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Insel in sturmbewegter Flut

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Auf dem durch Kriege, Bürgerkriege, Hungersnot und Revolutionen heimgesuchten asiatischen Kontinent, dessen erwachende Völker um Freiheit und Selbständigkeit ringen, ist vor wenigen Jahren ein neuer Staat entstanden, dessen Bedeutung in Europa nicht unterschätzt werden darf: Pakistan. Mit seiner jnehr als 80 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung ist Pakistan der Einwohnerzahl nach der fünftgrößte Staat der Erde. Seine wirtschaftliche Struktur, der Charakter seiner Bevölkerung und seine natürlichen Hilfsquellen berechtigen zur Annahme, daß Pakistan in nicht allzu ferner Zeit zu einem wirtschaftlichen und politischen Faktor im Mittleren Osten werden wird, mit dem die übrige Welt rechnen wird müssen.

Die Geburt dieses Staates hat sich unter blutigen Kämpfen und schweren materiellen Zerstörungen vollzogen. Als Britisdi-Indien die Selbständigkeit und den Dominionstatus erhielt, flammte der alte Gegensatz zwischen Mohammedanern Und Hindus mit größter Heftigkeit auf und die Kämpfe fanden erst durch die Trennung der beiden Bevölkerungsteile

Unter unendlichen Schwierigkeiten wurden schließlich die Grenzen festgesetzt. Zwei strittige territoriale Fragen harren aber noch der Lösung: Kaschmir, im Norden von Westpakistan gelegen, mit 4 Millionen Einwohnern, wovon 3 Millionen Mohammedaner, konnte infolge des Widerstandes Indiens bisher nicht in Pakistan eingegliedert werden. Und Haidarabad, eine islamitische Insel mitten in Indien, ist noch immer Gegenstand des Konflikts zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen.

Der Staat Pakistan besteht in seiner heutigen Form seit dem Juli 1947. Die Konsolidierung der innerpolitischen und wirtschaftlichen Lage hat seither trotz aller dieser Erschütterungen erstaunliche Förtschritte gemacht. Günstig hat sich immer wieder der Einfluß Großbritanniens geltend gemacht, das bei der friedlichen Bereinigung aller strittigen Fragen schlichtend und beratend wirkte. Die Verteilung des früher gemeinsamen öffentlichen Eigentums zwischen den beiden Nachfolgestaaten, die Übernahme von Guthaben und Verpflichtungen, die ein Ende. Die unter der Ägide Großbritanniens vollzogene Teilung Indiens führte zur Loslösung des mohammedanischen Bevölkerungsteiles aus dem indischen Staatsverband, dessen über wiegend durch Mohammedaner bewohnte Teile den Kern des neuen Staates .Pakistan bilden. Die ethnographischen Verhältnisse hatten jedoch die tragische Folge, daß der junge mohammedanische Staat sich aus zwei weit auseinanderliegenden Teilen zusammensetzt: aus Westpakistan, im westlichsten Teil Britisch - Indiens gelegen und an Afghanistan grenzend, und aus Ostpakistan mit dem Gebiet Bengalen, das im östlichsten Bereich der indischen Halbinsel liegt. Zwischen diesen beiden Teilgebieten, die voneinander rund 1600 Kilometer entfernt sind, erstreckt sich der junge Staat Indien, der dem Dortiinion Pakistan nicht freundlich begegnet. Eine unorganisierte Völkerwanderung unter den schwersten Bedingungen war die nächste Folge der Aufteilung. 6,5 Millionen Mohammedaner suchten in dem neu errichteten Staat Pakistan Schutz und Zuflucht. Zur gleichen Zeit flohen 5,5 Millionen Hindus aus Pakistan nach Indien. Etwa je eine halbe Million Mohammedaner und Hindus haben hiebei ihr Leben lassen müssen.

Trennung der Bahn-, Zoll- und Postverwaltung und die Verwendung des noch vorhandenen Kriegsmaterials erfolgten zwar unter britischer Aufsicht im Wege von Unterhandlungen, gaben aber Anlaß zu wiederholten schweren Konflikten und Reibungen. Die ungeheuren Veränderungen, die sich durch diese Trennung ergaben, werden dadurch illustriert, daß allein 73.000 hindusta- nische Bahnangestellte aus Pakistan nach Indien abwandern mußten, während gleichzeitig 83.000 mohammedanische Bahnangestellte aus Indien nach Pakistan flohen. Die Hauptstadt Pakistans, Karachi, die vor der Teilung 350.000 Einwohner hatte, zählt heute mehr als eine Million Seelen.

Westpakistan mit der Hauptstadt Karachi zählt 34 Millionen Einwohner, Ostpakistan 46 Millionen. Die Verbindung zwischen den beiden Staatshälften ist nur auf dem Meeres- und Luftwege möglich. Der neue Staat besitzt aber noch keine eigene See- und Luftflotte und ist daher auf ausländische Transportmittel angewiesen. Pakistan ist Dominion im britischen Commonwealth. Seine demokratische Verfassung hat föderativen Einschlag.

