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„Italianisten“ und „Internationalisten“

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Der „Annuario Pontificio 1958“, das Päpstliche Jahrbuch, ist eben der Oeffentlichkeit übergeben worden; in eindrucksvoller Weise gestattet dieser umfassende Schematismus der katholischen Welthierarchie einen Einblick in den sich auf alle Erdteile und die meisten Länder erstreckenden Aufbau des Verwaltungsapparates der Kirche, dem einzigen ihrem Wesen nach und in der straffen Durchbildung internationalen und übernationalen Organismus. Ein Blick in das einzigartige Buch gestattet aber auch die Feststellung, daß das Prinzip des Internationalismus in der Zentralverwaltung der Kirche und vor allem in ihrem diplomatischen Dienst, was die Personalpolitik anlangt, kaum angewendet wird. Das Päpstliche Jahrbuch belegt die nahezu monopolistische Stellung des Italienertums in der Verwaltungsspitze. Die gegensätzlichen Meinungen unter den Anhängern der „Italianisierung“ und der „Internationalisierung“ bei der kirchlichen Zentralverwaltung haben zu keinen Spannungen geführt, was schon die vollkommene Disziplin ausschließen würde, und es wäre vielleicht schon übertrieben, von einem gewissen Unbehagen zu sprechen; doch die Frage wird erörtert und der Wunsch nach Aenderung ist zweifellos vorhanden.

Die Situation in diesem Jahre 1958 ist ganz

eindeutig. Das Jahrbuch verzeichnet- insgesamt 56 päpstliche Vertretungen im Ausland, davon 41 mit diplomatischem Charakter (Nuntiaturen und Internuntiaturen) und 15 ohne diplomatischen Charakter (Apostolische Delegationen); es zeigt sich nun, daß von den diplomatischen Missionschefs 36 italienischer Nationalität sind und nur fünf anderen Nationen angehören, nämlich der Amerikaner McGeough in Aethiopien, der Amerikaner Münch in Deutschland, der Belgier Fürstenberg in Japan, der Irländer Collins in Liberia und der Australier Knox in Indien. Von den nichtdiplomatischen Vertretungen sind elf italienisch besetzt und vier von Nichtitalienern, nämlich der Amerikaner O'Hara in Großbritannien, Blanquet du Chayta im Irak ist Franzose wie Lefebvre in Französisch-Afrika, und ein Italo-Amerikaner in Südafrika. 47 Italienern stehen also neun Nichtitaliener gegenüber. Aber auch dieses Verhältnis wird den Tatsachen nicht völlig gerecht, denn fünf unter diesen sind zugleich Diözesanbischöfe, zum Teil in der Stadt, wo sie als päpstliche Vertreter residieren, was den provisorischen Charakter ihrer Mission andeutet. Drei der Nichtitaliener gehören außerdem dem Ordensstande an: sie können jederzeit und ohne weitere Ansprüche in die klösterliche Gemeinschaft zurückkehren. Die Zahl der Nicht-

italiener unter den definitiven Vertretern vermindert sich somit auf vier.

Eine weitere Beobachtung ist möglich: mit Ausnahme von Monsignore Münch in Deutschland (eine Ausnahme, die mit dem seinerzeitigen amerikanischen Besatzungsregime im Zusammenhang steht, so daß nach seiner eventuellen Abberufung mit Sicherheit ein Italiener an seine Stelle treten wird) sind den Nichtitalienern nur Posten von geringerer politischer Bedeutung für die Kirche anvertraut worden, wie Liberia, Japan, Indien, oder aber dort, wo sich die Regie-

rungen ausdrücklich gegen die Ernennung eines Italieners ausgesprochen haben, wie Großbritannien und Aethiopien. Von Botin und London abgesehen, besitzt somit keine Vertretung in Europa ■ und in Nord- und Südamerika einen nichtitalienischen Missionschef. Nicht wenige Posten, die früher, und besonders in der unmittelbaren Nachkriegszeit, aus Gründen politischer Opportunität einen Vertreter nichtitalienischer Nationalität hatten, sind nunmehr wieder von Italienern besetzt: Aegypten, Panama, Irland, Libanon, Syrien, Britisch-Afrika (Mombasa), Korea. Von dem der diplomatischen Karriere angehörenden subalternen Personal der päpstlichen Auslandsvertretungen sind 63 Italiener und acht anderer Nationalität.

Nicht viel anders liegen die Verhältnisse bei der Zentralverwaltung in Rom. Unter den ständigen Funktionären des Päpstlichen Hofes befindet sich ein einziger Nichtitaliener, der Holländer Van Lierde; im Staatssekretariat ist das gesamte Personal der politischen Sektion (Außerordentliche kirchliche Angelegenheiten) italienisch, in der Sektion für Ordentliche kirchliche Angelegenheiten arbeiten neben 60 Italienern 12 Nichtitaliener; die Finanzverwaltung befindet sich ausschließlich in italienischen Händen; nur sechs unter den leitenden Stellen der Kurie — Direktion und Vizedirektion — sind von Nichtitalienern besetzt, davon drei Franzosen, ein Spanier, ein Syrer und ein Oesterreicher, während 53 dieser Stellen von Italienern verwaltet werden; das subalterne Personal der Kurie beträgt 300, aber nur 19 davon sind Nichtitaliener. Sie verteilen sich auf 13 Aemter, während in zehn wichtigen Büros wie in der Konsistorial-kongregation, welche die Aufsicht über die Bischöfe hat, in der für die Seminare und Llni-versitäten und in allen päpstlichen Gerichten überhaupt kein Ausländer beschäftigt wird.

