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Ja zu einem „Februarpakt“

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Noch fehlt das Geschichtswerk, das die Ereignisse des 12. Februar 1934, von der Leidenschaft zur Wahrheit beseelt, schilderte: die Handelnden im Vordergrund, die sich weniger Gefährdenden im toten Winkel der MG-Garben und die im Hintergrund Wirkenden oder schon Nachwirkenden. Das Fehlen einer solchen Arbeit ist beklagenswert, denn es steht jetzt, am Vorabend des Februargedenkens, zu befürchten, daß der Politiker und nicht der dazu nach 40 Jahren berufene Wissenschaftler das Maß der Schuld verteilen wird. Dabei geht es weniger darum, festzustellen, wer den ersten Schuß abgefeuert hatte, als zu erklären: Wie war es möglich, wie konnte es geschehen, daß Bürger einer demokratischen Republik aufeinander das gezielte Feuer eröffnen?

Diese Zeilen wollen an die Gedanken Günther Nennings („Die Furche“, Nr. 3, 18. Jänner 1964) anknüpfen. Ihr Schreiber stand in den Februartagen als Einjährig-Freiwilliger in den Reihen des Bundesheeres, er hatte auch zur Zeit des Juliputsches zu marschieren. Bei beiden Anlässen blieb es ihm erspart, zu schießen oder beschossen zu werden. Für den Neunzehnjährigen und seine Altersgenossen in den Doppelreihen war es ein prägendes Erlebnis: die entfesselte politische Leidenschaft, die das Maß verliert und an der Gewalt zerbricht. Politik war uns damals etwas Unheimliches. Österreich, das war der Vizeleutnant, der in den Stunden nächtlicher Bereitschaft von den Isonzoschlachten, von den Abwehrkämpfen erzählte. Österreich, das war die alte, ruhmreiche Regimentsfahne. Und wir ihre Hüter. Für 50 Groschen im Tag! Auch hier gab es Opferbereitschaft, Begeisterung, Entschlossenheit zum tapferen Leben und nötigenfalls zum Sterben. Eine Atmosphäre, in der für die Diskussion kein Raum blieb und die von selbst dazu leitete, im Andersdenkenden nicht einen Gegner, sondern einen Feind, der zu bezwingen und nicht zu überzeugen war, zu erblicken.

Diskutieren, Geduld und Toleranz lernten wir erst einige Jahre später. Es -war spät und doch nicht zu spät, als wir mit dem Kameraden im Selben Schützenloch hockten und entdeckten, daß wir beide Hitler ablehnten, daß wir beide Österreich liebten und doch in verschiedenen Lagern standen. Die Fäden, die damals gesponnen wurden, rissen nicht ab. Die Statisten der dreißiger Jahre tragen sich nichts nach. Sie haben sich versöhnt, weil sie in der Armee des braunen Monstrums erkannten, was sie verloren hatten, als sie sich in Österreich bekämpften. Heute sind es die Männer in den reifen Jahren, die in unserer Gemeinschaft stehen und aus der Erfahrung schöpfen: Sie wollen den inneren Frieden, und sie sind es, die es am meisten betroffen hat, daß in der innerpolitischen Auseinandersetzung, wie es Dr. Nenning treffend formuliert, Gift produziert wird. Sie, deren Söhne jetzt beim Bundesheer dienen und zur Liebe und Treue zu Österreich erzogen werden. Diese Männer haben das Mahnwort Kardinal Königs besser verstanden und eher begriffen als jene, an die es gerichtet war. Sie mußten doch für die Irrtümer, für die Fehler, für die Kurzschlüsse der Denker, Politiker und Publizisten bezahlen, die es zuließen, daß die demokratische Diskussion in eine Schießerei entartete, die zu einem Bürgerkrieg wurde. Sie sind die wirklichen Opfer, die die besten Jahre ihres Lebens hergeben mußten, weil-es einige gegeben hat, die die Macht in kein Verhältnis zum Recht zu setzen wußten.

Sie haben daher das Recht, die Ehrlichkeit in der Politik, in der innerpolitischen Diskussion zu verlangen. Es ist erfreulich, daß sich die Regierung dazu entschlossen hat, alle Toten der düsteren Februarereignisse zu ehren. Aber hat man nicht auch nach dem ersten Weltkrieg am Grab des unbekannten Soldaten Kränze niedergelegt, um sich zwei Jahrzehnte später wieder an die Kehle zu springen? Vollziehen wir ehrlichen Herzens auch offiziell die Versöhnung nach den tragischen Irrtümern des Jahres 1934, und überlassen wir die Ermittlung des Ausmaßes des Verschuldens dem Historiker! Keiner der Gegner von einst wird alle Lichter für sich beanspruchen können, wie auch auf keinen die vollen Schatten fallen werden.

Nur in tiefer Reue können wir auf die Februargeschehnisse zurückblicken und mit der aufrichtigen Entschlossenheit alles, aber schon alles in der politischen Auseinandersetzung vermeiden, was an den Stil der Ersten Republik erinnert. Österreich ist uns ein Vaterland geworden, weil wir es lernten, zusammenzuarbeiten. Und nur im Zusammenwirken wird es uns ein Vaterland bleiben. Österreich ist keine Domäne einer Partei, einer politischen Weltanschauung, in der eine über die andere regieren und herrschen könnte. Wer in Österreich nach der Alleinherrschaft greifen will, ist zum Scheitern verurteilt, er reißt aber Österreich mit in den Abgrund. Es sei deshalb Günther Nenning beigepflichtet, wenn er nach einem Februarpakt 1964 ruft, in dem sich unser Volk vor den Toten der Nation neigt und sich für alle Zeiten den Grundsätzen der lebendigen Demokratie verschwört. Das wäre ein Ausgangspunkt für einen sicheren Weg in die Zukunft.

Über alle Streitigkeiten und tristen Praktiken hinweg: Wir haben Verständnis dafür, daß eine große Partei nach einem Dreivierteljahrhundert ihres wechselvollen Wirkens sich legitimiert fühlt, das volle und ganze Vertrauen des Volkes zu fordern. Aus der guten Gesinnung, die dem so oft Enttäuschten die Hand weiterhin zur gemeinsamen Arbeit anbietet, sei es festgehalten: Die Grenzen der Erfüllbarkeit dieses Wunsches zieht die demokratische Wirklichkeit. Wir wollen dabei weder Überösterreicher noch Superdemokraten sein, sondern ehrliche Realisten bleiben. Und als solche müssen wir uns sagen, daß unsere Zusammenarbeit um den Preis des Selbstverzichts und der Selbsteinschränkuing erkauft werden muß. Das ist für beide großen Richtungen eine schwere Aufgabe und für ihre führenden Männer immer wieder eine Versuchung, auszubrechen. Österreich, das Wohl und Wehe seines Volkes, ruht auf den großen, nun schon seit Generationen gewachsenen Parteien. Gemeinsam tragen sie den Staat. Will eine Richtung das Zepter allein führen, fehlt ihr die Lebenskraft der anderen. So der historische Unterricht, den wir der Geschichte der Ersten Republik entnehmen und in den kommenden Gedenktagen erwägen wollen.

Zu Ehren der Toten, zum Segen der Lebenden.

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