Sowohl West- wie Ostpakistan sind ausgesprochen agrarische Gebiete. Rund

90 Prozent der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Die Industrie ist nicht stark entwickelt und die bisher gefundenen Bodenschätze sind spärlichi verhältnismäßig kleine Braunkohlenvorkommen bestehen in Westpakistan, wo sich auch Erdölquellen mit einer Jahresproduktion von 15 Millionen Gallonen befinden. Der große Reichtum von Pakistan liegt aber in den Jutekulturen: Ost pakistan liefert 77 Prozent der Weltproduktion an roher Jute. Westpakistan verfügt über reiche Baumwollpflanzungen, über eine bedeutende Produktion von Wolle, Häuten und Fellen. Die großen Spinnereien, die Britisdi-Indien besaß, liegen jedoch auf dem Gebiet des heutigen Indien. Pakistan selbst besitzt keine einzige Jutespinnerei, es hat nur wenige Baumwollspinnereien. Auch die Betriebe für die Bearbeitung von Wolle, Häuten und Fellen, für die Raffinierung von Rohrzucker und Tabak sind in Indien gelegen. Pakistan steht daher vor der Aufgabe, neue Industriebetriebe zur Verwertung seiner Rohstoffe zu errichten.

Die Wirtschaft Pakistans hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung genommen. Ausschlaggebend dafür war die durch den Koreakonflikt ausgelöste Preissteigerung auf dem Weltmarkt, die Pakistan als Rohstofflieferanten sehr zustatten kam. Dadurch hat sich die Zahlungsbilanz des Landes sehr günstig entwickelt: im Finanzjahr 1950/51 wies sie bereits einen Überschuß von 560 Mil lionen Rupien auf. Auch die Staatsfinanzen profitieren von den bedeutenden Rohstoffexporten und den darauf eingehobenen Ausfuhrtaxen: der Staatshaushalt verzeichnete im Jahre 1950 einen Überschuß von 290 Millionen und im Jahre 1951 einen solchen von 208 Mil- l'onen Rupien. Infolge des Mangels an eigener industrieller Produktion ist Pakistan auf die Einfuhr von Fertigwaren aller Art angewiesen. Der noch niedrige Lebensstandard der Bevölkerung bedingt, daß vorzugsweise billige Waren gekauft werden. Um den Markt von 80 Millionen Menschen hat in der letzten Zeit ein Wettrennen eingesetzt. Neben Großbritannien und den USA sind jetzt auch China, Japan und Deutschland als Lieferanten aufgetreten. Der Wettbewerb urft den Markt von Pakistan tritt deutlich auf der Messe in Karachi in Erscheinung, die im März des heurigen Jahres stattfindet und auf der nahezu alle Industriestaaten vertreten sind. Es ist zu begrüßen, daß auch Österreich an dieser Messe teilnimmt. Dreißig österreichische Firmen bieten im Rahmen einer Kollektivausstellung ihre Erzeugnisse in Karachi an, der österreichische Pavillon verfügt über 450 Quadratmeter Ausstellungsraum. Es ist bemerkenswert, daß Japan mit 4000 Quadratmeter Ausstellungsraum der größte Teilnehmer sein wird. Unter den zahlreichen übrigen Ausstellern sind Deutschland mit 2000, Holland und die Tschechoslowakei mit je 1000, Ungarn und Jugoslawien mit je 600 Quadratmeter zu nennen.

Die leitenden Kreise des jungen Staates sind sich dessen wohl bewußt, daß die Konjunktur der hohen Rohstoffpreise unter Umständen nur vorübergehender Art sein wird. Ein Konjunktur rückschlag auf dem Weltmarkt würde sich für das Land auf die Dauer in nachteiliger, vielleicht sogar katastrophaler Weise auswirken. Die Regierung hat sich deshalb entschlossen, eine Modernisierung und Rationalisierung der Jute- und Baum- wollproduktion vorzunehmen; gleichzeitig beabsichtigt sie, Industriebetriebe, Wasserkraft und Irrigationswerke zu errichten. Der „Colomboplan" des britischen Commonwealth zur Finanzierung unentwickelter Gebiete in den Dominions kommt dem jungen Staat Pakistan sehr zustatten. Im Rahmen dieses Plans wurde in Pakistan ein „Sechs-Jahres-Plan“ entworfen mit einem Gesamtaufwand von 2600 Millionen Rupien. Diese Summe ist vor allem für die Schlüsselindustrien bestimmt, um vorerst eine gesunde Grundlage für die wirtschaftliche Weiterentwicklung zu schaffen. Dieser Plan soll den Lebens standard der Bevölkerung um 30 Prozent steigern. Pakistan wird auch in Zukunft ein vorwiegend agrarisches Land bleiben, denn die zu errichtenden Industrien sollen in erster Linie der Verwertung der heimischen Rohstoffe dienen. Die wichtigsten industriellen Projekte sind der Bau von fünf Jutewebereien und von 24 Baumwollspinnereien, einer Papierfabrik und drei Pappenfabriken. Die Papierfabrik — mit einer Kapazität von 30.000 Tonnen jährlich — wird in Ostpakistan errichtet werden und Bambusholz als Rohstoff verwenden. Die Pappenfabriken hingegen werden in Westpakistan gegründet werden. Im Jahre 1957, nach Erfüllung des Sechs-Jahres- Plans, will Pakistan seinen gesamten Bedarf an Papier und an Baumwoll- und Jutestoffen durch die eigene Erzeugung decken.

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