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In Kremsmünster

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Studienwoche der katholischen Hochschuljugend Österreichs 1949

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Studienwoche der katholischen Hochschuljugend Österreichs 1949

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Kremsmünster, das fast 1200 Jahre alte Stift im sanften Alpenvorland, öffnete i diesem Jahr in der letzten Augustwoche zum drittenmal seine Tore für die Teilnehmer einer Studienwoche der katholischen Hochschuljugend. In der romanischen Kapelle, im hellen frühbarocken Kaisersaal, welchen das Stift nicht als Museum verwahrte, in den -Gärten, Vortrags- und Diskussionsräumen lebte und arbeitete eine junge christliche Gemeinschaft von etwa 150 Akademikern und fortgeschrittenen Studenten im Gespräch mit den Vortragenden. Die Vorträge fanden starken Widerhall: denn die Mächte der Welt, die entfesselte Sexualität, die weithin zwingenden Kräfte der Wirtschaft und die Gewalt des Politischen (die drei Haupthemen der Tagung) greifen in das Leben und an die Existenz jedes einzelnen Christen. Sie fordern ihn ein zu einer echten Auseinandersetzung. Deshalb trat in der diesjährigen Tagung die Systematik zurück. In lebendiger Auseinandersetzung vollzog sich das Ringen um Definition und geistig Klarheit. Nicht einem vorschnellen Aktivismus wurde das Wort geredet — Urs von Balthasar erzählte in einem Abendgespräch über das geistige Leben in Frankreich, von der Freundschaft Henri de Lubacs, des Vorkämpfers für die Erneuerung theologischen Lebens, mit den Priestern, die in den Fabriken der Bannmeile von Paris arbeiten —, sondern der gegenseitigen Befruchtung von Theorie und Praxis, der Notwendigkeit eines geistigen Rüstzeuges für innerchrist- Üche Aktivität. Gerade die konkreten, dem Leben unmittelbar entnommenen Fragen, die der Gynäkologe, Vorstand einer Wiener Universitätsklinik, dann ein Sozialist und dann wieder ein Praktiker der Macht, ein ehemaliger Nationalsozialist, der die mühevolle innere Umkehr vollzogen hatte, vom Vortragspult her, aufwarfen, zeigten, daß der Christ aus einer neuerlebten Geistigkeit, aus einem neuerweckten Gewissen heraus leben muß. Durch diese, das „Ghetto“ sprengende, umfassende katholische Weite entstand eine Gesprächsgemeinschaft, welche auch protestantische Theologen und Studenten einbezog, ohne jedoch ihnen oder anderen Weltanschauungen gegenüber Grenzen zu verwischen. Der neue Weihbischof von Linz, Dr. F. Zauner, der mit dem Motorrad zur Tagung kam, sprach offen und praktisch von seiner Sorge um heilige junge Priester und Familien, wodurch die Arbeit der Studien woche, besonders in den Fragen der Reinheit und Ehe auch unmittelbar in den Raum der Kirche eintrat.

Das Erschrecken über die Radikalität der

Bergpredigt, die vor dem ersten Vortrag Urs von Balthasars verlesen wurde, versuchte dieser mit seiner Deutung derselben zu vertiefen. Er lehnte eine „Synthese" zwischen Christus und der Welt ab, weil Christus Mittelpunkt der Schöpfung und diese nur im Zusammenhang mit der historischen Erlösung zu verstehen ist. Die Bergpredigt, die Aufforderung Christi zur Anteilnahme’ an seinen konkreten Haltungen, läßt sich nicht auf eine „allgemeine Ethik" reduzieren, genau so, wie das christliche Denken den Menschen nur von der Ubernatur, das heißt von Christus her, letztlich verstehen kann. Dieser Radikalität entspricht die direkte Hingabe an Christus im Ordensstand, dem die volle, auch formale Befolgung der aus der Bergpredigt abgeleiteten Räte aufgetragen ist. Aber auch der Weltstand muß nach der materiellen Erfüllung der Räte der Bergpredigt streben und sie in der Welt zu verwirklichen suchen. Dieser Grundgedanke des Maximalchristentums zog sich auch durch Otto M a u e r s „Metaphysik des Eros“ und „Theologie, der Ehe". Ihm ging es um die Heimholung des Eros ins Christliche, um die Realisierung der Gottesliebe in der Ehe. Michael P f 1 i e g 1 e r stellte sodann die natürliche Pflicht zur Ehe in einer klaren Auslegung des heiligen Thomas heraus — ein Ruhepunkt in dem bewegten Gang der Tagung — und korrigierte in einem anschließenden Vortrag das von vielen, auch von Theologen verzeichnete Bild der christlichen Jungfräulichkeit, deren Wesen aus positiven, nicht aus negierenden Momenten besteht.

In der Diskussion über die Mächtigkeit des ökonomischen wurde der Geist der Armut ab die jener entgegenwirkende spezifische Macht des Christen bestimmt. Der Christ muß in voller Erkenntnis der Realität der Wirtschaft und ihrer ungeheuren Kräfte um ihre Meisterung aus christlicher Substanz ringen. Friedrich Heer gab, um die Macht des Christen als Christin herauszuarbeiten, ein Zeitanalyse, indem er drei in Geschichte und Gegenwart nebeneinander wirksame Reichsauffassungen des Christen gegeneinander abgrenzte. „Israel“, das religiös-politische Machtreich, bedeutet den Glauben, daß Gott Garant de irdischen Erfolges seiner Gläubigen ist. Inj zweiten Reich manifestiert sieh die Gottesvorstellung der Majestas Dei, des Jupitergottes der Renaissance, des Herrn der Ratio und der Macht-Kunst, im Glauben der Träger und Führer des Komplexes Staatskirche- Kirchenstaat an den Erfolg ihrer Heere, Kanzleien und Diplomaten. Die Macht des Reiches des Gekreuzigten beruht darin,

daß in ihm der Christ auf die Machtmittel der beiden ersten Reiche verzichtet — auch, und gerade angesichts der militärisch-politischen Machtstellungen des totalen Staates. Die Nächstenliebe, die konkrete Feindesliebe, nackt und bloß wie das Kreuz, ist das einzig wirkungsvoll spirituelle „Machtmittel“ des Christen als Christen in unserer Zeit.

Bewegt schloß die Tagung. In ihr wurde auf eine erregende Weise die Tiefe der Gegensätze, der Schwierigkeiten sichtbar, denen heute der Christ in der Welt gegenüber- steht. Aber auch die reine Größe und Durchbruchskraft der einen Macht des Christen: des bedingungslosen Glaubens.

Dr. Leopold Rosenmayr

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