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Ist die Bundesrepublik korrupt?

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Ist die Deutsche Bundesrepublik korrupt? Diese Frage stellen sich viele schon seit geraumer Zeit. Würde man den vielen Notizen und Berichten von Korruptionsaffären in den Aem- terp der Ministerialbürokratie folgen, so müßte man sie bejahen. Es wäre auch nichts Außergewöhnliches, wenn im Gefolge eines ziemlich einzigartigen Aufbaues solche Korruptionsaffären auftauchen würden. Das auffallende daran ist, daß sie bis in die obersten Stellen hinein zu reichen scheinen. Gerade hier ist die „Strecke“, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, der westdeutschen Justiz besonders groß. Sind doch in diesem Jahr die Verurteilung eines Landtagspräsidenten, zweier Landesminister, eines Botschafters, mehrerer hoher Offiziere und hoher Beamter mit vielen Einzelheiten durch die Presse gegangen. Ein Fall allerdings, auf den sich die Oeffentlichkeit besonders vorbereitete, scheint, wenn nicht noch etwas Besonderes geschieht, erledigt worden zu sein: der Fall des persönlichen Referenten von Bundeskanzler Dr. Adenauer, Ministerialrat Kilb. Wie erinnerlich, wurde Kilb am 8. September vergangenen Jahres verhaftet und bis zum 23. Dezember desselben Jahres in Haft gehalten. Am 10. November 195 8 erhob die Staatsanwaltschaft Bonn gegen Kilb, die Generaldirektoren von „Mercedes" Koenecke und Stälin, gegen den „Mercedes“-Vertreter Himmelsheim und den Oberregierungsrat Brombach Anklage wegen passiver beziehungsweiser aktiver Bestechung. Die Benutzung eleganter Leihwagen der Firma „Mercedes“ und eine Verwendung für einen großen Omnibusauftrag nach Persien für dieselbe Firma wurden Kilb zur Last gelegt. Die berühmte Leihwagenaffäre war im Rollen. Der Fall oblag ebenso wie der Fall Hall- stein-Blankenhorn Landgerichtsrat Quirini zur erhandlung. Im Sommer wurde überraschenderweise Quirinis Zuständigkeitsbereich neu eingeteilt, wobei der Fall Kilb einer anderen Strafkammer zugeteilt wurde. In diesen Tagen erfolgte überraschend die Einstellung des Verfahrens gegen Kilb, Koenecke und Stälin, während gegen Himmelsheim und Brombach weiter- vefhy&elt werden .

Dies schien nach außen-Hin überhaupt ‘‘def klassische Fall dafür zu sein, daß man die Großen laufen lasse, um die Kleinen zu hängen. Der Eindruck wird nicht besser durch die wirklich allzu fadenscheinige Begründung des Landgerichts Bonn, Kilb hätte nicht als Beamter, sondern als Vertreter des Parteivorsitzenden (Dr. Adenauer) seine Leihwagen gefahren. Hier ist mit bemerkenswertem Ungeschick verfahren worden, das fast so arg, ja vielleicht noch ärger ist wie das Verhalten Bonner Stellen in der Affäre Hall- stein-Blankenhorn. Daß die Art, wie der Fall Kilb beendet wurde, ein Skandal ist, daran wird wohl niemand zweifeln, die Frage ist nur, ob der Fall Kilb selber und eine ganze Reihe ähnlich gelagerter ein Skandal waren. Und diese Frage ist so ohne weiteres nicht zu beantworten.

Die Leihwagengeschichte begann 1958 verhältnismäßig harmlos. Der Bundesrechnungshof stellte eines Tages fest, daß der Benzinverbrauch mancher Bonner Ministerien in keinem Verhältnis zu den gefahrenen Autos stand. Die Nachforschungen ergaben, daß von amtlichen Stellen eine ganze Reihe von Leihwagen gefahren wurden, die von Firmen (Mercedes-Benz) kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Wo man eine ganz große Benzinschiebung vermutet und deshalb die Staatsanwaltschaft bemüht hatte, stellte sich etwas heraus, dessen Strafwürdigkeit seither umstritten ist. Die Staatsanwaltschaft stellte sich auf den Standpunkt, dies bedeute eine Vergünstigung, und wo ein Beamter einen solchen Wagen auch für private Zwecke benutze, sei der Fall passiver Bestechung gegeben. Im Fall Kilb scheint man nun auf den Standpunkt gekommen zu sein, dies nicht als Bestechung aufzufassen.

