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In Stadt und Land

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Heute ist es bereits schwierig geworden, ein Kraftfahrzeug zu konstruieren, das den Schwierigkeiten des Stadtverkehrs ebenso gerecht wird wie denen des Ueberlandverkehrs. Die Gegebenheiten dieser beiden Verkehrsarten werden immer gegensätzlicher. Erfordert doch der Ueberlandverkehr hohe Geschwindigkeiten bei entsprechend hohen Leistungen im oberen Drehzahlbereich, um rasches Vorfahren einerseits und gute Durchschnittsgeschwindigkeiten anderseits zu erreichen. Wenn man bedenkt, daß heute Lkw. und Omnibusse Geschwindigkeiten zwischen 70 und 120 km/h erreichen, dann wird sofort deutlich, daß ein solche Fahrzeuge überholender Pkw. sehr hohe Beschleunigungsfähigkeit besitzen muß, um den an sich kritischen Ueberholvorgang in kürzester Zeitspanne beenden zu können. Es ist daher wichtig, daß der Vorfahrende ein Fahrzeug zur Ver-ftrgTjrig hat, das, wenn es ein Vierganggetriebe besitzt, mit dem dritten Gang, der guten Beschleunigung wegen, mindestens zwischen 90 und 100 km/h erreichen kann. Eine entsprechende Abstufung nach unten muß ebenfalls gefordert werden, und zwar bis etwa 60 oder 70 km/h im zweiten und möglichst bis zu 40 km/h im ersten Gang. Das bedeutet nicht, daß die effektive Spitzengeschwindigkeit des Fahrzeuges sehr wesentlich über 110 oder 120 km/h hinausgehen muß. Das maximale Drehmoment für Fahrzeuge, die sich im Ueberlandverkehr bewähren, soll daher in das obere, also zweite Drittel des Drehzahlbereichs gebracht werden. Bei einem Fahrzeug, das eine maximale Drehzahl von 3600 U/min erreicht, müßte demnach das maximale Drehmoment um 2400 U/min liegen. -

Diese Eigenschaften sind nun im Ueberlandverkehr sehr begrüßenswert. Im Stadtbetrieb jedoch verändert sich die Situation wesentlich. Fahrzeuge, deren maximales Drehmoment im zweiten Drittel liegt, sind im Stadtbetrieb im allgemeinen nicht sehr elastisch und erfordern damit häufiges Schalten und relativ rasantes Fahren, das man gerade im heutigen Stadtbetrieb nicht angenehm empfindet. Hier bewähren sich vor allem Fahrzeuge, deren maximales Dreh-momenFln der Mitte oder vielleicht sogar noch darunter zu suchen ist. Es handelt sich hierbei um Maschinen, die einerseits sehr elastisch sind, da sie auch in hohen Gängen mit niedrigen Geschwindigkeiten ohne Schädigung für die Maschine betrieben werden können und anderseits gerade bei niedrigen Geschwindigkeiten gute Beschleunigungsfähigkeit besitzen, die allerdings dann bei Erhöhung der Geschwindigkeit schlechter wird, also genau gegenteilig. Sie sind für den Ueberlandverkehr weniger gut geeignet.

Außerdem ist heute im Stadtbetrieb ein ununterbrochenes Schalten erforderlich, das dem Kraftfahrer keine Freude bereiten kann und effektiv als lästig empfunden wird. Angenehm wäre gerade für den heutigen Stadtverkehr ein Automatikgetriebe, das den Schaltvorgang überhaupt wegfallen läßt. Wir kennen solche Anlagen bei fast allen amerikanischen Typen, bei denen man gleichfalls auf Grund der schwierigen Verkehrsverhältnisse in den Großstädten zu dieser Lösung kam. Solche automatische Getriebe aber erfordern relativ starke Maschinen, die in Europa wiederum nicht in Erscheinung treten, da hier gerade der Klein- und Mittelklassewagen die Norm darstellt und-fast alle • europäischen Automobilfabriken nur bis zum Mittelklassewagen bauen. Die Lösung der Getriebefrage steht für europäische Verhältnisse noch aus. Es müßten von den zuständigen Firmen, wie etwa ZF Friedrichshafen usw., Konstruktionen auf den Markt kommen, die für den Serienwagen immer noch preisgünstig wären, außerdem aber robust und, was vielleicht die Hauptforderung darstellt, speziell für Klein-bis Mittelklassewagen geeignet sein müßten.

Ein zweites Problem stellt heute der Verbrauch eines Kraftfahrzeuges dar. Die Normwerte werden nach einer einheitlichen Formel errechnet, die folgendermaßen lautet: Bei dem zu prüfenden Fahrzeug muß es sich um eine reihenmäßige Ausführung mit üblicher Vergaser- und Zündeinstellung handeln. Das Fahrzeug muß mit dem zulässigen Gesamtgewicht belastet sein, der Motor soll eingelaufen sein und die übliche Betriebstemperatur haben. Bei den Versuchsfahrten ist die kleinste Ueber-setzung zu benutzen. Die Fahrstrecke muß ein 20 Kilometer langes Stück der Autobahn sein, innerhalb dessen höchstens eine Steigung oder ein Gefälle bis zu 1,5 Prozent gegeben sind. Die Hin- und Rückfahrt erfolgt ohne Unterbrechung bei Windstille (höchstens Windstärke 2 bis 3). NDie genaue Länge des Weges ohne Auslauf wird an Hand der Streckenbezeichnung festgestellt.

Der Normverbrauch liegt demnach meist sehr niedrig und wird in der Praxis nur selten erreicht. Der Verbrauch im Stadtverkehr überschreitet die Norm vielfach um 30 bis 40 Prozent, ein Umstand, der vielen Kraftfahrern Aerger bereitet. Man muß sich jedoch damit abfinden, daß heute ein Fahrzeug — und hier auch kleine Wagen — im Stadtgebiet kaum unter acht Liter auf 100 Kilometer gebracht werden kann. Das oftmalige zwangsweise Halten an Kreuzungen und das Wiederanfahren kostet Kraftstoff, und, auf die Dauer gesehen, nicht gerade wenig. Zweifellos ist für das Stadtgebiet der Diesel-Pkw. das rentabelste Fahrzeug, wie übrigens auch im Ueberlandverkehr. Es ist daher nicht ganz einzusehen, daß außer von ein oder zwei Firmen keine Diesel-Pkw. auf den Markt kommen. Zugegebenermaßen liegen die Anschaffungskosten höher als beim Benzinmotor, jedoch müßte die Differenz zwischen Benzin-und Dieselmaschine wiederum nicht so groß sein als man es heute tatsächlich findet. Wenn es eine Firma zuwegebringen könnte, einen Diesel-Pkw. auf den Markt zu bringen, der nicht sehr wesentlich teurer ist als ein gleicher Benzin-Pkw., dann müßte man darin ein Fahrzeug erblicken, das für die derzeitige Verkehrssituation besonders geeignet erschiene. Solange jedoch zwischen Benzin-Pkw. und gleichem Diesel-Pkw. eine Preisdifferenz besteht, durch die sich die Dieselmaschine erst nach etwa 60.000 bis 70.000 Kilometer amortisiert, ist hier von einer Lösung keineswegs die Rede. Es wird langsam Zeit, daß die europäische Automobilindustrie sich zu der Erkenntnis durchringt, daß der Verkehr sich weder allein auf den Autobahnen noch im Stadtverkehr abwickelt, sondern ein Fahrzeug für beide Verkehrsarten möglichst gleichmäßig gut geeignet sein sollte.

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