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Juni oder Oktober?

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In den letzten Tagen wartete man in der konservativen Parteizentrale auf dem Smith Square in London wohl etwas bange auf das Außenhandelsergebnis des Monats Februar. Würde es das Jännerresultat bestätigen, in dem sich ein Nachlassen der Auftriebskräfte des britischen Exports und damit eine strukturelle Verschlechterung der Zahlungsbilanz anzukündigen schien? Oder bliebe das Außenhandelssaldo vom Jänner eine vorübergehende, durch Sondereinflüsse bedingte Erscheinung? Von der Bewertung dieser Möglichkeit

hängt nach einhelliger Meinung der innenpolitischen Kommentatoren der Zeitpunkt der nächsten allgemeinen Parlamentswahl in England ab.

Das verhältnismäßig günstige Ergebnis des Monates Februar dürfte die Neigung der Tories verstärkt haben, die Wähler schon im Juni zu den Urnen zu rufen. Denn dem Anschein i nach- ist 'die Expansion i der britischen Ausfuhr nicht zum Still-“ stand gekommen. Der Exportwert erreichte nämlich im Februar sogar ein neues Rekordniveau und der Durchschnitt der Monate Dezember bis Februar lag um zwei Prozent über jenem der Monate September bis November. Wenngleich die Gold-und Devisenreserven der Bank of England auch im Februar um 17 Millionen Pfund Sterling zurückgingen, dürfte vorderhand der Schatzkanzler nicht gezwungen sein, außer der ohnehin schon unpopulären Erhöhung der Bankrate um ein Prozent auf fünf Prozent weitere restriktive Maßnahmen zur Entlastung der britischen Zahlungsbilanz zu setzen.

Die Reisen des Premiers

Die sich häufenden Wahlreisen des Premierministers und der übrigen Kabinettsmitglieder kreuz und quer durch das Land, denen Oppositionsführer Harold Wilson an Eifer nicht nachsteht, unterstützen die Vermutung, daß die Wahl noch im Juni stattfinden wird. Obzwar die Regierung einem ganzen Bündel von Problemen gegenübersteht, deren Lösung zwangsläufig die eine oder andere Bevölkerungsgrupne verstimmen und verärgern wird, gibt sich Sir Alec Douglas-Home oDtimistisch. In pausenlosen Verhandlungen ge-

lang es Minister Heath und einem Ausschuß konservativer Unterhausabgeordneter über die Frage der gebundenen Einzelhandelspreise (detail price maintenance) einen Kompromiß zu finden und damit eine ausreichende Mehrheit für die Abstimmung im Parlament zu sichern. Allerdings mußte Mr. Heath seinen Gesetzentwurf weitgehend verwässern. Daraus kann man schon jetzt abschätzen, welches Schicksal seine Gesetzesvorschläge für Maßnahmen gegen wirtschaftliche Monopole erleiden werden, wenn sie in ein

aktuelles Stadium treten. Die Notwendigkeit, einzelne Verbrauchssteuern zu erhöhen, vermehrt die wirtschaftspolitischen Unannehmlichkeiten, welche die Regierung zumindest einem Teil ihres traditionellen Wählerstocks bereiten muß. Das emotionell stark belastete Problem Südrhodesiens, welches der Premierminister atrf^ sdinem'flreltagi^' gen Besuch in Nigeria sondierte^ harrt einer baldigen Entscheidung. Das kann freilich nur eine kleine Auswahl jener Fragen sein, mit denen das konservative Kabinett im Kampf gegen die Zeit ringt.

Die Arbeiterpartei und ihre Führer um Harold Wilson unternehmen überdies alles, damit sich der Druck, der auf der Regierung ruht, nicht mindert. Der Oppositionsführer hat sich gehütet, im Zypernproblem konkrete Vorschläge zu unterbreiten und nützt die Uneinigkeit der Tories über die Preisbindung in seinen Reden geschickt aus. Vorübergehend schien es, als habe sich Harold Wilson mit seinem unüberlegten Interview in Washington die Gunst der Wähler verspielt. Einem (absichtlichen?) Irrtum einer Pressekorrens-pondenz verdankt er es, daß die englischen Zeitungen in Balkenlettern zu berichten wußten, eine Labour-Regierung würde im Falle eines Wahlsieges die Royal Navy den Vereinten Nationen unterstellen. Trotz Dementis schmolz in der nächsten Meinungsumfrage der Vorsprung der Sozialisten beachtlich. Den vermehrten Anstrengungen der Public-Relations-Abteilung des sozialistischen Hauptquartiers gelang es jedoch in überraschend kurzer Zeit, diesen Rückschlag wieder wettzumachen.

Wilson und die Atomwaffen

Was von dem als „phantastisch und verrückt“ bezeichneten Vorwurf übrigblieb, war eine im Grundsätzlichen unterschiedliche Haltung Wilsons in der Frage der Atomwaffen. Die Planung und der Bau von Polaris-U-Booten würden entweder eingestellt werden, oder die Raketenboote nach Fertigstellung dem Kommando der NATO unterstellt werden. Im Zusammenhang damit steht seine Ankündigung, das Abkommen von Nassau zu revidieren. Denn nach Meinung der Sozialisten sei eine selbständige britische Atomrüstung nicht mit der wirtschaftlichen Kraft des Landes im Einklang und zum Beweis seiner internationalen Stellung überflüssig. Gerade durch den Verzicht auf Atomwaffen könnte Großbritannien die einmalige Chance haben, eine

Art „moralische Führerstellung“ in der Weltpolitik und vermehrtes Ansehen in den Entwicklungsländern zu erringen.

Den wirklichen Grund für seine Atompolitik dürfte Wilson in einer Rede im amerikanischen Bundesstaat Connecticut vor Studenten angeführt haben. In ihr unterstrich Mr. Wilson seine Sorge über die Ausbreitung der Atomwaffen. „Jeder Schritt“, führte er wörtlich aus, „der Deutschland direkt oder indirekt zu einer Atommacht machte, würde uns wahrscheinlich über den point of no return in den Verhandlungen mit Rußland hinausführen, das durch seine Geschichte von einem Gefühl der Haßliebe bezüglich Deutschland besessen ist.“ Deshalb sei er auch gegen die multilaterale Atombewaffnung der NATO. Nur wenn

dies die einzige Möglichkeit wäre, eine atomare Aufrüstung der Deutschen zu vermeiden, könnte er den amerikanischen Vorschlag widerstrebend unterstützen. „Wir glauben nicht, daß ein Jota zur atomaren Schlagkraft des Westens dadurch hinzukommt. Es würde nur der Anschein ... einer geteilten atomaren Kontrolle entstehen.“ Seiner Meinung nach sollte Großbritannien die konventionellen Streitkräfte ausbauen, in einem zunehmenden Maß internationale Polizeiaktionen der Vereinten Nationen zur Verfügung stellen. Dafür fordere er von den USA eine echte Teilung in der Kontrolle und strategischen Planung von Atomwaffen.

Auch seit seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten hat der Oppositionsführer in seinen Reden

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