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Jagdherr als „Schutzhäftling“

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So ging es mit gelegentlichen Besuchen des Bären in den Karawankenrevieren Kärntens weiter, bis 1938 der „Anschluß“ kam. Wie viele andere meiner Freunde mußte ich damals die Zeit von Ende April bis Ende August im Polizeigefangenenhaus auf der Roßauer Lände in Wien verbringen. Da erhielt ich etwa Mitte Mai eine Karte eines Forstmeisters, der mir mitteilte, der Bär sei in meinem Revier aufgetaucht und von einem Forstarbeiter auf nächste Distanz gesehen worden, als beide — der Bär und der Forstarbeiter — sich einer Quelle näherten, um dort Wasser zu schöpfen. Wahrscheinlich halte sich der Bär noch in unserem Revier auf.

Wenn man, wie wir alle damals, im Gefängnis sitzt, denkt man an die verschiedensten Möglichkeiten, die einem die Freiheit wiedergeben könnten, und so schrieb ich postwendend an meinen damaligen Forstmeister, Ing. ZeitUnger, er möge doch dem Reichsjagdamt in Berlin die Anwesenheit eines Bären im südlichsten Revier Kärntens melden und daß dessen Jagdherr leider derzeit verhindert sei, sich mit dem Bären in irgendeiner Weise zu beschäftigen, weil er auf Grund seiner bis 1938 innegehabten politischen Funktionen durch die Haft daran verhindert sei. Der Reichsjägermeister Hermann Göring hatte ja damals noch bei uns den Ruf, ein gerecht denkender Mann zu sein, und ich hatte gehofft, er würde sich dafür interessieren, was eigentlich der Grund meiner Haft sei. Vielleicht könnte der Bär für mich als Vorwand gelten, um früher entlassen zu werden. Drei Tage später erschien zwar eine Verordnung, in der der Bär im ganzen Deutschen Reich einer ganzjährigen völligen Schonung teilhaftig wurde, ich selbst aber blieb nach wie vor in meiner politischen Haft! Immerhin ist es für mich heute, rückblickend, recht unterhaltend, daß die erste völlige Schonung des Bären in Kärnten auf meinen Antrag als politischer „Schutzhäftling“ zurückzuführen ist!

Bald nach Ende des Krieges wurde ich Mitglied des Internationalen Jagdrates (CIC), der seinen Sitz in Paris hat, und konnte im Mai 1950 dort an einer Generalversammlung dieser Organisation teilnehmen. Unter anderem wurden in Paris auch Sdionungsmaßnahmen für die letzten europäischen Bären besprochen und allen Ländervertretern nahegelegt, sich in ihrer Heimat für diese Schonung einzusetzen.

Ein „Bärensymposion“

Wir hatten damals mit unseren südlichen Nachbarn, den Jugoslawen, zwanglose Besprechungen vereinbart, zu denen sich die Jäger von dies- und jenseits der Karawanken zusammenfanden, um über gemeinsame Probleme, etwa die Gamsräude an der Grenze, den Abschuß von Steinadlern, die Hege des Rotwildes und dergleichen, zu sprechen. Dabei erfuhren wir, daß der Bär in ganz Slowenien vollkommenste Schonung genieße und daß dort die Erlegung eines Bären empfindliche Strafen für den Schützen nach sich zöge. Bei uns in Kärnten war dies nicht der Fall, und ich empfand es als Kulturschande für unser Land, daß der Bär, der nunmehr seit Erscheinen des Kärntner Jagdgesetzes wohl zum jagdbaren Wild zählte, in Kärnten aber noch keine Schonung genieße. Mein Bestreben ging also dahin, es den jugoslawischen Jägern gleichzutun und eine vollkommene gesetzliche Schonung des Bären in Kärnten zu erreichen.

