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In Rio: Bischöfe gegen Polizei

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Zwischen der brasilianischen Militärregierung und der katholischen Kirche des Landes ist es nach einer mehrmonatigen Periode „abwartender Ruhe” erneut zu schweren Spannungen, verschiedentlich sogar zu offenen Auseinandersetzungen, gekommen. Der Widerstand im Klerus gegen das herrschende System ist in den letzten Wochen rapid gewachsen und hat zum Teil auch höchste Persönlichkeiten der Kirche in Brasilien erfaßt, die bisher gegenüber dem Regime Marschall Costa e Silvas eine eher neutrale Haltung eingenommen hatten. Anlaß zum Ausbruch des offenen Konfliktes zwischen den Behörden und Exponenten der katholischen Kirche waren die gewaltsame Unterdrückung des Kampfes der brasilianischen Studenten für ein größeres Maß an Freiheit für das akademische und darüber hinaus das gesamte geistige und politische Leben des Landes und im besonderen die Erschießung des 16jährigen Studenten Edson Lima Souto durch Polizeitruppen während einer Demonstration in Rio de Janeiro. Im Anschluß an die Beerdigungsfeierlichkeiten hatten im ganzen Land Unruhen unter Studenten, Intellektuellen und Geistlichen eingesetzt. Kern dieser Demonstrationen war Rio de Janeiro gewesen, wo Panzer gegen Demonstranten eingesetzt worden waren.

In vielen brasilianischen Kirchen wurden Gedenkgottesdienste für den erschossenen Studenten abgehalten. Eine große Feldmesse im Zentrum von Rio de Janeiro, für deren Abhaltung bereits die Erlaubnis erteilt worden war, wurde im letzten Augenblick mit der Begründung verboten,

daß Gottesdienste nur im Inneren einer Kirche gefeiert werden dürften. Ein Gedenkmarsch der Studenten, der im Anschluß an den Trauergottesdienst hätte stattfinden sollen, wurde gleichfalls untersagt. Daraufhin kam es zu einem Gedenkgottesdienst in der Candelaria-Kirche der Stadt, an dem allein innerhalb des Gotteshauses 3000 Menschen teil- nahmen, obwohl die Besucher Schwaden von Tränengas durchschreiten mußten. Als die Teilnehmer die Kirche verlassen wollten, erwarteten sie Scharen von Polizisten mit erhobenen Schlagknüppeln. Daraufhin bildeten der Weihbischof von Rio, Alberto Josef Lopes de Castro Pinto, mit jenen 16 Priestern, die mit ihm den Trauergottesdienst konzelebriert hatten, eine „lebende Mauer” und schritten — noch in den liturgischen Gewändern — den Gottesdienstbesuchern voran, um sie vor der Polizei zu schützen. Trotzdem ritten, mit Säbeln um sich schlagend, berittene Polizisten in die Menschenmenge hinein.

In den letzten Tagen konnte eine Kommission von Geistlichen in Begleitung von Ärzten Polizeistationen und Gefängnisse besuchen, um den Festgenommenen „Trost und Gesundheit” zu bringen. Weihbischof Lopes de Castro Pinto und die anderen Konzelebranten des Trauergottesdienstes veröffentlichten mit Zustimmung Kardinal Jaime de Barros Camaras, des Erzbischofs von Rio, der bis jetzt gegenüber dem Militärregime eine abwartende Haltung an den Tag gelegt hatte, einen Rapport über die Vorkommnisse, der die verantwortlichen Amtsstellen schwer belastet. Mehr als 50 andere Geistliche publizierten eine noch schärfere Verurteilung der Ereignisse, in der der Regierung ausdrücklich vorgeworfen wird, am Tod des Studenten die volle Schuld zu tragen. Ähnliche Erklärungen wurden von Priestern der Städte Sao Paulo und Belo Horizonte abgegeben. In einer Stellungnahme von 30 Priestern aus Belo Horizonte heißt es wörtlich: „Wir müssen endlich einsehen, daß Brasilien mehr Studenten als Soldaten braucht; mehr Universitäten als Militärlager; mehr Bücher als Waffen; mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden als Gewalt, Furcht und Unterdrückung.” Einer der betroffenen Geistlichen in Rio stellte fest: „Wir kehren zu den Zeiten der Katakomben zurück.” „Kein Christ”, so erklärte der Prior des Dominikanerkonventes in Sao Paulo, Francisco de Araujo, „kann das heutige brasilianische Regime akzeptieren.” Die Ordnungsstrukturen, die von der gegenwärtigen Regierung unterhalten werden, stünden im Konflikt mit dem Evangelium. Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Brasilien seien schlecht, und sie würden sich zweifellos noch verschlimmern, wenn das Regime seinen derzeitigen Kurs weiter verfolge.

Unterdessen sind in Rio noch nicht bestätigte Meldungen eingetroffen, wonach in verschiedenen Landesteilen sogar Truppeneinheiten in die Kirchen eingedrungen sind. Es sollten verschiedentlich auch Schüsse auf Demonstranten abgegeben worden sein, die sich in den Schutz der Gotteshäuser begeben hatten. Sollten in Brasilien nun die Tage Wiederkehr en, die Mexiko vor etwa 40 Jahren durchlebte?

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