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Juan Carlos im Vordergrund

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ter Torypolitiker vom Gegenteil, hat sich der Druck rechter Konservativer verstärkt, die Einwanderung farbiger Bürger des Commonwealth weitgehendst einzuschränken. Um nicht etwa wichtige Nachwahlen zu verlieren, mußte die Arbeiterpartei nachgeben und wird demnächst ein Gesetz einbringen, welches die Bestimmung des bestehenden Immigration Act verschärfen wird. Dem Exponenten der reaktionären Tories, Mr. Selwyn Lloyd reichten die Verschärfungen des sozialistischen Vorschlages nicht aus; vergangenen Samstag forderte er in einer Rede in seinem nordwestenglischen Wahlkreis, daß nur dann ein Farbiger einreisen dürfte, wenn ein anderer das Land verlasse. Die Debatte um dieses neue Einwanderungsgesetz wird im Herst zweifellos zu denen gehören, die den einzelnen Bürget im meisten fesseln werden.

Sprengt Südrhodesien das Commonwealth?

Die Frage der Unabhängigkeit Südrhodesiens, wo“ nach Südafrika die größte weiße Minderheit lebt, die noch immer eng mit dem Mutterland verknüpft ist, könnte sich schließlich überhaupt zur Gretchenfrage des Commonwealth entwickeln. Schon im Vorjahr waren die Delegierten der einzelnen Commonwealthstaaten, in der Mehrzahl Afrikaner und Asiaten, bezüglich Südrhodesien kaum mehr zu besänftigen. Heuer mußte Mr. Wilson noch größeres Geschick aufwenden. Und der Premierminister Tansanias, Mr. Nyerere, lehnte das Schlußkommunique der Konferenz als zu unbestimmt ab. Seiner Meinung nach könne der Konflikt in Südrhodesien nur auf der Grundlage einer echten Mehrheitsbildung, das heißt durch Afrikanisation gelöst werden. Diese Haltung umschreibt nur die allgemeine Stimmung: Viel länger wird die britische Regierung eine Entscheidung nicht hinauszögern können. Und eine allfällige Aufgabe der weißen Position in Südrhodesien — nach Ansicht des Berichterstatters voraussichtlich unvermeidbar — wirkte zweifellos auf die innenpolitische Lage in Großbritannien zurück und trüge der Regierung Antipathie ein. Jeder Regierung, ob nun sozialistisch oder konservativ, träfe das gleiche Mißgeschick; denn eine sachlich richtige Lösung, sofern in einer solchen Frage es eine überhaupt gibt, muß nicht unbedingt beliebt sein; im Gegenteil, die moderne sozialpsychologische Forschung wies sogar nach, daß Sachlichkeit und Tüchtigkeit einerseits und Beliebtheit anderseits meist auseinanderfallen. Auch die Berater Mr. Wilsons wissen das. Und die gegenwärtige Lage scheint nicht für parlamentarische Kraftakte geeignet zu sein. Mr. Wilson wird also weiter lavieren wollen. Noch kann nicht abgesehen werden, ob der Fall Südrhodesien solche zentrifugalen Kräfte erzeugt, daß das Commonwealth auseinanderfällt.

Diese Fragen dürften mit der parteipolitischen Situation tatsächlich irgendwie verknüpft sein. Alles zusammen verursachte die Flucht nach vorne, die Mr. Wilson mit seiner Friedensmission antrat. Sie hat ihm zwar einen vorübergehenden Erfolg gebracht, zumal in England jede friedliche Initiative wärmstens begrüßt wird. Der offenkundige Mißerfolg in Hanoi und Peking sollte aber der Regierung einen zusätzlichen Prestigeverlust eintragen.

Kabinettsumbildung?

Dies wirft die Frage einer Neuwahl im Herbst 1965 auf. Noch vor einem Monat erschien eine solche als unwahrscheinlich. Heute rückte sie durchaus in den Bereich des Möglichen. Nur daraus ist es zu verstehen, daß man in London von einer bevorstehenden Kabinettsumbildung munkelt. Man vermutet, daß Mr. Cousins den gegenwärtigen Innenminister Frank Soskice ablösen wird. Ein Wechsel im Wirtschaftsministerium ist auch nicht ausgeschlossen.

So spektakulär sich Mr. Heath als Hauptsprecher in der Debatte um das Finanzgesetz auch schlug, so angeschlagen das Kabinett Wilson derzeit wirkt, die Chancen der Tories sind nicht größer geworden. Der „Economist“ untersuchte vor kurzem den Zustand der Oppositionspartei und kam zu dem Ergebnis, daß sie noch immer gelähmt sei und sich in Illusionen wiege. Mister Heath und Mr. Maudling, die ersten

Anwärter auf eine Nachfolge nach Sir Alec Douglas Home, werden höchstens je 50 feste Anhänger unter den Abgeordneten zugebilligt. Der Rest ist durchaus glücklich, daß Sir Alec als Oppositionsführer bleiben will. Das Establishment, die große Gesellschaft in der Torypartei, die sich durch Landbesitz und Be-

such Etons oder Harrows auszeichnet, unterstützt mehr und mehr Mr. Soames, den früheren Landwirtschaftsminister und Schwiegersohn des verstorbenen Winston Churchill, der in gesellschaftlicher Hinsicht als okay bezeichnet wird; denn weder Mr. Heath noch Mister Maudling gingen in die richtige

Schule, noch sind sie Gutsbesitzer. Sie entstammen dem wohlhabenden Mittelstand. Und die Torypartei ist noch immer eine nach Klassen ausgerichtete Gruppe. Wahlprophetie ist schwierig und undankbar; anstatt dessen sei schon heute festgestellt, daß auch die nächste Wahl knapp ausgehen wird.