Die Verhandlungen um die Schonung des Bären zogen sich jahrelang hin, bis ich 1956 eines Tages eine Einladung nach Trient zu einem „Bärensymposion“ bekam. Der Gastgeber war ein Graf Gallarati-Scotti, dem die Schonung der letzten Südtiroler Bären am Herzen lag. Außer namhaften- italienischen Naturwissenschaftlern aus Mailand, Bologna und anderen Universitäten nahmen an der Besprechung auch eine Reihe von Praktikern, Wildhütern aus dem Gebiet der Adamello-, Presanella-und Brentagruppe der italienischen Alpen teil. Auch Verantwortliche des CIC aus Frankreich waren geladen. Das Ergebnis dieses Kongresses gipfelte in der Tatsache, daß die italien-nische Regierung sich bereit erklärte, für alle etwaigen durch den Bären im Trentino angerichteten Schäden aufzukommen, um dieses Naturdenkmal so lange als möglich vor der Ausrottung zu schützen.

Als unser freundlicher Gastgeber, Graf Gallarati-Scotti, ein paar andere Herren und ich abends in kleinstem Kreise beisammen saßen, richtete der Hausherr an mich die Frage, ob ich eigentlich wisse, daß der Trientiner Bär nicht nur historische und naturwissenschaftliche Bedeutung habe, sondern geradezu mythische Bedeutung besitze. Als ich erstaunt verneinte, erzählte mir der Fragesteller die Geschichte vom heiligen Romedius. Wer sich näher um diesen Heiligen interessiert, sei auf das Buch „Sankt Romedius — ein Heiliger aus Tirol“ von Wolfgang von Pfaundler, erschienen 1961 im Herold-Verlag in Wien, verwiesen. Die reizende Legende besagt, daß im vierten Jahrhundert nach Christus ein heiliger Einsiedler namens Romedius im Val di Sol lebte. Er war eng mit dem Bischof von Trient, dem heiligen Vigilius, befreundet. Als Romedius seinen Tod nahen fühlte, wollte er den Bischof noch einmal besuchen und aus seiner Einsiedelei zu ihm nach Trient reiten. Er befahl also seinen Schülern, zu diesem Zweck die alte Stute zu satteln. Mit allen Zeichen des Schreckens erschienen seine Schüler aber gleich darauf, um Romedius zu melden, daß sein Auftrag undurchführbar sei. Ein riesiger Bär sei eben dabei, die Stute, die er überfallen hatte, zu fressen. Romedius ließ sich durch diese Nachricht aber in keiner Weise stören, eilte zum Ort der Tat und befahl nun dem Bären, sich satteln zu lassen. Auf dessen Rücken ritt er dann nach Trient, besuchte seinen Freund, den Bischof und kam auch wohlbehalten auf dem Rücken des Petzes wieder in seiner Einsiedelei an. Der Ritt des heiligen Romedius aber wurde vom Läuten der Kirchenglocken begleitet, alle Blumen neigten sich vor ihm und die ganze Natur schien dem Heiligen ihre Ehrerbietung zu erweisen.

Der Romedius-Orden

Ich war von dieser Erzählung tief beeindruckt und schlug Graf Galla-rati vor, wir möchten doch gemeinsam einen Orden des heiligen Romedius gründen, der ein Symbol für die Schonung der letzten europäischen Bären werde und alle Jäger und Nichtjäger umfassen solle, die sich irgendwie um den Schutz des Bären in den verschiedenen Ländern verdient gemacht hätten. Graf Gal-larati war von dieser Idee begeistert, und so entstand mit dem übernationalen lateinischen Titel der „Ordo Sancti Romedii“, dessen Mitgliederzahl heute in Österreich, Italien, Frankreich, Spanien und Schweden ungefähr 200 beträgt.

