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In Israels besetzten Gebieten

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Ich war in Nablus, um mich auf Bitten ausländischer arabischer Freunde nach dem Wohlergehen ihrer Verwandten zu erkundigen. Ein Kollege, der beim britischen Rundfunk (BBC) in London arbeitet, fragte ganz bestürzt: „Sind sie nach dem 18stündigen Luftbombardement überhaupt noch am Leben?“

Alle waren am Leben. Denn weder Nablus noch irgendeine andere Stadt wurde bei den Kampfhandlungen direkt beschädigt, und im allgemeinen hat die Zivilbevölkerung im „Westuferdistrikt“ nur sehr wenig gelitten. Die Eroberung des ganzen riesigen Gebietes dauerte kaum 24 Stunden.

Ein Bürgermeister erzählt

Nehmen wir Djenin, eine Stadt von ungefähr 20.000 Einwohnern inmitten einer landwirtschaftlichen Gegend, deren Haupteinnahmen aus der Vermarktung der landwirtschaftlichen Produkte flössen. Hwssni el Shuki, der Bürgermeister von Djenin, erzählte mir: „Nachdem zuerst die Stellungen der Arabischen Legion vor der Stadt bombardiert wurden, kam es zu einem Nahkampf. Die arabischen Legionäre zogen sich zurück und griffen die Israelis hinter der Stadt aus dem Hinterhalt an. Es kam nochmals zu einem schweren Kampf, und die Stadt war endgültig erobert. Die Einwohner flüchteten nicht, sondern sperrten sich in ihre Wohnungen ein. Um 22 Uhr wurde ich mit noch einigen Notablen zum israelischen Kommandanten gebracht, der uns bat, ein Dokument zu unterschreiben, aus dem hervorging, daß sich die Stadt ergeben habe — was wir auch an Ort und Stelle taten. Am nächsten Tag ersuchte mich die neue Militärverwaltung, mit ihr zu kooperieren, um die städtischen Dienste weiter aufrechterhalten zu können. Ich war dazu bereit. Ich habe keine Klagen vorzubringen. Im Gegenteil, ich möchte die Hilfe, die uns die Militärverwaltung angedeihen ließ, dankbar betonen.“

Auf meine Frage, ob er eine Möglichkeit zum Frieden zwischen Israel und den arabischen Staaten sehe, antwortete er, indem er jedes Wort genau abwog: „Es besteht die Möglichkeit, daß Juden und Araber in Frieden zusammen leben, und zwar, wenn beide Seiten klug sind und Verständnis zeigen.“

Die „fünfte Kolonne“ der Christen..

Kehren wir nach Nablus zurück. Ich wandte mich an einen der christlichen Geistlichen des Ortes. Die Stadt zählt rund 80.000 Einwohner, davon 1000 Christen der verschiedenen Konfessionen, die alle miteinander kooperieren: denn sie stehen alle vor den gleichen schwierigen Problemen. Mein Gesprächspartner konnte zwar die gesuchten Adressen nicht finden, doch da er sich schon jahrelang in Nablus aufhält, sprachen wir von der sich ergebenden neuen Lage. „Wir Christen hatten es unter dem jordanischen Regime immer schwer. Dem Gesetz nach war es verboten, dem Christentum beizutreten, und im Falle einer Mischehe mußte der christliche Ehepartner zum Islam übertreten. Von 3000 Christen in der Stadt wanderten 2000 während der letzten Jahre aus. Viele wollten im Ausland mehr verdienen, andere fühlten sich als erdrückend kleine Minderheit immer wieder benachteiligt. Christen konnten nie höhere Regierungsbeamte werden und hatten auch Schwierigkeiten, trotz ihrer Fähigkeiten leitende Posten in Privatbetrieben zu bekommen. Wir sind Araber — aber Christen. In den Tagen der Spannung, die der Eroberung von Nablus vorangingen, zogen es die Christen vor, sich in ihren Wohnungen einzuschließen und sich nicht auf der Straße zu zeigen. Denn man konnte immer wieder hören: Ihr seid eine fünfte Kolonne; ihr macht mit den Juden gemeinsame Sache und freut euch an der arabischen Niederlage ...“

Der Geistliche fuhr fort: „In nächster Zukunft glaube ich an keinen Frieden im Mittleren Osten. Der mohammedanische Glaube ist so fanatisch und die Araber leiden unter solchen Minderwertigkeitskomplexen, daß sie sich immer aufs neue selbst Mut zusprechen und in jedem Europäer — die Israelis inbegriffen — einen Feind sehen.“

Auf der Straße sprach mich auf Hebräisch eine junge Frau an, als sie merkte, daß ich mich nach verschiedenen Adressen erkundigte. Sie war Mohammedanerin, trug aber keinen Schleier, eine Seltenheit mit Museumswert in Nablus. Es handelte sich um die Frau des Direktors der größten Bank von Nablus, die mich in ihr Haus zu einer Tasse Kaffee einlud. Ich stand in einer Gruppe von Leuten, die alle ehrfurchtsvoll zur Seite gingen, als ich von einer „Dame der hohen Gesellschaft“ eingeladen wurde.

Bei dem Bankdirektor trafen wir auch den Chefarzt der UNRWA — United Nation« Relief War Resistance — von Nablus. Diese UNO-

Organisation betreut 150.000 arabische Flüchtlinge, die 1948 ihre Wohnorte, die heute in Israel liegen, verließen, und versorgt sie mit Lebensmittelrationen von insgesamt 900 bis 1500 Kalorien täglich. Lassen wir den Arzt sprechen: „Die israelische Besatzungmacht hat sich, im Grunde genommen, zu uns sehr menschlich verhalten. Ich habe die Besatzungsmächte in Deutschland kennengelernt; sie waren viel strenger im Umgang mit der deutschen Bevölkerung. Aber Israel hat nichts für unsere Arbeitslosen getan, und die Situation wird schlimmer; die Reichen zehren an ihren Spargroschen und die Armen sind dem Hunger nahe.“

Geschäfte mit der Politik

Auf dem „Schuk“ — dem arabischen Markt — in Nablus herrschte Hochbetrieb. Hunderte saßen herum, rauchten ihre Wasserpfeifen, und in vielen Bogengängen von Nablus wurden Fleisch, arabische Stoffe und Kolonialwaren in Hülle und Fülle feilgeboten. Man sah nur Männer auf der Straße, viele gingen Hand in Hand. Die Frauen lugten mit Neugier hinter den verschlossenen Fensterläden hervor und auf das Treiben herunter.

Langsam senkte sich die Sonne hinter die Berge von Nablus. Die Zeit für den Beginn des Ausgehverbots nahte, und mit gemischten Gefühlen verließen wir die Stadt.

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