Diese Leihwagenaffären sind freilich nur die eine Seite ein und desselben Problems. Nach dem deutschen Steuerrecht sind Aufwendungen, die im Dienst und im Interesse einer Firma gemacht werden, als Werbungskosten steuermäßig absetzbar. Dies geschah im Zweifel auch mit den durch die Benutzung in ihrem Wert geminderten Leihwagen. Dieser Umstand der Steuerabzugsfähigkeit sogenannter Werbungskosten steigerte die Ausgabefreudigkeit westdeutscher Industriekapitäne und bestimmte jenen so häufig kritisierten pomphaften Stil des sogenannten Wirtschaftswunders. Gewiß hat diese Bestimmung zur An-

kurbelung der deutschen Wirtschaft viel beigetragen. Auch ist damit schon manches Gute geschaffen worden. Das sonst vom Wirtschaftswunder nicht gerade üppig behandelte Gewerbe der Graphiker und Kunsthandwerker verdankt dieser steuerlichen Absatzmöglichkeit manchen Auftrag, zu Weihnachten als Kundengabe geschmackvolle Gegenstände herzustellen. Solange dieser Segen an Private geht, ist alles in Ordnung. Füllen sie aber die Büros deutscher Beamter, die am Segen des Wirtschaftswunders oft recht wenig teilhaben, so fängt die Sache an heikel zu werden. Ja, heikel ist sie, wie etwa der Prozeß gegen den Oberst Löffelholz zeigte, be reits, wenn ein Beamter von einem Generaldirektor, mit dem er zu verhandeln hat, zu einer der in der Industrie üblich gewordenen üppigen Mahlzeit eingeladen wird. Löffelholz mußte für die ja irgendwo vom Staat mitfinanzierte Zeche die Anklagebank wegen passiver Bestechung drücken und mußte nicht nur seinen Anteil zugunsten des Staates begleichen, er erhielt auch noch einige Monate Gefängnis. Nicht eingerechnet ist der Aerger und die Unbill, die ein bis dahin unbescholtener Mann dadurch erlitt, daß er sich unversehens in einer recht peinlichen Weise in den Mittelpunkt des Interesses gerückt sah. Daß Löffelholz, um bei dem Beispiel zu bleiben, mit der Annahme solcher Einladungen und anderer Gefälligkeiten, die aber in keinem nachweisbaren Zusammenhang mit den von ihm vergebenen Aufträgen standen, gegen Dienstvorschriften verstieß, ist ohne Zweifel. Die Frage bleibt nur, ob eine solche Dienstvorschrift unter diesen Umständen sehr sinnvoll ist und ob hier nicht eigentlich das Steuergesetz einen gewissen Widersprüch ‘schafft! der zumiff-’ dest einer unklaren Situation Vorschub leistet. Denn so einfach ist es ja schließlich nicht, eine in der Industrie absolut übliche Einladung auszuschlagen.

Die Verurteilungen in diesem und ähnlich gelagerten Fällen standen in keinem rechten Verhältnis zum Delikt. Man hatte dabei das ungute Gefühl, daß es mit dem Grundsatz des echten Rechtsstaates von der Gleichheit aller vor dem Gesetz nicht mehr so arg weit her war: Da hingen nicht nur die Kleinen, und die Großen wurden laufen gelassen, sondern da hingen die Großen oft für Vergehen, für die man die Kleinen nicht einmal beim Ohr genommen hätte. Um so schlechter ist der Eindruck von der Be-

endigung der Affäre Kilb. Sachlich geschah er wahrscheinlich zu Recht, denn es ist eine große Frage, ob die fast ausnahmslos in die Revision gegangenen Urteile später wirklich bestätigt werden. Nachdem aber nun einmal eine ganze Reihe von Personen, die nicht so hoch gestellt waren wie Kilb, in diesem Jahr wegen ähnlicher Vergehen verurteilt wurden, hätte der Prozeß auf jeden Fall durchgeführt werden müssen.