Der Romedius-Orden war auch in mancher Beziehung das Mittel in Kärnten, um den Zweck der Schonung des Bären in unserem Bundesland zu erreichen. Alle jene Persönlichkeiten, die sich um jene Verordnung bemühten, welche 1956 die ganzjährige Schonung des Kärntner Bären verfügte, wurden dessen Mitglieder. Zugleich gelang es der Kärntner Jägerschaft, bei der Versicherungsanstalt der österreichischen Bundesländer eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, welche alle Schäden decken sollte, die der Bär nachweislich an Weidevieh, an Bienenstöcken oder in ähnlichen Fällen angerichtet hätte. In den ersten Jahren gab es überhaupt keine Klagen, trotzdem zweifellos der eine oder andere Bär uns in Kärnten Besuche abgestattet hatte. Erst 1960 hörte man wieder von Schäden an Weidevieh, welche aber von der Versicherungsanstalt anstandslos liquidiert wurden. Leider nahmen diese Schäden in den folgenden Jahren zu, und so ist es wohl verständlich, daß die bäuerliche Bevölkerung immer energischer auf den Abschuß der Bären drängte. Inzwischen war auch eine Änderung in der Einstellung unserer südlichen Nachbarn gegenüber dem Karawankenbären eingetreten.

In Krain hatten die dortigen großen Jagdherrn, vor allem die Fürsten Auersperg in Gottschee und die Fürsten Schönburg-Waldenburg im Bereich des Krainer Schneeberges dem dortigen Bären seit jeher eine planmäßige Hege und Schonung an-gedeihen lassen. Nach Errichtung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien wurde diese Schonung nicht nur fortgesetzt, sondern sehr stark intensiviert. Es ist bekannt, daß der Abschuß eines Bären in Slowenien um hohe Dollarbeträge an Ausländer vergeben wird und dem Lande wertvolle Devisen einbringt. Allein im vergangenen Jahr wurden auf slowenischem Territorium 27 Bären zum Abschuß freigegeben. Derzeit sollen allein in dieser Republik etwa 250 Bären ihre Fährte ziehen. Es ist selbstverständlich, daß bei einem so hohen Bestand an Bärenwild immer wieder einzelne Exemplare in Gegenden auswandern werden, die keinen ständigen Biotop für dieses edle Wild darstellen, die dichter bevölkert und daher für die Hege der Bären absolut ungeeignet sind. Die Regierung Sloweniens hat daher mit gutem Recht nach Anwachsen des Bestandes verfügt, daß in den für seine Hege ungeeigneten Gebieten jeder Bär zum Abschuß freigegeben ist. Trotz aller Sympathie für das edle Wild muß man dieser Einstellung Verständnis entgegenbringen.

Geben wir uns keinen Illusionen hin! Was vor Jahren richtig gewesen ist, muß heute unbedingt revidiert werden. Aber solange es in Slowenien mehr als genug Bären gibt, werden immer wieder welche ansiedeln und zu Standwild werden können. Da die Motorisierung auch in den Karawanken immer weiter und immer unaufhaltsamer fortschreitet und die ehemalige stille Waldesruhe in den seinerzeitigen urwaldähnlichen Beständen fast überall einem oft unerträglichen Lärm gewichen ist, kann man von Waldgebieten, in denen der Bär jahraus, jahrein leben könnte, nicht mehr sprechen.

Die absonderlichsten Vorschläge wurden für den Schutz der Bären auf der Nordseite der Karawanken in den verschiedensten Blättern und Blättchen gemacht.

Das einzige, was wirklich erstrebenswert wäre, könnte folgende Lösung darstellen: Auf Grund einer Vereinbarung mit Jugoslawien wäre es vielleicht erreichbar, daß dort nur jene Bären erlegt werden dürfen, welche nachweisbar schweren Schaden verursachen. Dann könnte auch bei uns nicht jeder Bär, sondern nur derjenige, der sich auch hier „schlecht“ benimmt, erlegt werden. Damit wäre aber dies- und jenseits der Karawanken eine generelle Abschußerlaubhis für alle Bären vermieden, und auf beiden Seiten unserer Grenzberge hätte der Jäger immerhin noch die Aussicht, da und dort diesem urigsten Wild der Alpen begegnen und es in freier Wildbahn beobachten zu können.

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