6583452-1951_31_06.jpg
Digital In Arbeit

Ist das Französische noch Weltsprache?

Werbung
Werbung
Werbung

„Es scheint kaum der Mühe wert, sich so vielen Schwierigkeiten zu unterziehen, eine fremde Sprache genau zu erlernen, um Kenntnisse zu erlangen, die nie mehr als oberflächlich sein können. Ich denke, das ist Zeitverlust. Die einzige Ausnahme würde ich bei der französischen Sprache machen. Französisch ist die gemeinsame Sprache aller wohlerzogenen Leute, und es ist sicher angenehm, diese Sprache soweit zu beherrschen, um sich an jedem aufkommenden Gesprächsthema beteiligen zu können. Die französische Sprache hat eine große Literatur. Andere Völker haben eher große Dichter als eine große Literatur... Es ist auch sehr gut, Französisch so leicht lesen zu können, als wäre es unsere Muttersprache.“ Das schrieb nicht etwa ein französischer Patriot, sondern ein berühmter englischer Schriftsteller, W. Somerset Maugham. Und Maughams Empfehlung richtet sich nicht allein an die gebildeten Engländer. Denn das Französische ist nicht nur die Diplomatensprache und in weiten Gebieten der Welt die Handelssprache, Frankreich hat nicht nur die größte Buchproduktion der Welt, sondern es hat auch eine Literatur hervorgebracht, deren befruchtende Kraft gerade auch wieder in der Gegenwart in der ganzen zivilisierten Welt wirksam ist. Ebenso unbestritten ist der hohe formalbildende, humanistische Wert der französischen Sprache, der nur noch vom Lateinischen übertroffen wird.

Während und nach dem zweiten Weltkrieg ist dem Französischen ein gewaltiger Konkurrent im Englischen (Amerikanischen) erwachsen, und es gibt Symptome, die auf eine weitere Zurückdrängung des Französischen schließen lassen. Ein schwerer Schlag gegen die Universalität der französischen Sprache und Kultur wurde In den Volksdemo-

kratischen Ländern Rumänien, Polen, Bulgarien und — vor kurzem erst — in China geführt. Das Verschwinden französischer Literaturwerke aus diesen Ländern ist keineswegs die Folge einer plötzlichen Abneigung jener Völker gegen d i e Kultur zu werten, der sie seit Jahrhunderten einen Großteil ihrer Bildung danken, sondern ist das Ergebnis gewaltsamer autoritärer Maßnahmen. Damit tritt — und darin liegt die wirkliche Tragik dieses Vorgangs — eine Lücke in der Tradition jener Länder ein, und eine Generation wächst heran, die überhaupt keinen Kontakt mit der westlichen Zivilisation mehr hat.

Ein anderes schwerwiegendes Moment ist das Fehlen der französischen Presse im Ausland. Die französischen Zeitungen werden außerhalb der Grenzen des Mutterlandes nicht mehr in dem Maße gelesen wie früher. Der Grund ist ebenso einfach wie grotesk: die Versandkosten sind zu hoch. Die Spesen für den Lufttransport einer französischen Tageszeitung nach Kuba betragen beispielsweise 28.000 Francs. Der Schiffsversand stellt sich zwar wesentlich billiger, aber die Zeitungen sind, wenn sie ankommen, mindestens 10 Tage alt. Auch der internationale Zeitungsaustausch bringt keine fühlbare Erleichterung, da die im Ausland über eine Bank oder einen Buchhändler abonnierten Zeitungen eine Preiserhöhung um mindestens 50 Prozent erfahren.

Auch der französische Film, das intensivste Kulturaustauschmittel, hat seine Aufgabe bisher in nur sehr beschränktem Maß*, erfüllen können, weil es ihm noch nicht gelungen ist, sich einen Weg durch die Barrikaden der Exportgesetze zu bahnen, und weil Hollywood die 6tarke politische Position Washingtons ausnützen kann.

