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J0ZEF LENART / PRAGS NEUER STEUERMANN

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Die überraschende Regierungsumbildung in der Tschechoslowakei, die nach dem Beschluß des Zentralkomitees der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei vom 20. September vorigen Jahres erfolgte, stellte einen Mann ganz plötzlich in das Rampenlicht, von dem bisher nicht allzuviel bekannt war. Schuld daran war, daß dieser neue Ministerpräsident Jozef Lenärt nicht nur jung war, daß er bisher nicht Mitglied der Prager Regierung war und — verständlicherweise — weder als Stalinist noch, als AntiStalinist Profil gewonnen hatte. Weder das eine noch das andere hätte ihn für diesen hohen Posten — den zweit- oder dritthöchsten der Tschechoslowakei — qualifiziert.

Ein gewisser Dualismus zwischen den böhmisch-mährischen Ländern und der Slowakei ist genau dreißigjährigen Slowaken kann man aber beim besten Willen nicht als Repräsentanten der stalinistischen Ära der Tschechoslowakei bezeichnen. Dazu kommt vor allem, daß er erst nach dem Tode Stalins — und zwar in den Jahren zwischen 1953 und 1956 — die Parteihochschule in Moskau besucht hatte, also hier die Situation der nachstalinistischen Zeit an Ort und Stelle beobachten konnte. Ansonsten hat der neue Prager Regierungschef ähnlich wie sein Vorgänger ebenfalls die Laufbahn eines typischen Parteifunktionärs hinter sich gebracht, bis er überraschend zum Regierungschef ernannt wurde. Als Betriebsleiter einer slowakischen Schuhfabrik wurde er schon 1950 Mitglied des ZKs der KPdS. Dann rückte er 1952, wenn auch nur kurz, zum Stellvertretenden Minister für Leichtindustrie auf. 1954 ist er im Kreisausschuß der KPdS in Neutra tätig, 1956 leitender Sekretär des Kreisausschusses der KPdS in Preßburg. Im darauffolgenden Jahr wird er Mitglied und Sekretär des ZK der KPdS und noch im Juni 195S Mitglied des ZK der KPdTsch.

Erst 1960 wird er — wenn auch erst 37 Jahre — Abgeordneter im Prager Parlament für den Wahlsprengel Preßburg, er wird allerdings auch sofort Mitglied des Parlamentspräsidiums. 1962 wird er Vorsitzender des slowakischen Nationalausschusses. Am 27. September 1963 wird er schließlich, der bisher fast ausschließlich in Parteifunktionen — und zwar zum Unterschied zu manchen anderen slawischen Kommunitrotz aller Differenzen früherer Jahre, trotz eines Tauziehens innerhalb der Kommunistischen Partei, bis zur heutigen Zeit sichtbar. Bei dem Proporz leitender Posten war es zuletzt immer so, daß die Tschechen den ersten KP-Sekretär und den Staatspräsidenten stellten (was bei den Tschechen zum Unterschied von den meisten anderen Volksdemokratien in Personalunion verbunden war), während den Slowaken der Posten eines Ministerpräsidenten vorbehalten war. Während Novotny seinen Posten in Partei und Staat zu halten vermochte, wurde der Regierungschef der Slowakei, Viliam Siroky, im Krisenherbst 1963 seines Postens enthoben — und zwar auf eine nicht allzu sanfte Weise. „Wegen Mängel in der Arbeit“ — hieß es im offiziellen Kommunique' — „ungenügender Durchsetzung der Parteilinie in der Leitungstätigkeit der Regierung und wegen gewisser Fehler in seiner politischen Tätigkeit in der Vergangenheit sowie auch wegen seines nicht zufriedenstellenden Gesundheitszustandes.“

Natürlich kann Jozef Lenärt, der neue Regierungschef der Prager Regierung, eine nicht annähernd so „heroische“ Vergangenheit wie etwa sein Vorgänger aufweisen. Dafür hat er zwei Vorteile, die stark ins Gewicht fallen: Seine Jugend und damit im Zusammenhang sein Alibi — oder zumindest Teilalibi — für die stalinisttsehe Zeit. Jozef Lenärt war beim Tode Stalins zwar schon in maßgeblichen Funktionen und Mitglied des ZK der KPdS; den beim Tod Stalins sten, etwa Öuris — vorwiegend in der Slowakei eingesetzt war, neuer Ministerpräsident der tschechoslowakischen Regierung.

Jozef Lenärt hatte keine einfache Aufgabe zu übernehmen. Er brachte eine Reihe von Voraussetzungen mit, die Vorteil und Belastung gleichermaßen waren: Das Vertrauen des Staatspräsidenten und Ersten ZK-Sekretärs, eine wichtige und zugleich belastende Mitgift; seine Jugend — zur Zeit seiner Berufung als Regierungschef war er 40 Jahre alt; die Tatsache, daß er vor seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten nicht der Regierung angehörte und daß er auch in Prag kaum über weitreichende und wesentliche Beziehungen verfügt.

Mit der Berufung Lenärts auf den Posten des Ministerpräsidenten erfolgte gleichzeitig eine radikale Regierungsumbildung, die entscheidendste seit 1948. Lenärt dürfte kaum in der Lage gewesen sein, Männer seines Vertrauens auszuwählen oder einen auch nur geringfügigen Einfluß auf die Ministerliste auszuüben. Er muß also mit einem Orchester spielen, das er nicht zusammengesetzt und auf das er sicher nur einen beschränkten Einfluß hat. Immerhin sind die meisten neuen Regierungsmitglieder eher Fachleute als Parteileute, sie sind zudem wesentlich jünger als die ausgeschiedenen. Der neue Steuermann Lenärt wird es trotz allem nicht leicht haben, das Regierungsschiff flottzumachen. Er wird darüber hinaus noch manchen Sturm zu bestehen haben.

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