Die Befürworter solcher Verhältnisse, die den Italienern einen fast ausschließlichen Einfluß auf die kirchliche Zentralverwaltung einräumen, sind naturgemäß vorwiegend Italiener. Sie verweisen auf eine durch Jahrhunderte währende Tradition. Aber die Anhänger der „Internationalisierung“ widersprechen. Die Tradition reiche nicht weiter als bis 1870 zurück, bis zu dem Augenblick des Aufgehens des Kirchenstaates im italienischen also. Vorher waren die Posten der Kurie ausschließlich von den politischen Untertanen des Papstes besetzt, und die übrigen Italiener, die Neapolitaner, Piemontesen, Lombarden, Toskaner, Emilianer. Veneter und so weiter waren als Ausländer nicht zugelassen. Es hatte dies auch seine guten Gründe, denn Kurie, Staatssekretär und ausländische Missionen hatten auch die Interessen des Kirchenstaates zu

vertreten und zu verteidigen. Der Kirchenstaat führte aber unter Umständen Krieg gegen andere italienische Fürsten. Mit dem Jahre 1870 und der Auflösung des Kirchenstaates entfiel dieser von der Vorsicht diktierte Grund und das Privileg der kurialen Karriere wurde auf alle Italiener ausgedehnt.

Warum aber nur auf diese? Die Anhänger der „Italianisierung“ glauben, daß die „Einheit der Aktion der Kurie“ besser durch die Zugehörigkeit zu einer einzigen Nation garantiert wird. Die Befürworter der „Internationalisierung“ wenden dagegen ein, daß ein Zustand, der bis 1870 seine Gültigkeit haben mochte — um die Funktionäre vor Pressionen von außen zu bewahren — nunmehr als nationalistisches Privileg und seinerseits als Mittel einseitiger Pression ausgelegt werden könnte. Die „Einheit der Aktion“ dürfe nur durch den gemeinsamen katholischen Glaubensgeist gewährleistet werden, nicht aber durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation. Denn andernfalls müßte als letzte Schlußfolgerung angenommen werden, daß die Kirche selbst, die einheitlich sein muß, zu diesem Zwecke alle Nichtitaliener aus ihrem Schöße zu verbannen habe, was absurd ist. Enthält demnach die Behauptung, nur die Italiener — weil Italiener — könnten die „Einheit der Aktion“ garantieren, nicht etwa die Anerkennung eines Clan?

„Die Kurie muß jedem nationalistischen Wettstreit entzogen bleiben“, sagen die „Italianisten“. „Richtig“, erwidern die „Internationalisten“, „aber wird dieses Ziel nicht eher durch eine geeignete Heranbildung und den katholischen Glaubensgeist erreicht als dadurch, daß sie zur Apanage einer einzigen Nation erklärt wird?“

Die Gegner des gegenwärtigen Systems sind der Meinung, die Internationalisierung der Kurie würde zu einer Hebung des Niveaus ihrer Funktionäre führen, ihr Gesichtsfeld erweitern und zur Erhöhung ihres Prestiges beitragen. Dazu könnte man bemerken, daß die kirchliche Zentralverwaltung bisher mit ihrem fast ausschließlich italienischen Personal nicht schlecht gefahren ist. Aber da den Angehörigen anderer Nationen kaum Gelegenheit zur Bewährung geboten wurde, fehlt es an Vergleichsmöglichkeiten. „Es liegt ein innerer Widerspruch darin, daß gerade die Kirche, der einzige seiner Natur nach internationale und übernationale Organismus, ihre zentrale Verwaltung in die Hände einer einzigen Nation legt, während sich die Welt herum in fortschreitendem Maße internationalisiert. Ganz abgesehen davon, daß die jetzigen Verhältnisse von den übrigen katholischen Völkern und ihrem Klerus als ungerecht und beleidigend empfunden werden könnten.“

Derartige Argumentierungen bezeugen, daß der Drang zur Internationalisierung auch innerhalb der kirchlichen Zentralverwaltung im Wachsen ist. lieber diesen Zug der Zeit und seinen gerechten Motiven legt sich keiner besser Rechenschaft ab als Pius XII. selbst. Eugenio Pacelli hat bereits, zum erstenmal in der Geschichte, dem Kardinalskollegium eine nichtitalienische Mehrheit gegeben, eine wahrhaft revolutionäre Tat, die ihn zum ersten modernen Papst erhebt. In seiner Weitsicht hat er auch eine Reform der Kurie im gleichen Sinne eingeleitet. Wenn die bisherigen Ergebnisse hinter manchen Erwartungen zurückbleiben, so ist das nur auf die nicht eeringen Schwierigkeiten und milieubedingten Widerstände zurückzuführen.

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