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Kalter Bürgerkrieg

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Seit Jahren ist unser Land im Zustand des Bürgerkrieges. Die Instrumente der „Kriegsführung” sind nicht mehr die nackte Gewalt oder die Drohung mit physischer Vernichtung, sondern der Versuch, die gegnerische Gruppe durch den Entzug der wirtschaftlichen Substanz bewußt oder unbewußt politisch zu entmachten. Willfährige Hausintellektuelle auf beiden Seiten sind bemüht, den wahren Sachverhalt durch Formeln und Zitate aus den Schriften der „Meister” zu überdecken und die jeweils ansprechbaren Staatsbürger zu narkotisieren.

Das Arsenal der „gebräuchlichsten” Kampfmittel besteht aus aggressiven Lohn- und provokativen Preisforderungen beziehungsweise den erzwungenen Lohn- und Preiserhöhungen und aus Streikdrohung und Liefersperre.

Die Opfer des Bürgerkrieges neuer Art sind in erster Linie nicht die jeweiligen persönlichen Gegner, die meist, und dazu noch aus öffentlichen Mitteln, wohlversorgt den Beschuß des Gegners ohne dauernden persönlichen Schaden überstehen, sondern die Sparer, die allmählich zu den „gutmütigen Idioten” der österreichischen Wirtschaftspolitik werden, und schließlich die Republik, die zu verteidigen sö Viele „Volksvertreter” ungemein „reichlich” bemüht sind, während sie tatsächlich alles zur wirtschaftlichen Verkarstung Österreichs tun.

Die Lohnforderungen werden mit der Teuerung begründet, ohne daß untersucht wird, wie weit nicht die Erfüllung einer Lohnforderung wieder zu jenem Preisanstieg führt, den man so oberflächlich als „Teuerung” beklagt. Das geradezu kindische, wenn auch allmählich für die Wirtschaft des Landes tödliche Spiel von Teuerungszulage—Teuerung—Teuerungszulage usw. ist geeignet, unser Land auf den Rang eines wirtschaftlich unterentwickelten Staates zurückzuführen und jenen massenpsychologischen Zustand herbeizuführen, in dem vielen ein Führer-Befreier als die einzige Lösung erscheint.

Wenn 500.000 Arbeitnehmer zur Kompensation der „Teuerung” je Jahr nur 1000 Schilling erhalten, das sind 20 Schilling je Woche, kostet dies die Volkswirtschaft eine halbe Milliarde! Glaubt ein Verantwortlicher, daß diese „Teuerungszulage” aus den Unternehmergewinnen, die zudem nicht „vergessen” werden, gedeckt werden kann…?

Ebenso bedenklich wie die sinnlosen Teuerungszulagen sind die schematischen Lohnerhöhungen. Wenn der Lebenshaltungskostenindex um drei Prozent, steigt, kann das nur bedeuten, daß jene Güter, die im Warenkorb des Statistischen Zentralamtes verrechnet werden, um den genannten Hundertsatz teurer geworden sind. Nun werden aber bei einer dreiprozentigen Lohnsteigerung die Lohneinkünfte aller Einkommensgruppen relativ gleich, absolut aber verschieden hoch gesteigert. Wer 2000 Schilling an Lohn hat, bekommt bei dreiprozentiger Lohnstei- gerung 60 Schilling, und wer 10.000 Schilling bezieht, 300 Schilling brutto, also wahrscheinlich erheblich mehr als die angenommene „Teuerung” seine Lebenshaltung kostspieliger gemacht hat.

An die Möglichkeit, eine Preissteigerung, wenn diese schon abgegolten werden muß, ab einer gewissen Höhe durch Anheben der Renten und der Kinderbeihilfen und sonst durch Erhöhung der Löhne in Form der Gewährung eines festen Zuschusses zu kompensieren, denkt man selten.

Wo eine Lohnforderung mit einer erwiesenen Produktivitätssteigerung begründet wird, besteht sie sachlich zu Recht, wenn auch bedacht werden soll, daß der Anstieg der Produktivität nicht allein auf einen verstärkten Arbeitseinsatz zurückgeführt werden darf. Anderseits kann ein Produktivitätslohn nicht je Betrieb gefordert werden, da es Betriebe gibt, die ihre Produktivität schwer oder überhaupt nicht steigern können. Denken wir an den Bereich der Dienstleistungsbetriebe, etwa an einen Friseur, dessen „Ausstoßgröße” nur durch eine „Kahlrasur” und andere „neuartige” Formen der „Leistungsdarbietung” vergrößert werden könnte.

Die bedenklichste Form der Lohnforderung ist jene, die als Instrument eines antiquierten Klassenkampfes betrachtet wird. Die Leidtragenden sind dann in erster Linie die Arbeitnehmer, da wirtschaftlich nicht zu deckende Lohnforderungen lediglich durch Reallohnkürzungen (Preissteigerungen) erfüllt werden können.

Wie sieht es an der Preisfront aus?

