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In jedem jahr : neu anfangen!

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Auch von der Landwirtschaft erwartet man zum Jahresende immer wieder von neuem nur von Fortschritten zu hören. Gewiß ist auch hier die Entwicklung nicht stehengeblieben, und die eine Seite der Bilanz kann ebenso mit eindrucksvollen Fortschritten aufwarten. Noch stehen die Jahreszahlen nicht zur Verfügung, aber es ist kein Zweifel, daß sich die Technisierung auch 1959 im scharfen Tempo weiter vollzogen hat, daß wieder einige tausend Traktoren, Mähdrescher u. a, m. laufen als im Vorjahre, daß wieder mehr Kunstdünger und Schädlingsbekämpfungsmittel aufgewendet wurden, daß die Schulung und Fortbildung immer mehr Landwirte und Jugend erfaßt, daß weitere Investitionen vorgenommen wurden, Grundstückszusammenlegungen, Bodenmeliorationen, Wegebauten, Wasserleitungen, Elektrifizierungen usw. die Produktionsgrundlagen der Landwirtschaft verbessert haben.

Daß ein Zuwachs der Ernten und der tierischen Leistungen in der Landwirtschaft nicht alljährlich gleich voll zu erkennen ist. ist auf die vom Menschen nicht beeinflußbaren Wechselfälle von Witterung und Gesundheitszustände zurückzuführen.

So hat nach einer überreichlichen Obsternte des Vorjahres der Frost in der Blütezeit die Erntehoffnungen für 1959 vernichtet. Und als die Ernte der Bodenfrüchte so schön stand, wie selten jemals, hatte eine Periode übermäßigen Regens die besten Erwartungen zunichte gemacht. Schwere Ueberschwem- mungsschäden haben vielen tausenden Landwirten die Ernte vermindert oder vernichtet und durch Vermurungen manche Kulturflächen zerstört. Oeffent- liche und private Hilfsaktionen mußten eingeleitet werden, um vielen existenzbedrohten Landwirten beizuspringen. Neben den Schäden an der Futterernte und der Getreideernte war auch die Ernte an Hackfrüchten nur eine geringere; wenn auch der Zuckergehalt der Rüben infolge des langen, warmen Herbstes ein besonders hoher war. hat die Trockenheit anderseits wieder die Herbstweide entfallen lassen und dem Aufgang der Wintersaaten geschadet.

In der Milchwirtschaft, der wichtigen Einnahmequelle der vielen kleinen Betriebe — 47 Prozent der Marktleistung stammt von Betrieben bis zu zehn Hektar — war die Absatzlage wieder günstiger als im Vorjahre, der Krisengroschen konnte allmählich von 15 Groschen auf 2 Groschen je Liter abgebaut werden, was nicht unbeachtliche Mehreinnahmen bedeutete. Auch in der Rinderzucht und Schlachtviehproduktion konnten beachtliche Erfolge erzielt werden; die Ausfuhr hatte mit zunehmendem Umfang eingesetzt, als sie leider im Sommer zunächst eingestellt wurde und nachher nur noch unzureichend ein- setzen konnte. Dagegen wurde die Schweineproduktion in diesem Jahre aus preislichen Gründen wieder rückläufig, und über 160.000 Schweine mußten bis nun schon wieder aus dem Ausland bezogen werden.

Zum Vorteil der Landwirtschaft hat sich die 1959

erstmals mögliche Auszahlung der Renten der Alterszusatzversicherung wieder ausgewirkt, wie sich auch schon die Kinderbeihilfe als beträchtliche Hilfe für viele Landwirtefamilien erwies.

