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Juden, Jesuiten, Freimaurer

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Wieder einmal wittert man eine Verschwörung. Finstere Mächte, bisher mühsam von den Kindern des Lichts zurück gehalten, holen zum großen Schlag aus. Nach der Unterwanderung des Jesuitenordens steht die jüdiisch-freimaurerische Weltverschwörung vor ihrem entscheidenden Sieg über die katholische Kirche. Die Kirche verjudet!

Die in Graz erscheinende „Neue Ordnung“, die dem früheren ÖVP- NR Dr. Ernst Strachwitz als Sprachrohr dient, auch sonst nicht gerade für eine entschiedene Distanzierung von antisemitischen Machwerken bekannt, veröffentlichte in ihrer Nr. 5/6, 1966, unter der Rubrik „Zeitfragen“, einen ausführlichen Hinweis auf das Buch „Verschwörung gegen die Kirche“ von Maurice Pinay, mit dem sich Vor Jahren bereits Friedrich Heer ausführlich in der „Furche“ (Nr. 41/1964, „Rom, die Juden, wir“) auseinandergesetzt hat. Die „Neue Ordnung“ ist besorgt, um die katholische Kirche stünde es nicht gut Das Zweite Vatikanische Konzil brachte für „viele ernste, verantwortungsbewußte Menschen überraschende und bestürzende Entscheidungen“. Diese gefährliche Entwicklung veranlaßte die Zeitschrift, die sich offenbar mit den „ernsten, verantwortungsbewußten Menschen“ solidarisch fühlt, „auf eine aus dieser Besorgnis geborene Publikation aufmerksam zu machen“.

Kommentar überflüssig

Kommentarlos veröffentlichte die „Neue Ordnung“ das instruktive Inhaltsverzeichnis von Pinays Buch, die im Verzeichnis angeführten Titel sprechen für sich:

„Die Synagoge des Satans“, „Jüdisches Machtstreben“, „Das gottesmörderische Volk“, „Kampfmoral und nicht tödlicher Dafaitismus“,

„Die ,Fünfte jüdische Kolonne“ im Klerus“,

„Christlich-jüdische Versöhnung, Vorspiel zum Zusammenbruch“,

„Die Juden als Gründer der Freimaurerei“,

„Die Juden als Führer der Freimaurerei“,

„Dile Freimaurerei begünstigt und verbreitet den Kommunismus, der ein jüdisches Werk ist“,

„Der die Christenheit erwürgende Polyp“,

„Die Völkerwanderung, ein Triumph der arianischen Juden“,

„Die Kirche bekämpft das heimliche Judentum, Exkommunikation der nachlässigen Bischöfe“,

„Die kirchlichen Konzilien bekämpfen das Judentum“,

„Die jüdische ,Fünfte Kolonne“ in der russisch-orthodoxen Kirche“,

„Päpste, Kirchenväter und Heilige bekämpfen und verurteilen die Juden“,

„Ein Versuch, das Heilige Römisch- Germanische Reich unter jüdische Herrschaft zu bringen“,

„Die Juden verraten ihre großzügigsten Beschützer“,

„Jüdische Infiltration im Klerus“, „Ein jüdischer Kardinal wird Papst“,

„Die Juden als gefährlichste Feinde der Kirche“,

„Die Juden verbreiten den Satanskult“,

„Mönche, Nonnen und Prälaten, heimliche Juden“,

„Jüdisch-freimaurerische Infiltration in den Jesuitenorden“,

„Jüdisch-christliche Bruderschaften, Freimaurerlogen neuer Prägung?“ usw.

Beschränkte Geister müssen offensichtlich immer irgendwelche finstere Verschwörer haben, um für alles, was sie in der Welt für schlecht halten, in aller Eile und Einfachheit einen Verantwortlichen finden zu können. Juden, Jesuiten, Freimaurer, die in einer permanenten Intrige nach der Weltherrschaft greifen — wer denkt da nicht an die herrlich gezeichnete Figur von Büchners Woyzeck, der in seiner dümmlichen Naivität in den Juden, Jesuiten und Freimaurern die Urheber seines Unglücks sieht? Wer denkt nicht an die Psychologie des Antisemitismus, wonach die Antisemiten dort, wo sie für ihr hysterisches Fixiertsein zu wenig Juden vorfinden, einfach Juden erfinden, etwa in Form einer „Fünften Kolonne im Klerus“?

Krankhaft

Man könnte über die Geisteshaltung, die aus Pinays Buch spricht, und die an Georg Lanz-Liebenfels („Der Mann, der Hitler die Ideen gab“) erinnert, hinweggehen und sie als lächerliche, wenn auch krankhafte Dummheit abtun, obwohl bei Pinay der bemerkenswerte Satz zu finden ist, der größte Fehler der Nationalsozialisten sei gewesen, „alle geheimen Verzweigungen des Judentums durch eine genealogische Untersuchung von nur drei Generationen“ feststellen zu wollen. Aber schon einmal ist diese Geisteshaltung verlacht worden, und nur verlacht, solange, bis es zu spät war. Daß eine österreichische Zeitschrift, die gerne als seriös gelten will, einem dummen Machwerk anerkennende Zeilen widmet und verspricht, sie werde auf „dieses interessante Buch“ in ihrer nächsten Nummer zurückkommen, zeigt, wie sehr bei uns noch immer der Samen verbrecherischer Dummheit fruchtbaren Boden vorfindet. Man darf wirklich gespannt sein, ob und in welcher Form die „Neue Ordnung“ auf das kindische, aber dennoch nicht ungefährliche Pamphlet zurückkommt.

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