Innenminister Dr. Schröder hat in der ihm eigenen geschickten Art den Vorwurf der Bestechlichkeit gegen die deutsche Beamtenschaft vor etwa einem Jahr mit dem Hinweis zu entkräften gesucht, daß er die Anzahl der Bestechungsfälle mit der Anzahl der Beamten in Relation setzte. Diese Milchmädchenrechnung geht schon deshalb nicht auf, weil derartige Bestechungsmöglichkeiten ja auf einen verhältnismäßig kleinen Kreis von Beamten beschränkt ist. Damit zu argumentieren, heißt einen schlechten Eindruck womöglich noch vertiefen. Man müßte untersuchen, in welchen Fällen Aufträge tatsächlich durch Bestechungen beeinflußt wur den und in welchen es sich nur um Gefälligkeiten handelte, die einem Beamten im Rahmen des allgemein Lieblichen gewährt wurden. Ein Generaldirektor, der nach einer Geschäftsverhandlung zum Essen eingeladen wird, würde es sich verbitten, wenn man ihm daraus den Vorwurf machen wollte, er hätte sich durch die Qualität des Schnitzels in seinen sachlichen Entscheidungen beeinflussen lassen. Der Eindruck, den man leicht aus der Lektüre deutscher Zeitungen gewinnen könnte, daß die deutsche Verwaltung korrupt sei, hält einer Nachprüfung nicht stand. Es schält sich nämlich, wenn man die Dinge so untersucht, nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl echter Bestechungsaffären heraus.

Die Tatsache, daß dieser Eindruck aber über-

haupt hervorgerufen wird, kann auf das innere Gefüge Westdeutschlands Rückwirkungen haben, die fast wesentlicher sind als die Ergebnisse mancher Prozesse. Der Eifer, mit dem geringfügige Bestechungsaffären — von großen ist hier nicht die Rede — untersucht und an die große Glocke gehängt werden, steht überdies in einer recht eigentümlichen Relation zu jenem, mit dem Verbrechen aus der nationalsozialistischen Vergangenheit aufgegriffen werden. Zwischen einem bei Generaldirektor genossenen Schnitzel und einigen erschlagenen Juden besteht hinsichtlich der Höhe der erteilten Strafen ein Verhältnis, das einen fast daran erinnern könnte, wie sehr doch die deutsche Justiz durch derartig ungleich behandelte Fälle in der Weimarer Republik das Ansehen des Staates untergrub.

Die Sache hat aber noch eine andere Seite. Sicherlich passen diese Einladungen höherer Beamter nicht in das Schema preußischer Beamtentradition. Dafür waren die preußischen Beamten seinerzeit auch kleine Tyrannen. Als die Amerikaner 1945 das deutsche Berufsbeamtentum abschaffen wollten, gingen sie von der Ueber- zeugung aus, daß das Verhältnis von Staatsbürger und Staat weniger durch das Parlament bestimmt wird als da, wo der Bürger mit einem Vertreter des Staates zusammenstößt. Geschieht das auf der Ebene menschlichen Kontakts, so ist der einzelne leichter davon überzeugt, der Staat sei seine Firma, als wenn er Schlange stehen muß und Formulare erhält, die mit dem Schönnen Satz anfangen: „Sie werden hiermit aufgefordert."

Eine Demokratie bewährt sich in erster Linie auf der untersten Ebene. In dem Bestreben, die Sauberkeit im Staat zu erhalten, müssen die deutschen Gerichte von jedem unterstützt werden. Aber es muß die Grenze eingehalten werden, wo ihr Treiben zur Demontage der Demokratie wird. Ein „Fall Kilb" hätte ohne den Nachweis, daß er sich wirklich um den Vertrieb von „Mercedes"-Wagen erfolgreich eingesetzt hat, wozu er seiner Stellung nach gar keine Gelegenheit hatte, nicht aufgegriffen werden dürfen. Und das gilt für eine ganze Reihe von Fällen.

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