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Intoleranz oder Realismus?

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Konflikte zwischen dem ökumenischen Patriarchat und der orthodoxen Kirche Griechenlands.

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Konflikte zwischen dem ökumenischen Patriarchat und der orthodoxen Kirche Griechenlands.

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Die verheißungsvolle Begegnung des Heiligen Vaters mit dem Primas der orientalischen Patriarchen, Athenagoras I. von Konstantinopel, warf neben dem Hoffnungsstrahl der brüderlichen Umarmung auch ihren schmerzlichen Schatten auf die seit geraumer Zeit schwelende Uneinigkeit zwischen dem ökumenischen Stuhl von Konstantinopel und der orthodoxen Kirche des Königreichs Griechenland, die sich neben anderen Differenzen in der Frage der Einigung und Verbrüderung der getrennten Christenheit besonders kundtut.

Die Lage des Patriarchats von Konstantinopel hat sich in den letzten 40 Jahren weit mehr geändert, als die der konservativen Kirche Griechenlands. Sah sich Patriarch Germanos V. zu Ende des ersten Weltkriegs noch als stolzes Oberhaupt von etwa drei Millionen orthodoxen Untertanen des Ottomanischen Reiches, über die er als Chef de nation auch politische und richterliche Vollmachten ausübte, so sank infolge der Vertreibung der Christen Kleinasiens (1922/23) das griechische Patriarchat zu einer wohl oder übel geduldeten Enklave von nur 60.000 Orthodoxen in Istanbul ab. Die Zerstörung des bodenständigen Christentums, das nur mehr von einer liberalen Großstadtbevölkerung getragen wurde, löste das Konstantinopler Patriarchat weitgehend von den konservativen Bindungen, die für die auf Bauern-und Kleinbürgertum basierende Kirche Griechenlands charakteristisch sind. Die Diasporagemeinden Amerikas, Australiens und Westeuropas, die Konstantinopel für den Verlust der kleinasiatischen Diözesen entschädigten, trugen ihrerseits dazu bei, das Patriarchat mit dem kirchlichen Leben ihrer Gastländer vertraut zu machen, so daß der westliche, vor allem anglikanische und evangelische Einfluß - in Konstantinopel mehr und mehr an Boden gewann.

Die Theologische Hochschule auf der Istanbul vorgelagerten Insel Chalki verfiel mehr und mehr einem sympathischen, aber theologisch bedenklichen Indifferentismus und gefährlicher Freizügigkeit in kanonischen und ethischen Fragen. Es ist darum ein Irrtum, zu glauben, daß gerade Konstantinopel besonders der katholischen Kirche gewogen sei. Es holt jetzt nur nach, was es Altkatholiken und Lutheranern, ja Juden und Mohammedanern schon eine Weile zubilligt. Konstantinopel toleriert nicht das Papsttum, weil es dessen hohe Sendung erkannt hat, sondern da es auch dem Buddhisten die nämliche Duldung und Anerkennung gewährt.

"... allen alles zu werden“

Kann man diese Entwicklung auch nicht grundsätzlich gutheißen, so bereitete sie doch psychologisch die ökumenische Haltung des wahrhaft ökumenischen Patriarchen Athenagoras I. vor, dessen brüderliche Weite ebensowenig mit Indifferentismus verwechselt werden darf wie seine konservative Haltung in wesentlichen Punkten mit pharisäischem Ritualismu s- Beide Haltungen, nur jede an ihrem Platz, vereinigt dieser Mönch vom Berge Athos.zum Erzbischof von Amerika und Freunde des Präsidenten Truman aufstieg, um schließlich den ehrwürdigen Thron des Apostels Andreas einzunehmen. Seine brüderliche Umarmung ist ebenso echt, ob sie Papst Paul VI. oder dem Oberrabbiner von Istanbul gelte. Der Leitspruch des Apostelfürsten Paulus, „allen alles zu werden“, steht über dem unermüdlichen Wirken dieses großen Kirchenfürsten. Athenagoras I. ist weder Dogmatiker, der die Glaubensdifferenzen wägt, noch Historiker, der Vorurteile und Enttäuschungen der Vergangenheit ins Auge faßt, sondern der Herold der Liebe und Versöhnung.

So großen Segen diese schwungvolle Unbekümmertheit um Glaubensunterschiede und festgefahrene Vorurteile bringen kann, so gefährlich ist auch der von ihr beschrittene Weg, und um so leichter wird er mißverstanden. Kein Wunder also, daß die Landeskirche Griechenlands dem Patriarchen ablehnend gegenübertritt, um so mehr, als sie eine entgegengesetzte Entwicklung und Struktur aufweist, als die Gemeinden des ökumenischen Patriarchats.

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