6610347-1954_48_05.jpg
Digital In Arbeit

Juden und Mohammedaner in Rußland

Werbung
Werbung
Werbung

Von den nichtchristlichem Konfessionen in der Sowjetunion sind die Juden, vor allem aber die Mohammedaner und die Buddhisten von’ Bedeutung.

Bei den Juden gab es weder regionale Verbände noch eine Organisation für die Union. Jede „israelitische Kultusgemeinde" ist in ihrer Stadt oder Ortschaft selbständig. Der Nachwuchs der Rabbiner wird an den großen Synagogen, wie Moskau und.Kiew, herangebildet. Sehr oft, in kleinen Ortschaften, bilden die dortigen Rabbiner ihren Nachfolger selbst aus. Die Beziehungen zwischen der israelitischen Religionsgemeinschaft und der Sowjetregierung sind ausgesprochen schlecht, so daß an eine gemeinsame Tagung oder einen Kongreß der Juden nicht zu denken ist. Diese Beziehungen waren im Laufe des Sowjetregimes mannigfaltigen Wandlungen unterworfen. Die jüdische Geistlichkeit war nach dem Sieg der bolschewistischen Revolution zwar dem Kommunismus gegenüber innerlich feindlich eingestellt, verhielt sich aber zuerst sehr vorsichtig. Für das neue revolutionäre Regime war die israelitische Glaubensgemeinschaft eine von dem Zaren verfolgte und unterdrückte, und die russischen Kommunisten verhielten sich der Synagoge gegenüber auch sehr vorsichtig, ja zuvorkommend. Dafür zeigten die jüdischen Kommunisten einen unverhohlenen Haß gegenüber der eigenen Religionsgemeinschaft. Trotzki hat, auf dem Gipfel seiner Macht, eine Rabbinerdelegation nur dazu empfangen, um sie anzudonnern: „Wenn es nach mir ginge, würde ich euch alle an die Wand stellen." Da aber die Gegenrevolution in wilder, antisemitischer Propaganda machte und es zu furchtbaren blutigen Pogromen dort kam, wo „weiße" antibolschewistische oder ukrainische nationalistische Truppen einrückten, blieb den Rabbinern gar nichts anderes übrig, als das Sowjetregime herbeizusehnen, um nur das nackte Leben zu retten.

Die ersten Jahre nach dem Bürgerkrieg ging es den israelitischen Gemeindeorganisationen ganz gut, um so mehr, als durch die Wirtschaftsreform Lenins 1922 die materielle Basis der Synagoge wieder hergestellt wurde. Nach dem berühmten Dekret über die „neue ökonomische Politik" erstanden die kleinen Händler und selbständigen Handwerker wieder. Natürlich griff der Bolschewismus auch nach den jüdischen Massen, warb für Fabrikbetriebe und schuf neue jüdische landwirtschaftliche Siedlungen, wohin die Rabbiner den Gläubigen nicht folgen durften. Doch es blieben Gemeinden, und die zahlreichen selbständig Erwerbenden konnten nach ihren religiösen Geboten leben. Die harte und aufdringliche antireligiöse Propaganda, die sich auch gegen die Religion der Juden wendete, ließ die Synagoge ziemlich kalt.

Nach und nach aber, als die Gesetzgebung über die Religionen kam, verschlechterten sich die Beziehungen zusehends. Diese Gesetzgebung traf nämlich gerade die jüdische Religionsgemeinschaft mit am härtesten. Das Verbot des Religionsunterrichtes an Personen unter 16 Jahren machte ja die jüdische Konfirmation der Knaben unmöglich. Außerdem erließ die Sowjetregierung noch ein Spezialgesetz: Der Unterricht der hebräischen

Sprache, auch an Erwachsene, wurde rigoros untersagt. Die Beschneidung erklärte die Regierung als barbarische Sitte und stellte diese Operation unter Strafe, wenn sie nicht von approbierten Aerzten durchgeführt wurde. Erst viel später gelang es, jüdische Aerzte zu finden, die sich für diese religiöse Handlung auch rituell ausbilden ließen. Dieses Gesetz traf zwar auch die Mohammedaner, doch dort gelang es nicht, es praktisch durchzuführen.