Eine kaum übersehbare Menschenmenge staute sich auf dem Hügel Cerro de los Angeles bei Madrid, wo das 1936 von den „Roten“ in die Luft gesprengte Herz-Jesu-Denkmal, in über zwanzigjähriger Arbeit und mit einem Kostenaufwand von über 77 Millionen Pesetas wiederaufgebaut, feierlich eingeweiht wurde. Auf Tribünen überragten das Volk drei Exponenten des heutigen Spaniens: Die Regierung mit General Franco an der Spitze, die Monarchie, repräsentiert durch den Bourbonenprinzen und Thronanwärterssöhn Juan Carlos, und die Kirche, vertreten durch Spaniens Kardinäle und hohe geistliche Würdenträger. Die gleichen Exponenten wie 1919, als das ursprüngliche Monument inauguriert wurde, nur in bedeutungsmäßig anderer Reihenfolge. Denn damals war es Spaniens König Alfons XIII., der die Weiheformel sprach, jetzt aber der Generalissimus, dem der Königsenkel zuhören durfte.

Vor zwei Jahren noch wäre selbst die stumme Anwesenheit Juan Carlos' bei einer für das spanische Volk immerhin bedeutenden Feier, die

über Radio und Fernsehen übertragen wurde, undenkbar gewesen. Mit der Siegesparade des Vorjahrs jedoch, bei der Juan Carlos zum nicht geringen Erstaunen des In- und Auslands einen Ehrenplatz neben dem Staatschef einnehmen durfte, trat Spaniens Königshaus aus dem jahrzehntelangen Schattendasein an das Licht der Öffentlichkeit. Damit trat auch des Caudillos Absicht klar hervor, Spanien, seit 1947 Königreich ohne König, wieder einen gekrönten Herrscher zu geben. Die Monarchisten waren einesteils durch dieses Bekenntnis zur Einsetzung der Monarchie hocherfreut, andernteils etwas bekümmert. Denn ihr König heißt Don Juan Graf von Barcelona, der des Generalissimus zweifellos aber Juan Carlos. Statt Juan III. Juan Carlos I.

Mangelnde Popularität

Seit der denkwürdigen Siegesparade 1964 wird Juan Carlos von Zeit zu Zeit seinem künftigen Volk gezeigt. Bei offiziellen Anlässen, Fabrikbesichtigungen oder Ausstellungseröffnungen wird er dekorativ in den Vordergrund geschoben, Zeitschriften und Zeitungen bringen Reportagen über sein Familienleben. Bei der Taufe seiner zweiten Tochter, Cristina, war er sogar fast Schulter an Schulter mit General Franco zu sehen. Bei der Geburt der Prinzessin durfte der Bourbonenprinz, der bis dahin stets wie ein Schauspieler der Stummfilmzeit gezeigt wurde, sogar vor Reportern die gewichtigen Worte äußern, mit denen jeder Vater die Ankunft eines Sprößlings kommentiert. Es ist unbestreitbar, daß das offizielle Spanien das Volk langsam mit dem zukünftigen König nach Francos Wahl vertraut machen will. Aber ebenso unbestreitbar ist die Tatsache, daß es bisher durch diese behutsame Gewöhnungs-

kur Juan Carlos nicht populärer machen konnte.

Die Opposition der Carlisten

Bei einem gewissen Teil der Spanier wurde höchstens eine negative Popularität des Thronfolgersohns erreicht. Die Carlisten nämlich, die immerhin einige Zehntausend zählende Anhängerschaft Hugo Carlos, erbost über die vom Madrider Informationsministerium über ihre Dyna-

stie verhängte Zensur und die offi-ziellerseits Juan Carlos gewidmete Aufmerksamkeit, versäumen keine Gelegenheit, um diesen anzugreifen. Kürzlich erst, bei einem patriotischen Treffen im baskischen Duran-go, bezeichneten sie Prinz Juan Carlos als „Enkel des Bürgerkriegsanstifters“.

Die anderen Mitglieder des Hauses Bourbon-Rattenberg unterstützen die Madrider Popularitätskampagne für

die Monarchie nach Kräften. Die in Lausanne wohnende Königin Victoria Eugenia, Witwe des letzten spanischen Herrschers, hielt anläßlich der Hochzeit einer ihrer Enkelinnen in Rom an der dortigen spanischen Botschaft Hof. Wie in alten Zeiten nahm sie die Huldigungen königstreuer Spanier entgegen. Gleichzeitig wurde ihr Sohn. Thronanwärter Don Juan, vom Papst in Audienz empfangen. Die Madrider monarchistische Zeitung „ABC“ unterstrich dieses denkwürdige Ereignis mit einer ganzseitigen Aufnahme des Papstes und des Grafen von Barcelona. Im übrigen spanischen Blätterwald verursachte diese Begebenheit kein Rauschen.

Don Juan selbst dürfte realistisch genug sein, um einzusehen, daß er vom offiziellen Spanien stillschweigend zugunsten seines Sohnes abgedankt wurde, bevor der heute 27jährige Juan Carlos das laut Nachfolgegesetz vom 26. Juli 1947 für die Thronbesteigung erforderliche Alter von 30 Jahren erreicht hat.

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