So schmerzlich die genannten Wechselfälle des Jahres wieder die Landwirtschaft getroffen und viele Mühen, Fortschritte und Hoffnungen der Landwirtschaft zerstört haben; insgesamt hat sich sicherlich trotzdem wieder die Produktivität der Landwirtschaft dank des vollen Einsatzes der Bauern erhöht, wie es in allen Jahren seit dem Wiederaufbau der Fall war. Seit 1937 ist die Flächenproduktivität der Landwirtschaft (Erträge je Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche) bis 1958 um mehr als ein Drittel (33,8 Prozent) gestiegen, und die Arbeitsproduktivität (Erträge je Arbeitskraft) hat in der gleichen Zeit von 100 auf j 50,9 Frozent zugenommen und hat so die Zunahmen der Arbeitsproduktivität in der Industrie (ohne Handwerk und Handel), die um 40,4 Prozent gestiegen ist, sogar nicht unwesentlich übertroffen. Untersuchungen haben gezeigt, daß selbst der Kapitaleinsatz je Arbeitskraft in der Landwirtschaft wesentlich höher ist als in der Industrie. Angesichts dieser Tatsachen der Landwirtschaft immer noch Rückständigkeit vorzuwerfen, ist absurd. Die Landwirtschaft ist nicht rückständig in ihrer Wirtschaft, weder heute noch früher. Ihre Fortschritte in der Erzeugung waren es, die überhaupt erst eine industrielle Entwicklung ermöglichten, und die Expansion der Industriewirtschaft von heute wird mehr als durch den Bevölkerungszuwachs von den Ueberschüssen der landwirtschaftlichen Bevölkerung gespeist. Sicherlich sind die Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft auch nicht ohne die Hilfsmittel aus der Industrie (Maschinen, Kunstdünger usw.) möglich geworden. Die immer engere Verflechtung von Industriewirtschaft und Landwirtschaft verbindet beide Wirtschaftszweige immer mehr auf Gedeih und Verderb.

Aber diese Erfolgszahlen der landwirtschaftlichen Produktion sind nur die eine Seite ihrer Bilanz, die andere Seite zeigt ein ganz anderes Gesicht, das durchaus nicht in den allgemeinen Fortschritt unserer Wirtschaft hineinpaßt und geeignet erscheint, diesen selbst früher oder später zu gefährden. Es wäre verhängnisvoll, dies zu übersehen und in einem Jahres- lückblick darauf nicht einzugehen.

Da ist zunächst einmal die ständig fortschreitende Abwanderung gerade der vollwertigsten Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft — bei der noch kein Ende abzusehen ist — und mit dieser gehen auch stets beachtliche Vermögensteile mit (Erziehungskosten und Erbteile). Gegenüber 1937 sind bereits 54 Prozent der pflichtversicherten Landarbeiter abgewandert, in ähnlichem Ausmaß sind auch die Familienarbeitskräfte abgewandert und in immer geringerem Maße durch den Nachwuchs der Bauernfamilien wieder ersetzt worden. Damit mehren sich von Jahr zu Jahr die „auslaufenden“ Höfe, deren Kinder den Hof nicht mehr weiterführen wollen. In den letzten Jahren häufen sich aber in den ungünstigeren Produktionslagen die Fälle, in größeren wie in kleineren Betrieben, ganz gleich, :n denen landwirtschaftliche Nutzflächen aufgeforstet werden oder brach liegen bleiben, ja die vollständig aufgeteilt oder einfach liegen gelassen werden, wo sich kein Käufer mehr für die Grundstücke findet. Auch 1959 sind diesbezüglich wieder beachtliche „Fortschritte“ erzielt worden. Der Zwang zur Technisierung hat weitgehend die Kapitalreserven des Waldes angegriffen, die Holzbestände haben die ersten Maschinenanschaffungen zum großen Teil finanziert. In den letzten Jahren ist daher zusehends die Verschuldung der Landwirtschaft angestiegen. Seit 1954 bis 1958 hat sie sich verdoppelt, ist von 3,3 Milliarden Schilling auf 6,2 Milliarden Schilling angestiegen und wird bis Ende dieses Jahres neuerdings beträchtlich zugenommen haben. Das ist um so bedenklicher, als die hohen Zinsen von der Landwirtschaft, die kaum ihr Kapital überhaupt verzinsen kann, zu neuen Schulden führen werden.

