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In Neutralität gefangen

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„Das neutrale Österreich erhebt in dieser Stunde die ernste Forderung, daß sich alle, die dies angeht, bewußt sein mögen, daß die Herrschaft über fremde Völker und die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung ihnen niemals Segen bringen wird. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Sehnsucht jedes einzelnen Menschen nach Freiheit sind so elementare Gewalten, daß man sie nur zeitweise brutal niederhalten, sie aber niemals aus dem Bewußtsein der Völker wird ausschalten können “

Diese Worte sprach am 11. November 1956 der österreichische Bundeskanzler Julius Raab im österreichischen Rundfunk — und um diese Worte ist zwölf Jahre später ein Prestigestreit der Parteien erwachsen. Der Adressat der Worte war 1956 und 1968 gleich: die Russen hatten ein Jahr nach dem Staatsvertrag in Ungarn das gleiche getan wie in diesem Jahr in der Tschechoslowakei.

Nun freilich — so meinte SPÖ- Vorsitzender Kreisky — habe die Regierung Klaus nicht jene klare Sprache gefunden wie einstmals das Koalitionskabinett durch den Mund von Julius Raab.

Allerdings: das Prestige eines Julius Raab reichte selbst aus, einen Chruschtschow zu kritisieren — das Prestige von Josef Klaus ist erst im Reifen begriffen. Nach seinen zahlreichen Ostredsen, die ihn 1967 nach Moskau, Budapest, Sofia und Bukarest geführt hatten, hoffte Klaus auf eine neue Ostpolitik des neutralen Österreich; denn — so argumentierte die Umgebung des Kanzlers seinerzeit nach der Fahrt nach Moskau — die neue Garnitur des Kreml schätze Österreich als Brückenland bei den Bemühungen um die Verbesserung des Ost-West-Klimas. Doch dieses Klima — und damit die Hoffnungen von Dr. Klaus — zerstörten die Panzer und MGs der Roten Armee in unleash ns eirfoeinstfir 1

„Nicht dramatisieren“ „

Noch nicht im Klärefi übet“ ia8' Ausmaß des Ereignisses berief der Bundeskanzler am 21. August — wenige Stunden nach dem Einmarsch der Russen in der CSSR — die Alleinregierung aus dem Urlaub nach Wien. Schon vorher soll — unbestätigten Meldungen zufolge — der Nachrichtendienst des Verteidigungsministeriums Funkmeldungen über die Planung der Invasion empfangen haben. Auf dem Weg über Prader wurde auch Klaus — so heißt es •— informiert. Doch Klaus soll nicht an die Möglichkeit geglaubt haben, daß es tatsächlich zur sowjetischen Intervention kommen könnte.

Immerhin hätte Prader — die Vorbereitungen für den Soforteinsatz des Bundesheeres getroffen. Und so ist es nicht erstaunlich, daß die Grenzsicherung in vorbildlicher Weise tatsächlich absolut prompt erfolgte. Die Bundesregierung schloß sich der Meinung des Kanzlers an, daß alles getan werden müsse, um keinen Anlaß für einen Vorwurf der Neutralitätsverletzung zu geben. Das ging so weit, daß Informationsstaatssekretär Pisa den österreichischen Journalisten den Ratschlag gab, nichts zu dramatisieren. Journalisten freilich lassen sich ungern von einem — zu Regierungsehren gekommenen — Exjournalisten schulmeistern.

Evident freilich wurde der Gegensatz zwischen der offensiven SPÖ und der repressiven Regierung durch den Mangel, daß auch kein prominenter ÖVP-Sprecher den Parteistandpunkt der Bürgerlichen dargelegt hatte. Nicht zum ersten Mal — aber klar erkennbar — zeigte sich der offensichtliche Mangel, daß Generalsekretär Dr. Withalm jetzt Vizekanzler ist — und für seine Partei mit einer massiven Stellungnahme nicht heraus konnte. Kreisky wiederum wußte die Sympathien weiter Kreise in Österreich geschickt auszunutzen, als er namens der SPÖ eine harte Stellungnahme gegen UNO- Generalsekretär U Thant abgab, die in jeder Beziehung erfreulich aus dem Bukett der Erklärungen zum Prager Sommer hervorragte: weil Sie konkret war und die UNO als das demaskierte, was sie in Wirklichkeit

ist: ein Forum lautstarker Redereien, das uneffektiv wird, wenn Großmächte Kleinstaaten bedrängen.

Man muß der SPÖ im Zuge der Ereignisse attestieren, daß unmißverständlich eine klare Linie gefunden wunde: eine Linie, die in deutlichem Widerspruch zum Slalom anläßlich der Wahlempfehlung der KPÖ bei den Nationalratswahlen 1966 steht.

Umwege einer Meldung

Das laue Treten auf dem Platz des offiziellen Wien hinderte die Sow-

jets natürlich nicht, auch Österreich zu attackieren. Zwar wiederholten sowjetische Zeitungen nur jene Jahreszeitenten, die das KPÖ-Organ „Volksstimme“ schon vor längerer Zeit losließ und die von der Ausbildung von NATO-Agenten in einer Salzburger Kaserne sprachen: aber die Aufregung war groß, obwohl ganz offensichtlich die Tschechen und nicht die Österreicher die Adressaten der Meldung sein dürften. Denn die Meldung über das Einschleusen via Österreich sollte als Druckmittel gegen Prag wirken, nicht nur ent

lang der westdeutsch-tschechischen Grenze Sowjets zu stationieren, sondern auch entlang der CSSR- Grenze gegen Österreich.

Die Bevölkerung stellte der österreichischen Regierung allerdings ein gutes Zeugnis aus: Fernsehinter- viewer Eissler hörte aus dem Mund von Herrn Jedermann, daß der „kleine Mann“ fand, daß sich die Regierung richtig verhalten habe; und daß man auch in Zukunft alles vermeiden solle, was die Neutralität verletzt.

So gesehen sollte auch Generalintendant Bacher, der seine Maßnahmen sehr gerne als „Volkesstimme“ interpretiert, diese in Hinkunft vorsichtiger und koordinierter setzen, Ätherwellen sind zwar nicht physikalisch österreichisches Hoheitsgebiet, aber doch politisch

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