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Jugend und Kirche

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Ein Wort, das vor wenigen Jahren noch geradezu als Schlagwort gebraucht wurde, ist in den letzten Jahren aus dem allgemeinen Gebrauch praktisch verschwunden. Man sprach früher gern von der „Jugend der Kirohe“ und meinte damit die kirchlichen Jugendorganisationen. Der Grund, warum dieses Schlagwort verschwunden ist, ist nicht, daß es die betreffenden Jugendorganisationen nicht mehr geben würde, sondern daß sich der Inhalt des Wortes „Kirche“ i,m allgemeinen Bewußtsein so sehr verändert hat, daß das Wort „Jugend der Kirche“ unbrauchbar geworden ist.

Welches Kirchenbild stand denn hinter diesem verschwundenen Schlagwort, welche Kirche konnte denn überhaupt „eine Jugend haben“? Die Wurzeln dieses Wortes sind in der Zwischenkriegszeit zu suchen. Das, obwohl es damals eine Vielzahl katholischer Jugendorganisationen gab, die sich in vielem zwar nicht einig waren, die sich aber, je mehr sich die Auseinandersetzung der Kirche mit den totalitären Mächten zuspitzte — mit wenigen Ausnahmen —, immer mehr als Jugend der Kirche fühlten. Das Kirchenbild der damaligen Zeit war streng hierarchisch; die Betonung lag auf der Vertikalen, an der Spitze der Papst beziehungsweise der Bischof in der Diözese und von dort reichte der Strang kirchlichen Lebens dann herunter zum getauften und gefirmten Glied der Kirche, das sich nur insoweit als Glied der Kirche wußte, als es in Verbindung mit dem Träger hierarchischer Macht, in dem man den Inbegriff der Kirchlichkeit sah, stand. Zwar hatten die bedeutenden Theologen der damaligen Zeit bereits die Bücher veröffentlicht, die ein neues Kirchenbild vorbereiten und heraufführen sollten, aber diese Werke waren nur einer kleinen Schicht bekannt und hatten auf die Praxis des kirchlichen Alltags noch so gut wie keinen Einfluß. Das Wort „Gemeinde“, der Begriff „Volk Gottes“, die heute sosehr das Gespräch bilden, waren damals so gut wie unbekannt. Die Kirche war ein monolithischer Block, streng hierarchisch ausgeriöhtet, umd wenn damals „Kirche“ gesagt wurde, konnte man genauso gut sagen: „Die Bischöfe“. Die Bischöfe waren denn auch die Träger der kirchlichen Auseinandersetzung mit den hochkommenden Mächten des Totalitarismus, die Bischöfe und wer sich zu ihnen bekannte. Die „Jugend der Kirche“, das waren die Jugendorganisationen, die sich im Gegensatz zu den Jugendorganisationen der Partei zur Kirche, zum Bischof bekannten, in dem man die Idee der Kirche genauso personifiziert sah, wie man die Idee der Partei und später des Staates in der Person des Führers personifiziert sah.

Auch nach dem Krieg „Jugend der Kirche“

Der Führer und seine Partei vergingen, die „Jugend der Kirche“ aber blieb. Die Zeit des Krieges hatte diesem Begriff neue Inhalte gebracht. Man fühlte sich nicht nur dann als Jugend der Kirche, wenn es um die Auseinandersetzung mit Jugendorganisationen anderer weltanschaulicher Ausprägung ging, nein: die Katholische Jugend der ersten Nachkriegszeit sah sich selbst in allen ihren Lebensäußerungen als die Jugend der Kirche. Das war einer der Gründe, warum es zu den bekannten Auseinandersetzungen mit anderen Jugendorganisationen kam, die auch katholisch sein wollten, aber nicht innerhalb des Rahmens der Katholischen Jugend standen, die die Bischöfe nach dem Krieg als die kirchlichen Jugendorganisation gegründet hatten. Letztlich war diese Entwicklung nur die logische Folge der damals üblichen Definition der Katholischen Aktion, deren Apostolat die Päpste zuerst Teilnahme und dann abschwächend Mitarbeit am Apostolat der Hierarchie genannt hatten. Eine Kirche, in der alles Apostolat von der Hierarchie ausging, brauchte eine Jugendorganisation, die sich im Auftrag der Hierarchie, als ihre vorgeschobene Hand, an der Arbeit be fand. Höhepunkt, freilich damit auch Abschluß dieser Entwicklung waren die Romwallfahrten der

Katholischen Arbeiterjugend und der Katholischen Mittelschuljugend (heute Katholische Studierende Jugend) im Jahr 1957. Die Jugend der Kirche besuchte das Oberhaupt der Kirche: den, in dem man die Idee der weltumspannenden Kirche personifiziert sah.