Endlich verbot das neue Gesetz, daß sich Geistliche aller Konfessionen richterliche Funktionen „anmaßten". Es war und ist den Geistlichen verboten, auch als Schiedsrichter zu wirken, selbst wenn beide Parteien es freiwillig verlangen. Gerade auf Zuwiderhandlung gegen dieses Gesetz steht hohe Zuchthausstrafe. Dieses Verbot störte sehr empfindlich das jüdische religiöse Leben.

Das alles erhöhte die Spannung zwischen der Sowjetregierung und der Synagoge. Zum Ausbruch einer offenen Feindschaft und zu einem erbitterten Kampf kam es aber, als Stalin 1928 die neue ökonomische Politik abschaffte, die „Klasse der Kulaken" zu liquidieren begann und die Religionsverfolgungen einsetzten. Die gläubigen Juden verhielten sich in diesem Kampf keineswegs passiv. Besonders der Gegenschlag der Rabbiner traf die Sowjetregierung empfindlich. Es gelang den Rabbinern, das Ausland zu mobilisieren und vor allem aus den nördlichen Zwangsarbeitslagern authentische Berichte nach Amerika gelangen zu lassen. Die Folge war das Verbot der Einfuhr russischen Holzes nach den USA. Damals war aber gerade Holz die wichtigste Exportware der Sowjetunion und die Sowjetregierung hatte damals ausländische Devisen bitter nötig.

Als 1934 der antireligiöse Kampf abebbte, waren die jüdischen religiösen Organisationen weit zurückgedrängt und desorganisiert. Nicht nur allein durch die Verfolgungen und die Deportationen des selbständig erwerbenden Teiles der jüdischen Bevölkerung, sondern auch durch massive Umsiedlungen der Juden aus Gebieten, wie der westlichen Ukraine und Weißrußland, wo die Juden geschlossen ganze kleine Städte und Marktflecken bewohnt und auch einen ansehnlichen Teil der Bevölkerung der großen Städte ausgemacht hatten.

Trotzdem begannen die jüdischen Religionsgemeinschaften 1934 wieder aufzublühen. Der einsetzende „kalte" Antisemitismus, der sich in der Entfernung der Juden aus allen leitenden Posten und aus der staatlichen Verwaltung überhaupt äußerte, berührte den jüdischen Klerus nicht, ja wurde von diesem sogar still gebilligt. Im zweiten Weltkrieg kam es sogar zu einer Annäherung zwischen dem Sowjetregime und dem jüdischen Klerus. Es wurden ja auch eine Reihe von jüdischen Organisationen, wie der „Jüdische antifaschistische Bund", au Zwecken der Kriegspropaganda gegründet und die Sowjelbehörden zogen, ähnlich wie die Hierarchie der russischen orthodoxen Kirche, auch die Rabbiner zu dieser Tätigkeit heran. Nach dem Krieg jedoch kam es zu einer neuen antisemitischen Welle, die auch die jüdischen Religionsgemeinschaften traf. Alle, auch kommunistische, speziell jüdische Organisationen wurden aufgelöst, die jüdische Presse und das jüdische Verlagswesen aufgelöst und eingestellt, die Schulen mit jüdischer Unterrichtssprache geschlossen.

So sind auch heute die jüdischen religiösen Organisationen kaum geduldet. Von den zahlreichen großen Synagogen, die es einst in Rußland gab, gibt es vermutlich nur noch zwei — die große Chor-Synagoge in Moskau und ln Kiew. In den anderen Ortschaften müssen sich die Juden mit kleinen Gebetsräumen begnügen. In der Mehrzahl der Städte der Sowjetunion fehlt jede religiöse Betreuung des jüdischen Teiles der Bevölkerung.

