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Kampf einer Stadt

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Dr. Z„ Berlin, 10. September

Der aus den Trümmern der Berliner Stadtmitte aufragende Turm der Parochial- kirche hat eben die zehnte Abendstunde angekündigt. Die Stadt ist schon fast aus- wenige Lichter .erhellen die Gebige. Das Gläser- klirren aus der „Tabäscobar“. am Kürftirsten- damm entbehrt gänzlich der Stimmung, die früher den von den Berlinern über alles geliebten Abendtrunk auszeichnete. Der Humor ist hart geworden wie die Schnäpse, die zu überhohen Westmarkpreisen an die von ihren Tagesmühen ausruhenden Schleichhändler abgegeben werden. Hinter diesem Antlitz einer Stadt, die mit toten Augen gegen den von keinem Lichteffekt, keiner Lichtreklame geröteten, düstergrauen Himmel blickt, erwacht in der Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang ein ganz anders geartetes Nachtleben. Zwei Stunden nur von den vierundzwanzig, wird vom Osten dem Westen Berlins Nachtstrom zur Verfügung gestellt. Die Stromabnehmer sind in einzelne Zeitkategorien eingeteilt und jeder, versucht, diese kurze Spanne, in dem er Anteil an der lebenswichtigen Energiequelle hat, so gut wie nur möglich auszunützen. Die Hausfrau bereitet von drei bis fünf Uhr das Essen des ganzen Tages, der Journalist nützt das Licht seiner Lampe für die unerläßliche Nachtarbeit seiner Zeitung aus, der Schneider bügelt die Anzüge. Die Industrie der Westsektoreri schöpft die karge Zeit aus, um wenigstens die allernotwendigsten Arbeitsvorgänge zu erledigen.

Diese Lebensweise der Bevölkerung einer Dreimillionenstadt, die gezwungen ist, unter solchen Umständen zu vegetieren, schafft neue Formen. Jeder Krankheitsstoff erzeugt Gegengifte. Jeder Drude bringt neue Energien, die sich gegen eine Vergewaltigung stemmen, auf den Plan. So ist es auch in Berlin. Aus der heutigen Situation der Reichshauptstadt ist wohl die unentwirrbare Verworrenheit des Ablaufes der weltpolitischen Situation der letzten drei Jahre am besten zu ersehen. Das Gegenteil von dem, was die siegreichen alliierten Heere erstrebten, als sie über die Trümmer der Verwaltungsgebäude des zentralistischen Machtstaates einmarschierten, ist eingetreten. Von den politischen Zentren an der Themse, Seine, Potomac und Moskwa hat sich der Schwerpunkt wiederum auf den von Ruinen umgebenen Potsdamer Platz verschoben. Daher kann man in Berlin kaum von einer innerpolitischen Situation sprechen. Die von der Sozialistischen Einheitspartei aufgesogenen Kommunisten dürften wohl niemals mehr die Möglichkeit haben, auf demokratischem Wege die Mehrheit zu erringen. Politische Beobachter schätzen, daß sie von den bei der letzten Wahl erzielten 20 Pibzent, noch Stimmen abgeben Werden müssen. Die anderen aktiven politischen Parteien haben nur den Wunsch, die Freiheit des Handelns zu bewahren und die Vergewaltigung der Stadt hintanzuhalten. Sie sind bereit, auch mit dem Osten zusammenzuarbeiten, aber nicht um den Preis der Gleichschaltung in ein vorherbestimmtes Blocksystem. So wächst aus dem Zusammenprall zweier weltpolitischer Extreme der heroische Kampf um die Demokratie gerade in der Stadt, die man von vorhinein von jedem möglichen Heroismus und Traditionalismus fernhalten wollte.

