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Italien bleibt demokratisch

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Italiens Neofaschisten sind 48 Jahre nach der Partei-Gründung hoffähig geworden. Im Ausland hat das nicht nur Unbehagen, sondern Kritik hervorgerufen.

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Italiens Neofaschisten sind 48 Jahre nach der Partei-Gründung hoffähig geworden. Im Ausland hat das nicht nur Unbehagen, sondern Kritik hervorgerufen.

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Tm neuen italienischen Kabinett I des Medienmultis Silvio Berlus-Aconi haben fünf Politiker der „Alleanza Nazionale” (AN), deren Grundkern die neofaschistische „Italienische Sozialbewegung” (MSI) bildet, Platz gefunden. Außerdem weitere AN-Leute als Unterstaatssekretäre.

„Faschismus ante portas”, „Italien, Wiege einer neuen Rechtsdiktatur”, der „Verhängnisvolle Duce-Geist wieder up to date” und ähnliche Zitate in der internationalen Presse hagelten in den letzten Tagen nur so auf die Apenninenhalbinsel. Nicht unschuldig daran war freilich der AN-Chef selbst, Gianfranco Fini, der unlängst leichtfertig äußerte, Mussolini sei der größte Staatsmann des Jahrhunderts gewesen. (Was übrigens auch Churchill vor dem Zweiten Weltkrieg zu Lebzeiten des Diktators ungefähr meinte.) „Eine in der Tat unangebrachte Definition”, erklärte am Donnerstag vorletzter Woche Senatspräsident Carlo Scognamiglio, der Berlusconis Partei ,Forza Italia' angehört, vor der Auslandspresse in Rom - „eine Auffassung, die sich auf das Image der neugebildeten italienischen Exekutive sehr negativ ausgewirkt hat.”

US-Außenminister Warren Christopher nahm Stellung zu der während des Wahlkampfs von einigen Neofaschisten polemisch angeschnittenen Frage der Grenzen Italiens mit Slowenien und Kroatien, die nach Meinung dieser MSI-Exponenten nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens der Revision bedürften. Christopher gab einen deutlichen

Warnschuß vor den Bug der MSI-AN ab, indem er auf die grundsätzliche Unantastbarkeit der Grenzen verwies. Die Südtiroler Volkspartei (SVP) hat deswegen bei der Vertrauensdebatte im römischen Parlament gegen die Berlusconi-Regierung gestimmt. Im übrigen wunderte man sich ferner darüber, daß die auf eine Umgestaltung Italiens in föderativem Sinne setzende Lega-Nord sich mit der den Zentralstaat verteidigenden AN liiert hat.

Im Grunde handelt es sich bei der jetzt herrschenden Koalition immer noch um eine Zweckverbindung, aus der nach Berlusconis Willen eine echte politische Regierungsallianz erwachsen soll. Der Medienunternehmer-Premier hat sich denn auch eine Frist von 100 Tagen erbeten, um unter anderem diesen heiklen Überleitungsprozeß anzubahnen.

Um es mit Goethe zu sagen, zwei Seelen wohnen in der Brust der eben mit dem weniger verdächtigen Namen „Alleanza Nazionale” übertünchten MSI, der neofaschistischen Sozialbewegung also. Die eine dem historischen, namentlich aber dem republikanischen Faschismus des fadenscheinigen Sozialstaates Mussolinis von Hitlers Gnaden (1943-1945) nachhängende - die andere der jüngeren Generationen, welcheihre Existenzberechtigung auf eine demokratische nationale Rechte gründet und demgemäß propagiert.

Berlusconi war klug genug, zwischen den beiden Tendenzen scharf zu unterscheiden und sich den radikalen Forderungen des intransigen-ten Flügels der „Alleanza” zu entziehen. So lehnte er beispielsweise die Berufung zum Minister des MSI-Draufgängers Mirko Tremaglia, einst fanatischer Freiwilliger unter Mussolini gerade in dessen letzter Scheinrepublik, kategorisch ab sowie die diesbezüglichen dringenden Anliegen anderer Gleichgesinnter der MSI. Dagegen machte er den AN-Mann Giuseppe Tatarella, allgemein als der „am wenigsten faschistisch eingestellte Neofaschist” eingeschätzt, zum Postminister - wegen der Zuständigkeit in Sachen Rundfunk und TV ein wichtiges Vertrauensamt.

Ja, Tatarella ist überhaupt der Erfinder der Nationalallianz, wodurch er zahlreiche bis dahin der MSI völlig fernstehende Politiker und Parlamentarier für die Rechte zu gewinnen vermochte. Und Umweltminister wurde, um ein anderes Beispiel aufzuzeigen, Domenico Fisichella,

_! ein Politologe von Ruf und feinsinniger Kunsthistoriker, eher Anhänger der Monarchie und gewiß nicht des Faschismus. Vor einigen Tagen schriev der „Corriere della Sera”-Ko-lumnist Giuliano Zinco-ne, niemand wird doch wohl denken, daß ein Fini, der in Rom immerhin 47 Prozent der Wählerstimmen errang, oder Tatarella oder Fisichella sowie die übrigen drei „faschistischen” Minister „unsere freiheitlichen demokratischen Institutionen zu gefährden in der Lage wären”. Und wenn, so Zincone sinngemäß, dann würde sie das italienische Volk schleunigst zum Teufel jagen!

An Berlusconi liegt es, diese Anschauung überzeugend zu manifestieren. In seiner Regierungserklärung betonte er energisch, seine Exekutive bekenne sich voll und ganz zu der nach der Niederwerfung des Faschismus 1948 sanktionierten demokratisch-republikanischen Verfassung. Das eine sei die geschlossene Regierungspolitik unter seiner Führung, sagte Berlusconi, und eine andere Sache seien die politischen Auffassungen der einzelnen Koalitionsmitglieder.

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