Die Mohammedaner in der Sowjetunion haben keine Organisation für die ganze Sowjetunion, sie halten sich aber auch nicht an die administrative Einteilung des Sowjetstaates. Zum Teil ist ihre Organisation historisch gegeben, zum Teil wurde sie jetzt zweckmäßig geschaffen. Es gibt vier voneinander unabhängige Verwaltungen des sunitischen Islams: 1. Die geistliche Verwaltung der Mohammedaner des europäischen Teiles der Sowjetunion und Sibiriens in Ufa; das Oberhaupt trägt einen sehr langatmigen Titel: „Vorsitzender der Geistlichen Verwaltung, Mufti - Al - Chafis Kaljamulla Sohakir Iibn Schaichh-Islam". Sein Name ist Chijaletdinow. 2. Die geistliche Verwaltung der Mohammedaner Zentralasiiens und Kasachstans, die sich also über fünf Sowjetrepubliken erstreckt. Mit dem gleichen Titel wie der Großmufti von Ufa. Sitz ist Taschkent. 3. Die geistliche Verwaltung der Mohammedaner Daghestans und des Nordkaukasus und 4. die geistliche Verwaltung der Mohammedaner Transkaukasiens, deren Oberhaupt den von der Türkei übernommenen Titel Scheich-ul-Islam führt. Der volle Titel lautet: Amtsausübender Vorsitzender der Geistlichen Verwaltung der Mohammedaner des Nordkaukasus und Daghestans, Mufti Mahomet Hochli Kuibanow.

Zweifellos kommen üe Mohammedaner am besten mit der Sowjetregierung aus. Lange Jahre ließ das Sowjetregime die islamitische Geistlichkeit vollkommen in Ruhe. In Mittelasien hatte sogar die von den Kommunisten begründete Jugendorganisation in ihren

Statuten als erste Forderung, „Schutz des Islams“.

Schlimmere Verfolgungen gab es nur nach 1926.

Bald nach dem letzten Krieg wurde auch die Wallfahrt nach Mekka, die seit etwa 1924 vollkommen unterbunden war, nicht nur wieder gestattet, sondern sogar vom Staate organisiert. Es dürfen zwar alljährlich nur eine bestimmte Zahl von Geistlichen diese Wallfahrt machen, dies aber praktisch auf Staatskosten, denn der Staat stellt ja die Devisen zur Verfügung. Nicht im vollgepfropften Zwischendeck, nicht zu Fuß, wie die Mekkapilger aus anderen Ländern kommen. Die Pilger aus der Sowjetunion reisen als vornehme Flugpassagiere in Spezialflugzeugen. Ueberall bei den Zwischenlandungen sind die Botschafter, Gesandten und Konsuln der Sowjetunion auf dem Flugfeld und demonstrieren vor der ganzen mohammedanischen Welt, mit welcher Ehrerbietung der Sowjetstaat die mohammedanische Geistlichkeit behandelt.

Auch die Buddhisten, die in der Sowjetunion leben, sind organisiert Sie haben offiziell eine Unions-Organisation. Denn es gibt eine „geistliche Zentralverwaltung der Buddhisten in der Sowjetunion", an deren Spitze ein Lama hohen Grades steht. Sein Titel lautet: Vorsitzender der geistlichen Zentralverwaltung der Buddhisten in der Sowjetunion Bandido Chambo Lama Habshi Das- maje-Lobsan-Nina (die vier letzten Worte sind der Name des Würdenträgers). Obwohl diese Verwaltung offiziell für die ganze Sowjetunion zuständig ist, hat sie in Wirklichkeit doch nur regionale Wirkungsmöglichkeit. Nur die Bevölkerung der burjäto-mongolischen autonomen Republik im russischen Fernen Osten hat eine überwiegend buddhistische Bevölkerung. Es leben noch Buddhisten bei Wladiwostok. Ob es an der unteren Wolga, nach der Deportation der Kalmücken, noch Buddhisten gibt, ist unbekannt. Ebenfalls, ob das ‘berühmte buddhistische Kloster noch besteht, das am Ufer der Wolga in der Nähe von Astrachan bestanden hat. Damit ist die Liste der offiziellen in der Sowjetunion bestehenden Kirchen und Religionen erschöpft.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung