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Jerusalem - Gottes heiligstes Experiment
Trotz der politischen Konflikte zieht sich das Religiöse wie ein roter Faden durch das Alltagsleben von Jerusalem.
Trotz der politischen Konflikte zieht sich das Religiöse wie ein roter Faden durch das Alltagsleben von Jerusalem.
Dreitausend Jahre Jerusalem zu feiern, birgt die Gefahr in sich, Jerusalem ein Korsett anzulegen, Jerusalem in Maße der Zeit einzuzwängen. Und damit Jerusalem „die Luft" abzuschneiden.
3000 Jahre Jerusalem zu feiern, birgt aber auch die Gefahr in sich, das Jubiläum des Bestehens einer Stadt zu begehen. Noch dazu, wo Fachleute zugeben, das genaue Jahr, in dem König David die Stadt der Jebusiter eingenommen hat, nicht zu kennen.
Jerusalem ist wie eine geschätzte, betagte Dame, die man nicht nach ihrem Alter fragt, sondern glücklich ist, ihr wegen ihrer Lebensweisheit begegnen zu dürfen. Die Zahl der Lebensjahre dieser Dame macht ihre Würde nicht aus, sondern das, was sie an Lebenserfahrung weiterzugeben hat.
3000 Jahre Jerusalem zu feiern, ist einengend und punktuell. Ein seit Jahrzehnten in Jerusalem lebender Jude - nicht sehr religiös - bemerkte kürzlich, Jerusalem ist eine Idee. Diese Aussage signalisiert, daß man mit gängigen Stadtkategorien Jerusalem nicht so einfach beikommen kann. Das drückt sich auch im Sprechen über Jerusalem aus: Selten sagt man „die Stadt Jerusalem", sondern man sagt einfach „Jerusalem". Darin liegt Vertrautsein, Liebe, Zuneigung. Aber auch Ehrfurcht, da eben das Stadtsein Jerusalem nicht alles ist, was es - Jerusalem - definiert.
Und bemerkenswert ist dabei auch, daß viele Menschen, die in Jerusalem und im Heiligen Land nicht ihre Heimat haben oder hier für längere Zeit leben, in dieser zärtlichen und ehrfurchtsvollen Art über Jerusalem sprechen. Damit entzieht sich Jerusalem einseitiger Vereinnahmung. Der Psalmist (Psalm 87,5) drückt das auf seine Weise aus: „Jeder ist dort geboren".
Was macht es so erstrebenswert, gerade in Jerusalem „geboren" zu sein? Wahrscheinlich liegt der Grund darin, daß man in Jerusalem auf Schritt und Tritt auf Gott verwiesen wird, auf den Gott des Ursprungs der Menschen, den Schöpfer.
Wer mit etwas Sensibilität durch die Stadt geht oder hier lebt, kann sich ihrem religiösen Charakter nicht entziehen. Sie ist den Juden, den Christen und den Moslimen heilig. Diese Heiligkeit drückt sich in deren zahllosen verehrungswürdigen Plätzen aus, an denen der eine Gott verehrt wird. Ein Pilger hat das einmal treffend so zum Ausdruck gebracht: Jerusalem steht unter Spannung. Politische Konflikte liegen in der Luft. Religiöses Konkurrenzdenken führt zu Feindseligkeiten zwischen den Vertretern und Anhängern der drei monotheistischen Weltreligionen. Selbst unter den christlichen Denominationen ist Uneinigkeit und Mißtrauen spürbar. Aber dennoch, so bemerkte der Pilger weiter, kenne er keinen Ort in der Welt, in dem so viel gebetet wird.
Beispielsweise kann sich eine Gruppe von Christen ohne Voranmeldung und mitten im Getriebe der Altstadt Jerusalems an den Beginn der Via Do-loresa stellen und laut betend und singend die Liturgie des Kreuzweges beginnen.
Ein Pfarrer in Deutschland hat ein Buch mit dem Titel „Der geerdete Himmel" geschrieben. Wer Jerusalem erlebt, wird an diesen Buchtitel erinnert.
Obwohl Jerusalem außerhalb der Mauern der Altstadt eine moderne, sich westlich gebende Stadt ist, fühlt man, daß dennoch über ihr eine Decke des Religiösen liegt. Und das Religiöse zieht sich wie ein roter Faden durch das Alltagsleben der Stadt. Man muß die religiösen Traditionen und Gefühle der Gläubigen der in Jerusalem vertretenen Glaubensgemeinschaften ständig bedenken und darauf Rücksicht nehmen. Es gilt, Speisevorschriften, Fastengesetze, Festtage und vieles andere mehr ständig zu berücksichtigen. Und selbst die Kleidung verschiedener religiöser Gruppen ist Signal für die permanente Präsenz des religiösen Charakters Jerusalems.
