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Josefinische Haltungen

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mußt du den glaubens- und kirchenfeindlichen Sozialismus bekämpfen!“ Daß es anders wurde, verdanken wir auch dem Trotz, dem Mut oder auch nur dem Justamentstandpunkt einiger weniger, die sich nicht beugten dem, was konform war, jenen wenigen Nonkon-formisten, die zuerst wahrscheinlich leise bei sich, dann aber auch laut gefragt haben: „Warum muß ich, warum darf ich nicht?“ Dieses so oft von den Vätern, den leiblichen und geistigen Vätern verlangte „Du mußt“ und „Du darfst nicht!“ hat immer wieder mit Recht eine neue Jugend empört.

Es wäre aber vollkommen falsch und eine neue Tragödie, wenn wir bei diesen Zwangsfolgerungen nur die Inhalte austauschen würden, den geistigen Vorgang aber beibehielten, wenn wir statt der alten Gebote und Verbote neue setzen würden. Es wäre daher vollkommen falsch, um bei diesem Thema zu bleiben, wollte man das Kreuz, das auf der einen Fahne als Ärgernis empfunden wird, auf eine andere Fahne heften. Und wenn die Folgerung nunmehr lauten würde: Du bist Katholik, dann mußt du doch Sozialist sein!

Wodurch wird die gegenwärtige Situation im Gespräch von Katholiken und Sozialisten bestimmt? Worin unterscheidet sie sich von der Vergangenheit? Ich will Ihnen hier keinen Abriß über die innere Entwicklung Österreichs seit 1945 geben. Die Fakten sind bekannt. Die Männer, die 1945 wieder Verantwortung in Österreich übernahmen, waren meist die gleichen, die 1934 beziehungsweise 1938 die Verantwortung abgeben mußten. Aber sie selbst waren nicht mehr die gleichen, sie sind, wie das ganze österreichische Volk, durch eine harte Schule des Leidens gegangen. Auch die Kirche, die 1945 gemeinsam mit dem Staat wieder in Erscheinung trat, war nicht mehr die gleiche, auch sie hat aus der Vergangenheit ihre Lehren gezogen. Wie so oft in der Geschichte Österreichs hat äußere Gewalt jene Einheit, jenes gegenseitige Verständnis und gemeinsame Bekenntnis erzwungen, an deren Fehlen dieses Land zerbrochen war.

Auf beiden Seiten war der Wille vorhanden,

das Verhältnis von Arbeiterschaft und Kirche, Sozialisten und Kirche, auf eine neue Basis zu stellen. Von beiden Seiten wurden gewisse Vorleistungen erbracht. Die Kirche beschloß, den Priestern die Annahme eines politischen Mandates nicht mehr zu gestatten, sie beschloß ferner, eine Reihe von Institutionen und Vereinigungen, auf denen das öffentliche Leben der Kirche vor 1938 beruhte und die zum Teil auch politische Aufgaben hatten, nicht mehr zu reaktivieren. Die Sozialisten wieder reaktivierten nicht mehr die Freidenkerbewegung als Partei- oder parteinahe Organisation.

Der weite Weg zum Konkordat

Von der Koalitionsregierung, das heißt also mit Zustimmung der Sozialisten, wurde die Konkordatsfrage im Sinne der Anerkennung des Konkordates gelöst und eine Reihe von Konkordatsverträgen im Parlament mit den Stimmen der Sozialisten verabschiedet. Ihr Sprecher, der Abgeordnete Neugebauer, hat damals erklärt, in Österreich gelte nicht das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat, österreichische Tradition sei das Prinzip eines vertrauensvollen Zusammenwirkens der beiden. Fürwahr ein weiter Weg vom Kulturkampf der Ersten Republik, der sich gerade um gewisse Konkordatsfragen wie Ehe und Schule entzündet hat, auch ein weiter Weg vom anfänglichen „nicht einmal ignorieren“ bis zur Zustimmung. Auch daran soll man denken, wenn man heute nur von der Sterilität der vergangenen Koalition spricht.

Die Kirche und hier vor allem der Wiener Erzbischof hat in Reden und Ansprachen immer wieder zur Zusammenarbeit in diesem Lande aufgerufen. Man hat das oft so mißverstehen wollen, als ob sich die Kirche hier wieder einmal ganz und gar auf eine bestimmte Regierungsform, nämlich die der Koalition, festlegen würde. Wenngleich man auch heute vielleicht doch noch sagen darf, daß die Koalition an sich nichts Böses ist, so war es der Kirche, glaube ich zumindest, weniger um die äußere Form als um die Tatsache der Zusammenarbeit zu tun.

Es geht im Gespräch zwischen Sozialisten und Katholiken gewiß nicht nur um Fragen der Kultur- oder Konkordatspolitik. Aber Kulturpolitik, das hat schon Drimmel gesagt, kann man nicht mit einer Partei, sondern nur zusammen machen. Nach einer einvernehmlichen Regelung der Schulfrage ist heute nur noch auf dem Gebiet des Eherechtes die Ersetzung deutscher Vorschriften durch österreichische notwendig. Auch die Ehefrage muß kein Streitpunkt mehr sein. Der Staat wird

die Gläubigen nicht mehr daran hindern, nach ihren religiösen Uberzeugungen leben zu können, die Kirche ist heute wieder weit davon entfernt, die Katholiken mit staatlichen Machtmitteln zur Einhaltung religiöser Gebote zu zwingen, wenn sie diese nicht im Gewissen als bindend anerkennen.