Uber ein weiteres alarmierendes Symptom gibt ein Blick in die französische Bibliographie Aufschluß. Während 1948 noch 16.000 Werke veröffentlicht wurden, waren es 1949 nur noch 12.000. Diese Reduktion betrifft vor allem die Literatur, die Linguistik, die Philosophie, die Kunst und die Pädagogik, das heißt gerade die Kerndisziplinen der Kultur und der Zivilisation. Der Rückgang ist selbstverständlich nicht auf Frankreich beschränkt, sondern ist in den angelsächsischen und mitteleuropäischen Ländern wesentlich stärker, aber durch die Verlagerung der Weltdruckschriftenproduktion auf den technisch-wirtschaftlichen Sektor erscheint die vorwiegend humanistische Position Frankreichs weiter eingeengt.

Diesen negativen Kräften wirken — wie aus Mitteilungen des „Centre de Documentation“ ud des „Institut Francais“ hervorgeht — eine Reihe positiver Faktoren entgegen. So zum Beispiel sind die Erfolgsziffern einer Gesellschaft wie der „Französischen Allianz“, die im Jahre 1883 zur Verbreitung des Französischen im europäischen Ausland und in den überseeischen Ländern gegründet wurde, in dieser Hinsicht sehr aufschlußreich. Danach gab es im Jahre 1929, das ein sehr gutes Jahr war„ in den Schulen der Allianz im Ausland ungefähr 40.000 Schüler. Die Ziffer war im Jahre 1939 auf 30.000 gefallen. Sie beträgt heute 60.000. 1250 französische Lehrer, Professoren und Lektoren unterrichten im Ausland, das ist die doppelte Zahl von 1939. Sie setzen damit eine alte Tradition fort.

Die Verbreitung des Christentums in den überseeischen Ländern geschah vorzüglich in französischer Sprache, und auch heute ist die Zahl der Schüler, die in den privajen katholischen Missions- und Ordensschulen unterrichtet werden, etwa ebenso groß wie die von der „Direction Generale des Relations Culturelles“ erfaßten in den staatlichen Lehranstalten. Außerdem gibt es im Ausland 18 Hochschulinstitute mit rund 10.000 Studenten und 47 Lyzeen mit insgesamt 35.000 Schülern. Als Sendboten der französischen Kultur sind ferner jene 270 französischen Professoren zu erwähnen, die an ausländischen Instituten unterrichten. Schließlich sei auch die rein französische Universität — mit allen Fakultäten — im Libanon nicht vergessen.

Fast ungeschmälert ist der Einfluß der französischen Sprache in Ägypten, im Nahen Orient und in Südamerika. — Ein gewisses Gegengewicht gegen die Verluste in den Ländern Osteuropas schafft eine reiche, in französischer Sprache erscheinende Emigrantenliteratur der rumänischen, ungarischen, polnischen und anderer Schriftsteller (Constantin V. Ghe-orghius „25 Uhr“, das vor kurzem in der „Furche“ besprochen wurde, ist nur ein Beispiel unter vielen!). Dem zahlenmäßigen Rückgang der französischen Filme steht ein meist sehr bedeutendes Niveau der aus Frankreich kommenden Erzeugnisse gegenüber, und es wäre sehr zu wünschen, daß wenigstens die hochwertigen Filme nicht durch Synchronisation verstümmelt würden!

In den Schulen der angelsächsischen Länder, wo als Fremdsprachen Deutsch, Spanisch und Französisch sich ungefähr die Waage halten, gibt es keine „Krise“ des Französischunterrichts. Wohl aber in Österreich. Hier lernen allein an den Mittelschulen 40.000 Schüler die englische Sprache, während für die französische — an allen Schulen, angefangen von der Hauptschule bis einschließlich der Universität — insgesamt nur 30.000 eingeschrieben sind. Diese Verdrängung des Franzosischen scheint uns weder der geschichtlichen Vergangenheit noch der kulturellen Tradition und europäischen Stellung Österreichs zu entsprechen. Da das Französische die einzige Fremdsprache ist, die das aus der ersten in die dritte Klasse verdrängte Latein einigermaßen in seinem humanistischen und formbildenden Wert zu ersetzen vermag, sollten die Eltern dieser Frage am Beginn des neuen Schuljahres ihr besonderes Augenmerk zuwenden. Laut Erlaß des Bundesministeriums für Unterricht vom August 1950 haben sie das Recht, den Direktionen bekanntzugeben, in welcher Fremdsprache sie ihr Kind unterrichten lassen wollen. Diesen Wünschen Rechnung zu tragen, sind die Direktionen Im Rahmen der schulstrukturellen Möglichkeiten verpflichtet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung