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Italiens Spätsommer

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Die nach den italienischen Parlamentswahlen vom 19. Mai nach sehr langen Verhandlungen gebildete Regierung Leone wurde oft mit dem Spottnamen „governo balneare“ (Regierung für die Badesaison) belegt. Jedoch konnte der unbefangene Beobachter sofort feststellen, daß eine Regierung mit bedeutenden Köpfen wie Justizminister Guido Gonella, Außenminister Giuseppe Medici, Schatzminister Emilio Colombo sich nicht zum Handlanger mittelmäßiger Parteiapparate degradieren lassen würe. Dabei war der Beginn der Arbeit für die Regierung alles andere als günstig. Die Minister kommen alle von der Democrazia Cristiana, jener Partei, die sich im Wahlkampf den Wählern als unüberwindliches Bollwerk gegen den Kommunismus angelegentlichst empfohlen hatte. Kaum hatten die neugewählten Parlamentarier ihre Plätze eingenommen, da verlangten

schon die Wortführer der Linkskatholiken, daß in Zukunft auch die Kommunisten einer Regierung der linken Mitte angehören sollten. Die Partei hat sich von diesen Forderungen der Gruppe um den Abgeordneten Donat Catin nicht distanziert. Wie der italienische Wähler bei der nächsten Gelegenheit auf dieses Manöver, das gerade von den demokratischen Sozialisten entsprechend herausgestellt wurde, reagieren wird, muß erst die Zukunft zeigen. Und dennoch ging Leone nach der ihm von der Parteilinken und den Nenni- Sozialisten aufgezwungenen Regierungserklärung, die zahlreiche Forderungen der Linken bejahte, an die Arbeit. Seine Zeit ist ja bis zum sozialistischen Parteikongreß im Spätherbst befristet, dann erhofft man ja die Rückkehr der Sozialisten in die Regierung.

Außenpolitisch schien das Jahr 1968 für Italien einen ruhigen Som-

mer zu versprechen. In Entspannungseuphorie machte man Ferien. Allerdings brachte Außenminister Medici einen anderen Stil in die Farnesina als sein Amtsvorgänger Amintore Fanfani. Letzterer hatte trotz allem Linksdrall zwei außenpolitische Steckenpferde: Unnachgiebige, ja feindliche Haltung gegenüber Österreich bei den Verhandlungen um Südtirol und Pflege bester Beziehungen zu den arabischen Staaten. Maliziös könnte man sagen „on revient toujours ä ses premiers amours“; Fanfanis Rolle in der faschistischen Ära ist ja hinlänglich bekannt. Aber die proarabische Politik, die natürlich gerade im Vorjahr nach dem Sechstagekrieg sehr kritisiert wurde, hat durchaus reale Ursachen. Der staatliche italienische Erdölkonzern braucht dringend die arabischen Öllieferungen. Der Gründer des Konzerns, der erfolgreiche Manager Mattei, hat ja Fanfanis

Politik der Linksöffnung finanziert, gegen den Widerstand einflußreicher Wirtschafts- und Finanzkreise. Heute sind diese Widerstände überwunden und nicht nur der Mailänder „Giorno“ vertritt die Regierungspolitik, sondern sogar der „Corriere della Sera“. Nach den ersten Anzeichen einer entgegenkommenderen Haltung gegenüber Österreich seitens der neuen Regierung erntete Fanfani auf einmal das Lob der nationalliberalen Kreise, die ihn früher Immer getadelt hatten. Diese Wortgefechte wurden nun durch die russische Besetzung der CSSR jäh unterbrochen. Auf einmal erkennt man wieder den Wert des Atlantikpaktes und wünscht dessen Verlängerung. Die Ratifizierung des Vertrages gegen die Weiterverbreitung von Kernwaffen wurde aufgeschoben, nachdem die Regierung offiziell erklärt hatte, die Besetzung der CSSR verstoße gegen den Geist dieses Vertrages. Von der Entsendung kommunistischer Parlamentarier nach Straßburg hört man nichts mehr. Bekanntlich hat sich auch die kommunistische Partei Italiens von der Sowjetpolitik distanziert. Aller

dings hört man auch die Befürchtung, daß gerade die Demonstration ungeheurer militärischer Macht seitens der UdSSR die kommunistische Partei in den Augen gewisser Wählerschichten attraktiv gestalten könnte.

Wirklich Regierungswechsel?

Allerdings bleibt das immer eine offene Frage. Der große wirtschaftliche Aufschwung Italiens ist gerade auch den breiten Volksschichten, der Arbeiterschaft der norditalienischen Industriezentren oder der Landbevölkerung der Toskana zugute gekommen. Die Haltung Jugoslawiens hat die italienische Öffentlichkeit beeindruckt, aber auch mit Sorge erfüllt, nämlich daß die Regierung in Belgrad die Lage für so ernst erachtet. Noch kritischer ist ja die Lage im Mittelmeer durch die Anwesenheit starker sowjetischer Marineeinheiten, die sich immer auf die Häfen nordafrikanischer Staaten stützen können.

In aller Stille hatte sich die Regierung bereits über das Budget für das Jahr 1969 geeinigt. Die prälimi- nierten Einnahmen belaufen sich auf

9718,8 Milliarden Lire, denen 11.418,1 Milliarden Ausgaben gegenüberstehen, also ein budgetärer Abgang von 1699,3 Milliarden Lire. Die Erhöhung des Defizits, im Vergleich zum Vorjahr um 47,8 Prozent, ist bedingt durch die Fälligkeit von Rückzahlungsterminen von Obligationen. Mit dem Budget verabschiedete der Ministerrat auch eine Reihe von Finanzierungsvorhaben, besonders auf dem Gebiet der Investitionen. Die „Cassa per il Mezzogiomo“ (Kassa zur Entwicklung Süditaliens) erhält einen Zuschuß, der von 1640 auf 2220 Milliarden erhöht wird. 450 Milliarden erhalten die Staatsbahnen, dazu nach weitere 200 Milliarden für den Bau einer neuen Eisenbahnlinie von Rom nach Florenz. Dazu wurden für Investitionen zahlreiche Steuererleichterungen beschlossen.

Auch die Universitätsreform hat die Regierung in Angriff genommen, ob man trotzdem Studentenunruhen vermeiden kann, sei dahingestellt. Von einem heißen Herbst wird in Italien allerdings nicht gesprochen. Der Herbst soll ja ohnehin wieder einen Regierungswechsel bringen.

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