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JANOS KADAR / EIN FREUND NIKITA CHRUSCHTSCHOWS

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Bei dem Will. Parteikongreß der ungarischen Kommunisten in der vergangenen Woche stand ein Mann und seine Politik im Wordergrund des Geschehens, von dem man in Ungarn heute nur mehr als von dem Freund Nikita Chruschtschows spricht. Das besagt viel, wenn man weiß, daß der Partei-und Regierungschef Ungarns noch vor ein paar Jahren allgemein als der „meistgehaßte Mann in Ungarn“ und als „Werräter“ schlechthin galt. Seine Rolle während der Revolution des Jahres 1956 ist jedoch nie restlos und am wenigsten in der Öffentlichkeit geklärt worden, und diese kluge Worsicht führte schließlich dazu, daß die Erinnerung an jene „ohnehin nicht mehr genau überprüfbaren“ Taten Kddärs immer mehr verblaßte. Resignierend nahmen auch frühere Feinde Kddärs seine Machtstellung als unumstößliche Realität zur Kenntnis-, und seine Freunde weisen bedeutungsvoll auf den Umstand hin, daß er eben der Freund Nikita Chruschtschows und keineswegs etwa sein „Schüler“ sei. Denn, so sagen sie, Räkosi war einst nur ein Schüler Stalins, und das bedeutete Abhängigkeit, Kriechertum m'.t den bekannten bösen Folgen. Kdddr habe das Werhältnis Ungarns zur Sowjetunion auf den alten Grundlagen neu formuliert, und das sei verdienstvoll.

Die bisherige Karriere dieses heutigen Freundes des lächelnden Chruschtschow weist selbst bei einem Berufsrevolutionär staunenswerte Tief- und Höhepunkte auf. Immer geschah jedoch das meiste mit ihm, nicht durch ihn, und er blieb trotz allen Unbills was er war: ein recht gesund aussehender, natürlich wirkender Parteifunktionär, der seine Zuhörerschaft, wie das auch beim jüngsten Parteikongreß der Fall war, mitunter auch zum Lachen bringen kann.

Der einstige Holzarbeiter, schloß sich bereits in jungen Jahren der illegalen kommunistischen Partei an. Es war dies auch in Ungarn die Zeit der zwanziger, frühen dreißiger Jahre: Arbeitslosigkeit, Arbeiterdemonstrationen waren die entscheidenden Erlebnisse des jungen Arbeiters von Ujpest.

Kdddr wurde ein „Sektierer“ und ein „Mann des Apparates“. Während des zweiten Weltkrieges gehörte er bereits dem zehnköpfigen Stab der illegalen Partei an, deren Führer damals ein Mann namens Ldszlö Rajk war.

Kdddr war der erste, der 1944 im Auftrag der Partei mit den „Moskowiten“ Fühlung aufzunehmen hatte: mit den auch international bekannten Kommunistenführern Räkosi und Gero, die mit der Roten Armee die ungarische Grenze überschritten, bereit, die ihnen zugeteilte Aufgabe zu erfüllen. Kdddr wurde ihr eifriger Anhänger. 1948, nach der kommunistischen Machtergreifung, ernannte ihn Räkosi zu seinem Stellvertreter im Parteisekretariat. Bald darauf wird sein Freund Rajk verhaftet. Kdddr war damals Innenminister. Er soll Rajk im Gefängnis der AWO besucht und ihn im Auftrag Rdkosis zugeredet haben, die ihm zugedachte Rolle eines Werräters und Parteischädlings „im Interesse der Partei“ zu übernehmen und sich beim Prozeß, der ja nur als ein Scheinprozeß „zu Entlarvung der titoistischen Wer-schwörung“ dienen sollte, darnach zu verhalten. Der durch die Folterungen geschwächte und noch immer verblendete Rajk willigte ein. Et wurde verurteilt und hingerichtet. Zwei Jahre später, 1951, kam Kdddr an die Reihe. Er wurde verhaftet und grausam gefoltert. Während der ersten Tauwetterperiode im Jahre 1953, als lmre Nagy zum erstenmal Ministerpräsident wurde, erhielt er jedoch mit TOQOOlpolitischen Häftlingen die Freiheit zurück. Er meldete sich sofort zur Parteiarbeit. Er schloß sich jedoch weder der Anhängerschaft Nagys noch Rdkosis an, sondern verblieb geschickt im Hintergrund, obwohl man ihn in eingeweihten Kreisen schon damals als „Mann der Zukunft“ bezeichnete. Seine Position war die des „Zentrums“, und die behielt er sich bis heute. In den Tagen der Revolution wurde Kdddr Generalsekretär der Partei. Er gab deren Krise, beinahe Selbstauflösung, unumwunden öffentlich zu. Er übte also Selbstkritik, aber zog daraus nicht die Konsequenzen wie sein Parteikollege lmre Nagy, er hatte eben ein anderes Temperament und die Den-kungsart eines Mannes, der nur in Kategorien des Machtapparates denken kann. Nach der für diesen verhängnisvollen „Neutralitätserklärung“ Nagys verschwand Kdddr plötzlich und meldete sich erst einige Tage später wieder, diesmal schon — es war der 4. November 1956 — aus dem Hauptquartier der sowjetischen Streitkräfte.

In den seither vergangenen sechs Jahren hielt sich Jänos Kdddr an der Macht. Es gelang ihm, diese Macht zu konsolidieren, seine Gegner von rechts und links auszuschalten oder zumindest niederzuhalten, und es gelang ihm noch mehr: daß die Bevölkerung Ungarns das Leben unter seiner Herrschaft für lebenswerter findet. Er ließ zwar lmre Nagy und noch zahlreiche andere hinrichten, aber die Werfolgungen nahmen schließlich ein Ende, die Gefängnisse mit den noch dort verbliebenen politischen Häftlingen sollen etwas „komfortabler“, die Behandlung menschlicher geworden sein. Der Will. Parteikongreß bestätigte nunmehr, wie zu erwarten war, seinen erfolgreichen liberalen Kurs, der keineswegs von der von Moskau gewünschten Hauptrichtung abweicht. Solange dieser Kontakt besteht, bleibt auch die Stellung Kddärs unbestritten. Eine andere, bessere Stütze hat er, zumindest heute noch, nicht. M. P.

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