Wer seine Preise erhöht, rechtfertigt sein Verhalten meist durch einen bekümmerten Hinweis auf kostenungüstig arbeitende Grenzbetriebe oder auf Lohnerhöhungen, die nicht selten in einer rechnerisch originellen Weise in die Selbstkostenrechnung eingebaut werden:

Der Lohn ist zum Beispiel um zehn Prozent gestiegen. Die Löhne stellen — im Beispiel — 25 Prozent der Gesamtkosten dar. Die tatsächliche Steigerung der Selbstkosten als Folge der Lohnerhöhung beträgt daher 2,5 Prozent. Nicht selten werden aber „vorsorglich” die Preise nach oben um zehn Prozent berichtigt, „weil die Löhne um zehn Prozent gestiegen sind”.

Die Gemeinkosten (die sogenannten „Regien”) werden oft in einem Hundertsatz den Löhnen zugeschlagen. Nehmen wir an, daß sich die Herstellungskosten eines Produktes aus Löhnen in Höhe von 200 Schilling und aus Material in Höhe von 300 Schilling zusammensetzen. Dazu kommen noch 25 Prozent Gemeinkosten, gerechnet von den Löhnen. Die Selbstkosten belaufen sich in unserem Beispiel daher auf 200+300 + 50 Schilling Gemeinkosten (25 Prozent von 200 Schilling) = 550 Schilling. Werden die Löhne um zehn Prozent erhöht, führt dies zu einer Steigerung der Selbstkosten um 20 Schilling. Tatsächlich werden aber nicht selten die Gemeinkosten von den vermehrten Löhnen gerechnet, also mit 25 Prozent von 220 Schilling, was zu einer ungerechtfertigten Preissteigerung von 5 Schilling führt.

Nicht zu übersehen sind die verdeckten Preissteigerungen, auf die dankenswerterweise auch in der Presse hingewiesen wird, sei es durch Quali- täts- oder Gewichtsverminderung bei gleichen Preisen, sei es durch die Kreation eines scheinbar neuen Produktes, dessen Nutzeneffekt geringer ist als der des alten Produkts, während man dessen Preis beibehält.

Die Abwehr der Preisforderungen der Agrarproduzenten seitens mancher Gewerkschafter ist emotional bestimmt und erfolgt ohne Rücksicht darauf, daß in den von Bauern verlangten Preisen auch in ihrer Höhe durchaus berechtigte Arbeitslöhne enthalten sind.

Anderseits wird der Preiskampf der Bauern, der „Bauernkrieg” moderner Form, nicht selten ohne sachliche Argumente geführt. Wenn etwa der Staat gezwungen wird oder gezwungen werden soll, jede abgelieferte Milchmenge zu subventionieren, kann dies nicht mehr der Masse der Bauern, sondern nur mehr wenigen Mehr-als- groß-Bauern nützen und zur Konstitution einer eigenartigen Gruppe von Staatspensionären führen, die sich ihre Privilegien durch (unbegründeten) Hinweis auf den kleinen Bauern sichern.

Grotesk und nur mehr als kleinliche Bosheit zu klassifizieren sind die gegenseitigen Behinderungen des Exportes oder des Importes. Die einen läßt man ihre Gurken nicht ausführen, unbekümmert darum, ob sie nun auf den Feldern verfaulen oder nicht, während die anderen wieder die Importe knapper Güter behindern, um den Preis halten zu können.

Die dilettantisch-egoistischen Bemühungen einzelner Parteifanatiker, Verbandsführer und Unternehmer verdichten sich bereits zu einer Art Hochverrat. Wenn die Demokratie in einem Land jemals liquidiert wurde, dann waren es meist wirtschaftliche Bestimmungsgründe, die schließlich jenen Zustand herbeiführten, in dem ein Tyrann geradezu als Erlösung erschien. Die Unkenntnis in Fragen der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge, die von nicht wenigen für die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen in einer an Göring gemahnenden Unbekümmertheit zur Schau getragen wird, läßt vermuten, daß nur mehr die Ablöse einiger Unverantwortlicher den Ansatz einer Lösung bildet. Je weniger so manche Politiker von wirtschaftlichen Problemen verstehen, um so mehr sind sie aber geneigt, in einer Flucht nach vorn ihre Gegner „umzulegen”, sei es, indem man sie als „Rechtsradikale” abtut oder geheimer kommunistischer Verbindungen bezichtigt. Die Ehrabschneidung, die skrupellose Verleumdung des Gegners hat eine Intensität angenommen, wie sie sonst nur für die Frühgeschichte des Faschismus kennzeichnend war.

Warum erwägt man nicht an Stelle der bestmöglichen Schädigung des politischen Gegners die Stärkung der Paritätischen Kommission, ihre Institutionalisierung und die Abfassung eines Wirtschaftsplanes auf lange Sicht mit einer objektiven Lohn- und Preispolitik?

Offenkundig brauchen wir keine neue Koalition — auch keine neue Partei —, wohl aber neue Männer, denen die Republik und Österreich Anliegen sind und nicht bloß ein Terrain, auf dem sie ihre privaten Geschäfte machen oder auf die Exekution des Gegners sinnen, dessen Qualitäten sie erst erkennen, wenn sie ihn im KZ treffen.

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