Daneben war aber ein neuer Kirchenbegriff im Wachsen, der sich immer mehr durchsetzte und durch das Konzil allgemein bekannt — wenn auch noch nicht allgemein anerkannt — wurde. Nicht mehr die vertikale Struktur stand im Vordergrund, sondern die horizontale. In Artikeln und Referaten trat neben das Modell der Kirche als dem mystischen Leib Christi immer mehr das Wort von der Kirche als dem Volk Gottes. Die Gemeinde wurde als das eigentliche Strukturprinzip der Kirche wieder entdeckt. Nicht mehr die Weltkirche, nicht mehr die Kirche im großen beherrschte damals — besser gesagt: beherrscht heute, denn wir leben mitten in dieser Epoche — das Denken, sondern die Kirche im kleinen, die Kirche am Ort, die Gemeinde. Es zählt zu den Entdeckungen unserer Zeit, daß Kirche in erster Linie keine Institution, keine Organisation ist, sondern daß Kirche sich jeweils dort ereignet, wo Getaufte miteinander das Wort Gottes hören, miteinander Eucharistie feiern und einander in brüderlicher Liebe dienen. Die Folge davon ist, daß gerade die Gemeinschaften katholischer Jugend, die tatsächlich Leben in sich haben, sich heute nicht mehr als „Jugend der Kirche“ verstehen wollen, sondern daß sie sich dessen bewußt sind, daß sie — insoweit sie die oben genannten Bedingungen erfüllen — Wort, Eucharistie, Dienst — selbst Kirche sind. Nicht mehr „Jugend der Kirche“, sondern „Kirche“, freilich: „Junge Kirche“.

Kirche der Zukunft?

Das hat seine bedeutsamen Folgen über den Rahmen der Jugendorganisationen hinaus — oder müßte sie zumindest haben. Eine Jugend, die sich dessen bewußt ist, daß sie in ihrem Apostolat nicht bloß am Apostolat der Hierarchie Anteil hat, sondern daß ihr Apostolat (nach der Definition des Konzils) die ihr zukommende Teilnahme an der Heilssendung der Kirche ist, wird sich im sogenannten innerkirchlichen Bereich anders verhalten müssen als bisher. Will die katholische Jugend (hier ist die Rede von jeder Gemeinschaft katholischer Jugendlicher) wirklich Kirche sein, noch dazu junge Kirche, dann muß sie bereit sein, die ihr auf Grund ihres neuen Selbstverstänctaisses zukommende Rolle des Prophetendienstes innerhalb der Kirche zu übernehmen. Das gilt für die Ebene der Gemeinde wie für die Ebene der Diözese und der noch größeren Gemeinschaften. Wo sonst soll die Erneuerung des kirchlichen Lebens beginnen, wenn nicht in der jungen Kirche? Woher sonst sollen die Initiativen kommen, die .unbekümmert genug sind, um sich gegen zwar lieb-, aber auch leergewordene Traditionen durchzusetzen? (Unter diesem Gesichtspunkt hätten manche kirchliche Jugendgemeinschaften freilich auch sich selbst zu betrachten!) Wer sonst soll die Initiativen, die vom Konzil ausgehen könnten, tatsächlich beginnen und tragen? Wo sonst soll das Bild einer brüderlichen Kirche, die vom Geist erfüllt ist, in die Praxis umgesetzt werden? Wenn katholische Jugend heute tatsächlich junge Kirche sein will, dann hat sie die Aufgabe, all das zu versuchen, was das Bild der Kirche in der Zukunft ausmachen könnte. Katholische Jugend ist nur dann junge Kirche, wenn sie versucht, die Kirche der Zukunft her- aufzuführen.

Es wäre aber unfair, hier nur Aufgaben an die Jugend zu verteilen. Versucht katholische Jugend solches nicht ohnehin mancherorts? Wie wird ihr Bemühen aufgenommen? Es stimmt, daß es vor allem auf Gemeindeebene vielfach zu einer Emigration der Jugend aus der Gemeindeöffentlichkeit gekommen ist. Die Gründe mögen viele sein. Einer ist sicher der, daß das konkrete Erscheinungsbild vieler Gemeinden so ist, daß ein junger Mensch sich mit ihr nur unter Aufgabe seiner selbst identifizieren kann und eine Änderung so weit aus der Reichweite zu liegen scheint, daß keiner den Mut zum Versuch aufbringt. Dieselbe Gefahr droht aber nicht nur auf der Ebene der Gemeinden. Wer ständig von den epochemachenden Neuerungen des Konzils nur redet, wer dauernd nur davon spricht, daß der eigentliche Erfolg des Konzils erst durch die Verwirklichung gesichert werden könne, und wer jungen Menschen dauernd sagt, daß der Erfolg des Konzils von ihnen abhänge, der muß der Jugend auch gestatten, daß sie tatsächlich einiges in die Tat umzusetzen versucht. Es ist zu billig, dauernd zu betonen, daß etwas geschehen müsse, und dann, wenn tatsächlich etwas geschieht, sofort wieder zurückzurufen, zu bremsen und zur Geduld zu mahnen.

Aus der Jugend der Kirche ist die junge Kirche geworden. Sie bietet sich in ihren Eliten an, der Kirche der Zukunft den Weg zu bereiten. Wenn die Hierarchie ihr das nicht gestattet, darf sie sich nicht wundern, wenn aus der jungen Kirche eine Kirche der inneren Emigration wird. Wer die Zeichen der Zeit zu lesen weiß, weiß, daß diese Gefahr vor der Tür steht.

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