteil der Vereinigten Staaten. Andere starke Gruppen wohnen in New Orleans und in dem abgelegenen Südwesten. Am schwächsten katholisch besiedelt ist der tiefe Süden.

Wenige Katholiken gehören in Amerika zu der obersten Gesellschaftsschicht. Im 19. Jahrhundert bildeten die Neger die einzige Gruppe, die gesellschaftlich niedriger stand als die irischen Katholiken. Auch heute noch gehört' die große Zahl der amerikanischen Katholiken zu den niedrigen Schichten. Diese Tatsache sollte immer beachtet werden, da sie vieles erklärt; so zum Beispiel, daß die Katholiken sich stärker als der Durchschnitt der amerikanischen Bevölkerung für eine soziale und fürsorglichere Gesetzgebung eingesetzt haben. Sie erklärt zum Teil, warum die Katholiken in der Gewerkschaftsbewegung so aktiv gewesen sind. Die Tatsache, daß der größte Teil der katholischen

Bevölkerung in der Arbeiterklasse zu finden ist, mag auch eine negative Seite erklären, nämlich, daß die Katholiken bisher keinen größeren intellektuellen und kulturellen Beitrag im Lande leisten konnten.

. Während nur einer von fünf Amerikanern katholisch ist, ist die Hälfte aller Industriearbeiter katholisch. Die Katholiken haben nicht den proportionalen Anteil an gesellschaftlicher und politischer Macht, noch sitzen sie in Stellungen, die mit hohen Einkommen verbunden sind. Nur etwa 25 Prozent der katholischen Mittelschüler (gegenüber 40 Prozent der Protestanten und über 60 Prozent der Juden) gehen auf ein College.

Die gesamte Arbeit der Kirche wird in den Vereinigten Staaten von freiwilligen Beiträgen getragen. Diese Tatsache hat großen Einfluß auf die Mentalität der Leute. Es gibt keine Kirchensteuer. Bischof und Priester sind dem Laien sehr nahe. Der Pfarrer ist „unser“ Priester oder er ist „unser Father“. Wir entrichten unsere Beiträge unmittelbar an ..unsere“ Pfarrei und an „unsere“ Schule. Es gibt auch noch andere Gründe, warum es zwischen dem Klerus und dem katholischen Laien in Amerika ein enges und freundschaftliches Band gibt. Die allgemeine demokratische Lebensweise, die Tatsache, daß viele unserer Priester und Bischöfe aus ärmsten Verhältnissen entstammen, die Tatsache, daß die Katholiken in Amerika sich in der Minderheit befinden, und andere Faktoren scharfen hierzu das Klima. Sicher aber ist auch die Trennung von Staat und Kirche einer dieser bestimmenden Faktoren. Die Schulen während der Kolc-nialzeit in Amerika waren kirchlich gebundene Schulen. Wenn der Staat keiner der existierenden Kirchen eine Unterstützung zukommen ließ, so wurde daraus gefolgert, daß der Staat auch keine der Schulen unterstützen werde, die kirchlich sind. So wurde das System der öffentlichen Schule entwickelt. Zunächst beherrschte der Protestantismus die öffentlichen Schulen. Die Katholiken konnten daher nicht gut ihre Kinder in diese Schulen schicken. Heute wird zwar in den öffentlichen Schuten nicht mehr Religion gelehrt, aber auch das ist wahrhaftig nicht der Idealzustand für den jungen katholischen Menschen. Aus diesen historischen und religiösen Gründen entwickelten die Katholiken in den Vereinigten Staaten ihr eigenes Schulsystem.

Heute gibt es in Amerika sechs Millionen katholische Kinder im Volksschulafter. Die Hiilfte davon, also drei Millionen, besuchen die katholische Schule. Die andere Hälfte geht in die öffentliche Schule, weil es nicht genügend katholische Schulen gibt. Das Leitbild bei dem Aufbau neuer Pfarreien ist oft: erst die Schule, d.-inn das Kirchengebäude und erst dann das Pfarrhaus. Ohne Schule kann eben die Pfarrei geistig nicht zu einem Erfolg gelangen. Die Schulen stehen unter der Leitung von Priestern und Bischöfen. Vorbildlich ist die Leistung der Schwesternschaft, die meist in den katholischen Volksschulen unterrichtet. Es gibt mehr als hun-dertfünizigtausend Nonnen in den Vereinigten Staaten. Neben den Volksschulen unterhält die Kirche Mittelschulen. Ueber 600.00 Kinder gehen zur katholischen Mittelschule. 300.000 Studenten besuchen die katholischen Colleges und Universitäten. Universitäten für die männliche Bevölkerung haben eine lange Tradition.

Aber katholische Universitäten für weibliche Studenten sind sehr jungen Datums. Die erste wurde um 1900 errichtet. Heute gibt es 125 katholische Mädchencolleges.

Die Katholiken in Amerika opfern viel für ihre Schule. Sie zahlen dem Staat den vollen Anteil an Steuer für öffentliche Schulen und haben noch dazu ihre eigenen Schulen zu unterhalten — eine Last, die immer drückender wird. Die Meinungen, ob und wie hier Abhilfe zu schaffen ist, sind selbst unter den Katholiken geteilt. Einerseits sind katholische Führer an den Staat herangetreten, um in der einen oder anderen Form eine Unterstützung zu erhalten. Anderseits wollen einige katholische Bischöfe in Amerika keinerlei Hilfe des Staates annehmen, auch wenn sie angeboten würde, weil sie dann den staatlichen Einfluß fürchten müßten.

Viele haben den amerikanischen Katholiken ihr Lob für ihr Schulsystem ausgesprochen. Die Frage ist jedoch, ob die katholischen Schulen imstande sind, dem Problem der materialistischen Säkularisierung, die die westliche Zivilisation zu untergraben droht, zu begegnen. Filme, Comics, Fernsehen, Zeitschriften und Reklame beeinflussen den jungen Menschen in einem Maße, daß die Erfolge der Schule zunichte gemacht werden können. Deshalb sind auch so viele unserer Katholiken trotz mancher Tugenden in der Praxis Materialisten. Die Schule kann diesen Kampf allein nicht zu Ende führen. Es gibt in den Vereinigten Staaten Vereinigungen wie die Bewegung des „Christlichen Familienlebens; den „Christopher-Verein“ u. a. Auch sonst werden allenthalben Versuche unternommen, den. Einzelnen und die Familie geistlich im wahren Sinne des Wortes zu machen.

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