Die Erfahrung lehrt, daß sogar glaubensindifferente Menschen, ob Touristen oder in Jerusalem Ansässige, sich diesem religiösen Einfluß nicht entziehen können. Ja, sich herausgefordert fühlen, zu religiösen Fragen Stellung zu beziehen.
Jerusalem ist das Symbol des Lebens. Alles, was ein Menschenleben bestimmt, ist mit dieser Stadt verbunden und wird in der Ribel anhand des Jahrtausende langen Schicksals Jerusalems gedeutet. Am besten fassen das Texte des Propheten Jesaja (Kapitel 60 und 66, 10-14) zusammen, die bis zum heutigen Tag gültig erscheinen. Der Mensch sehnt sich danach, daß die Dunkelheiten seines Lebens durch ein Licht des Erbarmens erhellt werden. Er sehnt sich danach, daß seine Trauer in Freude verwandelt wird. Er sehnt sich nach Sicherheit, Geborgenheit und Schutz. Er will, daß seine im Gebet ausgedrückte Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Klage, in die Erfüllung eines guten Heute verwandelt wird. Der Mensch sehnt sich nach Leben, selbst wenn er das Kreuz ertragen muß. Er ist nicht bereit, seine Endlichkeit zur Kenntnis nehmen zu müssen; er will Ewigkeit.
All diese Sehnsüchte und Ansprüche des Menschen bündeln sich in der göttlichen Zusage vom Frieden für Jerusalem und daß er von dort in alle Welt ausströmen soll. Friede, der mehr ist, als Verschontsein von Krieg und Streit. So wie für Jerusalem verheißen ist, daß seine Tore immer geöffnet bleiben können, bei Tag und bei Nacht, so träumt auch der Mensch davon, daß die Tore seines Lebens offen bleiben können: Er kann in Angstfreiheit leben, ohne Furcht, alles im Leben absichern zu müssen und bedeckt zu halten (vgl. Jesaja 60,11a). Genauso wie für Jerusalem die Vision ilt, dort in Würde leben zu können vgl. Sacharja 8,1-8).
Ahnen das die vielen Pilger, wenn sie traurig wieder Jerusalem verlassen müssen und sie die Sehnsucht nach dem Wiederkommen quält?
Jerusalem, die Stadt der großen Verheißungen. Jerusalem der Mikrokosmos für den Makrokosmos. In der Geschichte dieser Stadt bündelt sich das Leid und der Schmerz der Menschheit. Diese Stadt birgt aber in sich alle positive Hoffnung, die Menschen erträumen. Ist es vermessen zu meinen, wenn in Jerusalem die Hoffnung auf ewigen Frieden erfüllt sein wird, dann auch in der ganzen Welt Friede herrschen wird?
Noch ist Jerusalem und der Welt dieses Glück nicht vergönnt. Noch rivalisieren Religionen in Jerusalem oder finden dort noch keine gemeinsamen und zukünftweisenden Gesprächsebenen. Noch leben Menschen, gebürtig aus verschiedenen Ecken der Welt, in Jerusalem und finden noch keinen dauerhaften gemeinsamen Nenner, miteinander zu leben. Noch kommen Menschen aus aller Herren Länder nach Jerusalem und werden zwar vom Geist dieser Stadt betroffen, aber in den Alltag zurückgekehrt verdunstet entweder dieser Geist, oder sie nehmen diesen Geist aus Jerusalem mit und leiden darunter, daß ihn andere nicht verstehen können.
Jerusalem feiert seit September dieses Jahres sein 3000-jähriges Re-stehen. Die Feiern sollen sich über mehr als zwölf Monate erstrecken. Rlättert man im Programmheft der geplanten Feierlichkeiten, besticht die Vielzahl kultureller Angebote. Restechend - aber auch schade! Jerusalem ist nicht nur Kulturmetropole. 3000 Jahre Jerusalem zu feiern, hätte die Chance geboten, der Welt das anzubieten, was ihr Jerusalem aus dem Schatz seiner Verheißungen schenken könnte: Jerusalem, noch nicht die Stadt des ewigen Friedens. Aber: Jerusalem - noch immer Gottes heiligstes Experiment!
Jedoch ist das Jubeljahr noch nicht zu Ende.
Dr.WoIfgang Schwarz ist
Rektor des Österreichischen Hospizes in Jerusalem
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