Die Preisschere öffnet sich weiter von Jahr zu Jahr. Während der Index der landwirtschaftlichen Erzeugnispreise seit 1951 von 659 (1937 = 100J bis heute nur auf 806 gestiegen sind, sind die Preise der Betriebsmittel, die Löhne und Sozialbeiträge, die Preise der landwirtschaftlichen Kosten insgesamt in derselben Zeitspanne von 761 auf 1002 gestiegen, so daß sich die Spanne zwischen Erzeugnis- und Kostenpreisen, die schon 1937 ehr beachtlich war, seither nahezu verdoppelt hat.

Sicherlich ist ein Teil dieser Entwicklungen ein Ergebnis der Fortschritte der landwirtschaftlichen Produktion, der Dynamik in der Landwirtschaft selbst, die sich mit der übrigen Wirtschaft mit der zunehmenden Markteingliederung, den technischen Fortschritten, in Wandlung befindet. Aber es kommt auf das Maß der Entwicklung an.

Daß die Landflucht in ihrem Ausmaße nicht die Lage der anderen landwirtschaftlichen Arbeitskräfte erleichtert hat, darauf weist hin, daß die Aerzteschaft gerade dieses Jahr auf die zunehmenden gesundheitlichen Schäden der Landbevölkerung aufmerksam gemacht hat. Auch die Resignation und die Hoffnungslosigkeit in der bäuerlichen Bevölkerung nimmt zu, und es ist erschütternd, von seiten der bäuerlichen Jugend immer wieder die Frage zu hören: „Lohnt es sich überhaupt 'noch, Bauer zu werden?“ Das sind keine Zeichen einer sich in gesunder Regeneration befindlichen Landwirtschaft.

Schließlich ist das Hauptanliegen der Landwirtschaft, um das ein jahrelanger Kampf geht, das Landwirtschaftsgesetz, das ja vorerst lediglich die gesetzliche Anerkennung der Ansprüche der Landwirtschaft auf wirtschaftliche und soziale Gleichberechtigung und Gleichstellung dem Grunde nach bringen kann, auch dieses Jahr wieder nicht erfüllt worden.

Wir wollen aber die wohl überwiegend negative Bilanz des Jahres 1959 nicht schließen, ohne doch wieder der starken Zuversicht und Hoffnung Ausdruck zu geben, daß die Landwirtschaft weiterbestehen bleiben wird, weil sie es muß und weil das Volk nur aus eigener Landwirtschaft dauernd und sicher ernährt werden kann. Der Bauer hat jedes Jahr seine Arbeit neu zu beginnen, als ob es das erstemal wäre, auch wenn ihm das vergangene nur Unheil und Mißgeschick gebracht hätte; er wäre nicht Bauer, wenn er nicht an die göttliche Ordnung der Dinge glauben würde und bereit wäre, jeden Schicksalsschlag wieder zu überwinden, und davon überzeugt wäre, daß letzten Endes sich das Gute und Notwendige wie das Wahre sich durchsetzen werde. So geht er unverzagt in den Kampf des neuen Jahres in der Erwartung, daß einmal auch ein Erfolg seiner unablässigen Arbeit eintreten werde und er zuversichtlicher der weiteren Entwicklung entgegensehen kann. Es ist aber unerläßlich, daß die Einsicht in allen Kreisen der Wirtschaft und Bevölkerung mehr als bisher Platz greift, daß es keineswegs nur um die Landwirtschaft selbst geht, sondern daß Agrarpolitik und das Schicksal der Landwirtschaft alle angeht, daß man nicht eine so wichtige Grundlage der Existenz eines Volkes verkommen lassen kann, ohne selbst Schaden zu erleiden.

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