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Italien löst sein Energieproblem

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Der Mangel an Kohle und Eisen brachte Italien nach dem ersten Weltkrieg sofort wieder in Abhängigkeit vom Ausland, der sich der Faschismus mit seinen Autarkiebestrebungen vergeblich zu entziehen suchte, an diesem Mangel zerbrach im letzten Krieg schließlich der Staat selbst. Mit dem Verlust des größeren Teiles seiner an sich schon geringen Kohlenvorräte an Jugoslawien und dem einiger wichtiger Wasserkraftwerke an Frankreich schritt Italien 1945 an den Wiederaufbau seiner Wirtschaft.

Ein Jahr später wurde in Caviaga bei Mailand das erste große Erdgasvorkommen durch die staatliche Azienda Generale Italiana Petroli (AGIP) entdeckt. Die AGIP war 1926 im Rahmen des Autarkieprogramms gegründet worden, um der Schürfung nach Erdöl, der sich die Privatindustrie trotz großer Begünstigungen und Unterstützung von Seiten des Staates nur zaudernd widmete, einen neuen Impuls zu geben. Die sichtbaren Ergebnisse waren jedoch bis 1946 so bescheiden gewesen, daß die Liquidierung der Gesellschaft und der Abverkauf ihres Materials vorgeschlagen wurde. Nur der junge christlich-demokratische Abgeordnete Enrico Matt ei widersetzte sich energisch diesem Vorhaben, überzeugt davon, daß die jahrzehntelangen Forschungen sehr bald Früchte tragen müßten. Dieser energische Führer der katholischen Widerstandsbewegung während des Krieges, dem dann die Geschicke der AGIP anvertraut wurden, ist ein Beispiel dafür, daß auch die Wirtschaftsgeschichte von Ideen gemacht wird und von Männern. Der Entdeckung von Caviaga folgten bald die der Methanvorkommen von Ripalta, Cor-

temaggiore, Cornegliano, Bordolano, Cor- regio, alles kleine Orte der Poebene, deren Namen heute in der italienischen Wirtschaft einen bedeutsamen Klang haben. Die AGIP ist heute eines der größten und aktivsten Industrieunternehmen des Landes; aus 120 Bohrstellen liefert sie täglich zehn Millionen Kubikmeter Methangas, das nur deshalb nicht zur Gänze von der Industrie absorbiert werden kann, weil der Bau der Gasleitungen nicht Schritt hält.

Kein anderer Industriezweig hat nach dem Krieg in Europa jenen schwindelnden Aufstieg zu verzeichnen gehabt wie die Methanindustrie Italiens: 1949 wurden der norditalienischen Industrie 105 Millionen Kubikmeter zur Verfügung gestellt, 1950 waren es 305 Millionen, 1951 708 Millionen. Noch in diesem Jahr werden es aber bereits 1500 Millionen Kubikmeter sein, was einer Kohlenmenge von 2,25 Millionen Tonnen gleichkommt. 1953, wenn das Leitungsnetz seine volle Ausdehnung von beinahe 5000 Kilometer erreicht haben und alle größeren Industriezentren Norditaliens, von Turin bis Venedig, von Como bis Genua und Bologna, verbinden wird, wird die Ersparnis an ausländischer Kohle 5,5 Millionen Tonnen betragen, das bedeutet mehr als die Hälfte des Totalverbrauchs Italiens, denn das Land hat 1951 10,7 Millionen Tonnen Steinkohle einführen müssen und dafür 140 Milliarden Lire in Valuta ausgegeben.

Aus diesen wenigen Ziffern wird bereits sichtbar, daß eine wirtschaftliche Revolution im Gange ist. Denn Methan ist nicht nur wegen seiner Reinheit und Schlackenfreiheit ein idealer

Brennstoff in technischer Hinsicht, es ist auch bedeutend billiger als jede andere Energiequelle. Die größten Industriekomplexe Norditaliens, wie Montecatini, Snia Viscosa, Pirelli, Dalmine, Falck, um nur einige von den 1000 bereits mit Erdgas arbeitenden Betrieben zu nennen, erzielen Ersparnisse von 30 bis 50 Prozent. Daß dies seine Auswirkungen auf die Herstellungspreise und Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten haben muß, liegt auf der Hand.

Eine Umwälzung in der Energieversorgung solch gigantischen Ausmaßes muß naturgemäß auch seine politischen Rückwirkungen haben. Die Privatindustrie, die sich den Reichtum buchstäblich durch die Finger schlüpfen ließ, hat versucht, ihren ganzen politischen Einfluß im Parlament, in der Presse, in der öffentlichen Meinung, geltend zu machen, um die Initiative wieder an sich zu bringen. Aber mit seltener Einmütigkeit hat sich die Kammer im Hinblick auf die nationale Bedeutung der Methanvorkommen in der Poebene dafür ausgesprochen, daß die Ausbeutung wenigstens in diesem Gebiet der staatlichen AGIP allein Vorbehalten bleiben soll. Der diesbezügliche Gesetzentwurf wurde, ein einmaliger Fall in der Geschichte des Parlaments der italienischen Republik, von sämtlichen Parteien gutgeheißen.

Ein weiterer Aspekt ist die Lage, vor die sich die Industrie in Mittel- und Süditalien gestellt sieht. Ein Spiel der Natur wollte es, daß die neue Energiequelle gerade in jenen Gebieten gefunden wurde, die bereits hochindustrialisiert und organisiert sind, während die schon jetzt mit mannigfachen Schwierigkeiten

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