Sichtbarer Ausdruck in diesem Kampfe ist die Zweiteilung der Währung geworden. Während von den Besatzungsmächten der Westzone der Befehl ausgegeben wurde, daß ein Viertel des Gehaltes in Westwährung und drei Viertel in Ostwährung auszubezahlen sei, wurde vom russischen Element der Besitz von Westmark oder sogenannter

D-Mark, unter Straf Sanktion gestellt. Vom Westen, her wurde den Berlinern ein Stichtag vorgeschrieben, bis- zu dem sie sich ihre Kopfquote an westlichen Geld beheben mußten. Die Abhebung wurde durch einen Stempel im Personaldokument quittiert. Konnte ein Einwohner der Westzone diese Quittung nicht aufzeigen, so lief er in Gefahr, seiner Wohnung verlustig zu gehen. Mit dem Vermerk in der Identitätskarte lief er aber wieder Gefahr, bei Überschreiten der Linie von einem Westsektor in den Ostsektor, von dem anderen Element mit empfindlicher Strafen belegt zu werden oder durch die Markgraf-Polizei überhaupt des Personalausweises verlustig zu gehen. Brieftaschen mit D-Mark werden beschlagnahmt. Wann und wo aber eine solche Kontrolle stattfindet, ist gänzlich ungewiß. In der Ostzone ist ein scharfes Überwachungsnetz von Seiten der SED eingeführt worden. Organe dieser Beaufsichtigung jedes einzelnen Bürgers sind vor allem die Hausobmänner — deren Hauptstärke in der Abholung und willkürlichen Verteilung der Lebensmittelkarten liegt —, diesen übergeordnet sind die Straßenobmänner, die einen Häuserblock zur Beaufsichtigung übertragen haben und wiederum den Bezirksobmännern unterstehen. Aber auch im Westen gibt es Enklaven, in denen die Ostpolizei die Möglichkeit der Perlustrierung hat. Durch Abkommen der vier Alliierten wurde die Untergrundbahn der Reichsbahn unterstellt, die in Berlin im Besitze des russischen Elements ist. Jeder U-Bahnhof ist daher russisch besetztes Gebiet. Diese Tatsache beleuchtet aber nur die eine Seite. Die Kehrseite zeigt eine ganz andere Prägung. So versucht die SED durch den Schwarzhandel, der nur in Westmark getätigt wird, sich das nötige Geld für die Propaganda der Kommunistischen Partei, in Westdeutschland zu verschaffen. Millionen von „Hundekopp"-, „Stella“- oder „Blumen“-Zigaretten — diese drei sind die gängigsten Ostmarken — werden von diskret eingerichteten, ohne Firmenbezeichnung und Propaganda versehenen Läden in den Ostsektoren an die mit Westwährung bezahlenden Zigarettenschieber ausgegeben. Und der Berliner muß sich zähneknirschend eingestehen, daß er mit jeder Zigarette eigentlich eine Steuer auf Kosten seiner demokratischen Freiheit bezahlt.

Trotz allen Härten des Lebens, die ihm heute auferlegt sind, denkt der. Berliner nicht an Kapitulation. Das durch lange Jahre eingeschlafene Gerechtigkeitsgefühl ist erwacht. Sein Humor, wenn er zum Beispiel neue. Luftlagemeldungen mit „anfliegenden Zuckerverbänden“, „einzelnen Rosinenbombern" oder „abwurfbereiten Erbsengeschwadern“ verfaßt, ist ungebrochen. Sein Vertrauen auf die Stärke des Westens und die Vergleichsbereitschaft des Ostens ist unbegrenzt. Der Kampf der drei Millionen um ihre Freiheit kann historischen Freiheitskämpfen an die Seite gestellt werden. Die Entspannung, die die letzten Tage durch die Aufnahme der Sitzung des Kontrollrates brachten, kann als Würdigung dieses Widerstandes durch die Westmächte gewertet werden. Und mit Stolz rief der Vorsitzende der Christlich Demokratischen Union, Jakob Kaiser, anläßlich einer Rede den Franzosen zu: „Die Freiheit von Paris liegt in Berlin.“

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