Zur Zeit geht es um die Strafrechtsreform. Hier hat die Kirche in bestimmten Fragen eine Ansicht und die Sozialisten eine andere Ansicht. Die Frage der strafrechtlichen Ver-

folgung der Homosexualität bei Erwachsenen ist eine Frage des Schutzes der Gesellschaft, aber es ist im Grunde keine religiöse Frage. Es gibt keine volle Deckung von Moralkodex und Strafrecht.

Die Anerkennung des Konkordates war ein großer Beitrag der Sozialisten zum inneren Frieden. Mit dem neuen Verständnis vom Staat haben die Sozialisten auch ein neues Verständnis von der Kirche erlangt, was besonders wichtig ist hier in Österreich, wo Staat und Kirche durch eine jahrhundertelange Tradition verbunden waren und sind.

Das ist auf der einen Seite sehr viel, auf der anderen Seite sehr wenig. Viel im Hinblick auf die Vergangenheit, wenig, wenn wir an die Zukunft denken. Für die Religion selbst ist damit noch nicht viel gewonnen. Es wäre aber Vermessenheit, Illusion, wenn nicht

Heuchelei, dies erwarten zu wollen. Diese neue Verständnis der Sozialisten ist noch kein religiöser Faktor, es ist eher eine Art josefinischer Einstellung zur Kirche, eine Kenntnisnahme der Kirche als Institution. Dahinter könnte auch gelegentlich die Versuchung stehen, die Kirche zu reglementieren, sie einzuspannen, wie man es eben bei den anderen gesehen hat.

Was dabei herauskäme, wäre nur die Karikatur eines verständnisvollen Gespräches. „Mit der Kirche reden? Natürlich, wo drückt sie denn der Schuh? Auf ein paar Millionen soll es uns nicht ankommen.“ Ohne den Wert des Geldes in unserer vom Materiellen beherrschten Gesellschaftsordnung gänzlich in Abrede zu stellen, aber mit dem Geld allein ist es nicht gemacht. Geschäfte mit der Kirche gehen meist zum Schaden beider Teile aus.

Ende der überholten Barrikaden

Die neue Einstellung der Sozialisten zur Kirche, soweit sie nicht auf einem Umdenken beruht, räumt vielleicht überholte Barrikaden weg, macht aber ein Gespräch nicht überflüssig, sondern erst recht notwendig. Mit der Zurückziehung der Priester aus der Politik, mit dem NichtWiederaufleben eines freidenkerischen Kirchenkampfes war einiges, aber nicht alles geschehen. Geistige Veränderungen gehen ja nicht plötzlich vor sich. Wer hier nicht Verzögerungsfaktoren in Rechnung stellt, kann nur bitter enttäuscht werden. Natürlich war auf beiden Seiten noch ein gewisses Mißtrauen geblieben. Noch 1952 hatte der damalige sozialistische Parteiobmann sich einer katholischen Delegation gegenüber als Chef einer atheistischen Partei deklariert, nicht polemisch, nicht feindselig, sondern sachlich, trocken feststellend, wie es seiner Art entsprach.

Gewandelte Partner

Seit damals ist eine lange Zeit vergangen, die bei uns allen ihre Spuren hinterlassen hat. Wenn sich heute führende Männer der Partei als Agnostiker bezeichnen, so liegt, glaube ich, darin mehr als die Ersetzung eines Fremdwortes durch ein anderes, weniger belastetes, sondern die Erkenntnis, über Fragen des Glaubens als persönliche Entscheidung des einzelnen Menschen nichts aussagen zu können und nichts aussagen zu wollen. Das ist mehr als das wienerische „Man kann nix wissen“.

Eine Verzögerung liegt gewiß auch im Erkennen und Aufgreifen von Wandlungen des Gesprächspartners. Man ist zu sehr in alten Klischeevorstellungen befangen, um Entwicklungen zu sehen und daraus Folgerungen zu ziehen. Umdenken ist immer un-

bequem. Hier haben wir gewiß beide Veranlassung, an unsere Brust zu klopfen. Die Sozialisten haben vielleicht nicht immer bemerkt oder bemerken wollen, was im österreichischen Katholizismus vor sich gegangen ist. Im selben Jahr 1952 hat sich der österreichische Katholizismus im Mariazeller Manifest des Katholikentages eine Art „Charta“ gegeben, die bis heute nicht überholt ist. Hören Sie, was dort steht:

„Eine freie Kirche, das soll heißen, die Kirche ist auf sich selbst gestellt und nur auf sich selbst. Jede geschichtliche Epoche hat ihre eigenen Notwendigkeiten und ihre eigenen Möglichkeiten. Heute aber hat die Kirche keinen Kaiser und keine Regierung, keine Partei und keine Klasse, keine Kanonen, aber auch kein Kapital hinter sich. Die Zeit von 1938 bis 1945 bildet hier eine unüberschreit-bare Zäsur; die Brücken in die Vergangenheit sind abgebrochen, die Fundamente für die Brücke in die Zukunft werden heute gelegt. So geht die Kirche aus einem versinkenden Zeitalter einer Epoche neuer sozialer Entwicklungen entgegen.

Eine freie Kirche bedeutet daher:

Keine Rückkehr zum Staatskirchentum vergangener Jahrhunderte, das die Religion zu einer Art ideologischen Überbaus der staatsbürgerlichen Gesinnung degradierte, das Generationen von Priestern zu aktiven Staatsbeamten erzog.

Keine Rückkehr zu einem Bündnis von Thron und Altar, das das Gewissen der Gläubigen einschläferte und sie blind machte für die Gefahren der inneren Aushöhlung.

Keine Rückkehr zum Protektorat einer Partei über die Kirche, das vielleicht zeitbedingt notwendig war, aber Zehntausende der Kirche entfremdete.

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