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Kabinett des Mißtrauens?

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Der Wahlerfolg der Freien Demokratischen Partei (FDP) vom 17. September 1961 schuf eine Reihe von Problemen, die eine rasche Regierungsbildung erheblich erschwert haben. Diese Schwierigkeiten lagen nicht nur in der an sich in einer Demokratie durchaus normalen Tatsache, daß die Regierungspartei die absolute Mehrheit verlor, sie waren in diesem merkwürdigen Sieg selbst eingeschlossen. Denn dieser Erfolg war weniger eine Niederlage der CDU, als eine solche Konrad Adenauers, dessen Ankündigung, mit 86 Jahren zum viertenmal an die Spitze eines Bundeskabinetts zu treten, immerhin 4,8 Prozent seiner Wähler aus dem Jahre 1957 so erschreckte, daß sie der FDP ihre Stimmen gaben, die dadurch ihren Stimmenanteil fast verdoppeln konnte (von 7,7 auf 12,8 Prozent). Dieser Stimmenzuwachs galt aber nicht der FDP alsselbständiger dritter, Kraft, sondern ihrer Parole, den CDU- Bundesminister Ludwig Erhard zum Bundeskanzler vorschlagen zu wollen. Genau genommen, degradierte er die FDP zum Erhard-Flügel der CDU Das erkannte auch der FDP-Vorsitzende Erich Mende, der daraus in aller Öffentlichkeit den Schluß zog, seine Wähler forderten eine Regierungsbildung ohne Adenauer und ohne SPD.

Illusion: Zünglein an der Waage

Mit letzterer Erklärung begab sich die FDP der Möglichkeit, das begehrte Zünglein an der Waage zu werden. Das Spiel mit der CDU aber glückte nicht, weil Ludwig Erhard wieder einmal Angst vor der Schneid seiner Anhänger bekam und sich versagte. So wäre für die FDP nur die Rolle der Opposition gegen ein neues Kabinett Adenauer geblieben. Jetzt zeigte sich sehr rasch, daß die FDP trotz beträchtlichem Stimmengewinn eben doch keine richtige dritte Kraft ist. Sie konnte keine wirkliche eigene Initiative entwickeln. Sie verpaßte die Chancen, die ihr eine Rolle in der Opposition gegen eine große Koalition unter Adenauer geboten hätte.

Eine große Koalition unter Adenauer hätte sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den auf Westdeutschland zukommenden außenpolitischen Schwierigkeiten abgenutzt. Der Glanz, der Brandt als regierenden Bürgermeister von Berlin noch umgab, wäre in dieser Koalition rasch verblichen, und die FDP hätte darauf vertrauen können, noch einige enttäuschte SPD-Wähler beim nächsten Male dazuzugewinnen. Ihre Forderung nach der Ablösung des 86jährigen Bundeskanzlers hätte jedermann als berechtigt anerkennen müssen. Dieser Weg bot sich insofern an, als Adenauer bisher noch jeden Koalitionspartner aufgerieben hatte. In der Koalition von 1953 gingen BHF und FDP über die Klinge, deren Minister sich zum größten Teil gegen ihre eigene Partei erklärten und entweder der CDU beitraten oder eine Splitterpartei gründeten. 1960 mußte auch Adenauers ältester Koalitionspartner, die Deutsche Partei, ins Gras beißen.

Der Druck der Interessenverbände

Der Druck der Interessenverbände, die sich ebenso wie Mende von Adenauers Verhandlungen mit der SPD ins Bockshorn jagen ließen, drängte die FDP von der vorgezeichneten Bahn ab. Sie ließ sich in Koalitionsverhandlungen ein, die, je länger sie dauerten, um so weniger Mende einen Rückzug offen ließen. Nur mit Mühe gelang es ihm am 21. Oktober, seinen Parteiausschuß von der Notwendigkeit einer Koalition mit der CDU/CSU unter Adenauer zu überzeugen. Das in der FDP lebendige Mißtrauen schlug sich schließlich in einem 16 Seiten langen Koalitionsvertrag nieder, dessen Inhalt nur schwer mit der Verfassung zu vereinbaren war und zu dem der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Krone, nur deshalb ja und amen sagte, damit nach fünf Wochen endlich eine aktionsfähige Bundesregierung gebildet werden kann. Am Donnerstag, dem 26. Oktober, stieß nun dieser Koalitionsvertrag innerhalb der CDU/CSU auf schärfste Bedenken. In der einsetzenden Diskussion entfuhr Adenauer der Satz, diese Vereinbarung sei nur „ein wertloser Fetzen Papier, FDP-Papier”. Die CDU/CSU Fraktion ertrotzte 40 Änderungen im Koalitionsvertrag. Und nun erklärte die FDP-Fraktion, nicht ganz mit Unrecht durch den Ausspruch Adenauers verärgert, die von der CDU/CSU gemachten 40 Änderungsvorschläge seien unzumutbar.

Was Mende und die FDP mit einem ausgeklügelten Koalitionsvertrag erreichen wollen, gleicht der berühmten Quadratur des Zirkels. Er will Einfluß und Macht, weicht aber der eigentlich entscheidenden Frage aus, ob er nämlich zu dem Regierungschef Adenauer Vertrauen hat oder nicht. Wie ein solches auf Mißtrauen aufgebautes Kabinett in den kommenden schweren Krisen bestehen will, bleibt unklar. Mende versucht vergeblich, das harte Entweder-Oder zu umgehen. Eine Koalition unter Adenauer ist ja nur dann ehrlich, wenn die FDP dem alten Mann vertraut. Tut sie es nicht, so betrügt sie sich selbst und ihre Wähler, am Ende aber das ganze deutsche Volk, wenn sie mit ihm in eine Koalition geht, bei der Adenauer die FDP hintergehen muß, wenn er überhaupt regieren will.

Trotzdem ist diese Koalition nach fünfwöchiger Verhandlungsdauer nicht mehr zu vermeiden, in der der eine Partner vom ersten Tag an vergeblich versuchen wird, die dritte Kraft zu spielen. Das sind keine erfreulichen Auspizien für eine düster verhangene Zukunft und entspricht keineswegs dem Wahlergebnis des 17. September.

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