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Kampf um den Frieden beginnt

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1914 wird die Erklärung von 93 deutschen Wissenschaftlern für den heiligen deutschen Krieg von vielen katholischen Theologen mitunterzeichnet. In dem vom Kriegstaumel ergriffenen Paris, in dem berühmte Theologen, wie Sertillan- ges, von der Kanzel der Madeleine ihren Gott gegen die Deutschen mobilisieren und gegen den „pazifistischen deutschfreundlichen“ Papst Benedikt XV. predigen (diesem Friedenspapst wird ein einziges Denkmal gesetzt: von den Türken), hält Alfred Loisy von seinem Katheder in der Sorbonne seine berühmten Vorlesungen über die Kriegsgötter: Da kämpfen heute der Gott der Deutschen, der Gott der Franzosen, der Gott der Italiener. Bitter-ironisch bemerkt Loisy, der sich zeitlebens als ein Schüler der deutschen Wissenschaft bekennt: Es ist sehr schwer, sich zwischen den beiden Göttern, dem deutschen und dem französischen, zu entscheiden.

„Das christliche Sittengesetz ist als Überschrift über die Staatsarbeit zu stellen“, lehrt Minister a. D. Franz Josef Strauss, und erklärt anderseits, „daß die Stärke unserer Bundesgenossen ausreiche, das Reich der Sowjetunion von der Landkarte streichen zu können (1956) und mehrmals zu vernichten (1959).“ Der hervorragende deutsche Moraltheologe Pater Hirschmann schreibt 1958: „Der Mut, unter Aussicht auf millionenfache Zerstörung menschlichen Lebens in der heutigen Situation das Opfer atomarer Rüstung zu bejahen, kann der Haltung des heiligen Franziskus innerlich näherstehen und mehr Geist vom Geist der Theologie des Kreuzes atmen, als ein Denken, das naturrechtliche Prinzipien vorschnell einem undurchdachten Theologumenon op- teilung der Atomwaffen, aber auch der biologischen und chemischen Waffen, stellt Kardinal Maurice Feltin von Paris, der Präsident der internationalen katholischen Friedensbewegung Pax Christi, am 30. Oktober 1964 auf dem Konzil fest. Der Kardinal von Panis spricht außerhalb der Tagesordnung bereits zum Abschnitt über „Die Festigung des Friedens“, da er in den folgenden Tagen nicht in Rom sein kann. Feltin erklärt: Jeder Mensch soll sich darüber im klaren sein, daß es nicht nur Sache der Mächtigen dieser Welt ist, für den Frieden zu arbeiten. Er schlägt die Einrichtung eines „Friedenssonntags“ vor, der in der ganzen Welt am gleichen Tag begangen werden soll. Der Kardinal von Paris fordert, die internationalen Organisationen, die für Frieden, Abrüstung und Fortschritt der Völker wirken, mit allen Mitteln zu unterstützen. Dem Thema Friede soll in der Seelsorge, der Predigt und der Katechese mehr Gewicht gegeben werden. Feltin regt an, eine neue Kommission aus Theologen und Wissenschaftlern mit der Neubearbeitung der Aussagen über den Frieden im vierten Kapitel des Schemas zu betrauen; er hält es für gut, das Thema Kriegsdienstverweigerer ins Schema selbst aufzunehmen.

fert, wie es heute in breiter Front evangelische Pfarrer und Theologen tun.“ Und der nicht minder hervorragende, hoch angesehene Pater Gundlach hält erst im Februar 1959 fest: „Die Anwendung des atomaren Krieges ist nicht absolut unsittlich. Sogar ein Angriffskrieg ist unter Umständen erlaubt. Die Frage des Atomkrieges ist keine Frage der Bergpredigt.“

Blenden wir nach diesen Bemerkungen die große Szene auf, als die sich die Konzilsaula in den letzten Wochen für alle Friedensfreunde, für alle Freunde eines echten Weltfriedens, darbot.

Die Weltöffentlichkeit erwartet vom Konzil eine feierliche Verur-

Am 10. November 1964 beginnt in der 118. Generalkongregation des II. Vatikanischen Konzils in Rom die Aussprache über den Artikel 25 im Schema von der Kirche in der modernen Welt: „Festigung des Friedens.“ Kardinal Bernard J. Alfrink von Utrecht, ein Landsmann des Papstes Hadrian VI., der auf einem Reichstag in Worms ein Schuldbekenntnis der Kirche ablegen ließ, ein Landsmann des Erasmus von Rotterdam, der vor vierhundertfünfzig Jahren mit seiner

„Querela paeis“ den Kampf für den großen Frieden in der Kirche eröffnet hat, erklärt: Dieser Text des Schemas 13 dürfe nicht hinter den Aussagen von „Pacem in terris“ Zurückbleiben. Die Friedensenzyklika Johannes' XXIII. spreche viel klafer über die Abrüstung, als das vorliegende Schema. Wenn das Konzil so allgemein, wie im Schema, rede, könne das Mißverständnis entstehen, als wolle das Konzil nur die „schmutzige Bombe“ und nicht unbedingt auch die sogenannte „saubere Bombe“, deren Auswirkung man abschätzen zu können glaubt, verurteilen.

Kardinal Alfrink wirft die Frage auf, ob es angebracht sei, die alte Theorie vom gerechten und ungerechten Krieg ins Schema aufzunehmen. Damit werde der Eindruck erweckt, als wolle das Konzil sagen, daß selbst ein mit Atomwaffen geführter Krieg „gerecht" sein könne. „Die Frage, die Geister und Herzen aller Menschen bewegt, ist nicht, ob ein nuklearer Krieg gerecht sein kann. Die große Angst der ganzen Menschheit ist vielmehr, daß es einmal einen Atomkrieg geben könnte.“ Alfrink zitiert ein Wort des Präsidenten Kennedy: „Wenn wir nicht die nuklearen Waffen zerstören, werden sie uns zerstören.“ Das Schema stellt in der gegenwärtigen Form die Angst vor der Zerstörung der gesamten Menschheit in den Vordergrund, und weist viel zuwenig auf die enge Verbindung zwischen der Frohbotschaft Christi und dem Friedensauftrag der Kirche hin.

Der Weihbischof von Lyon, Alfred Ancel, fordert sodann: Uber bewaffnete Streitkräfte dürften nur die internationalen Organisationen verfügen, um damit jeden Ansatz zum Krieg zu verhindern. Die Kirche habe die hohe Aufgabe, die öffentliche Meinung mit christlichem Geist zu beeinflussen und damit die Entscheidung der Staatslenker zu erleichtern. Der Beitrag der Kirche zum Aufbau einer internationalen Autorität, die Kriege zwischen einzelnen Nationen verhindern kann, sei unerläßlich. Der Gebrauch von ABC-Waffen ist ein Verbrechen gegen Gott und die Menschheit: so Bischof Jacques Guilhem von Laval, Frankreich. Das Konzil soll den Atomkrieg als möglichen Völkermord feierlich verurteilen. Es müsse auch den Irrtum bekämpfen, der Friede sei nur durch das Gleichgewicht der militärischen Kräfte möglich. Alle Differenzen zwischen den Nationen können überwunden werden: in gegenseitigem Verständnis, in sachlicher Auseinandersetzung.

Am 11. November wurde die Debatte fortgesetzt. Diskussionsredner traten, wie am Vortag, für eine Ächtung der atomaren, bakteriologischen und chemischen Waffen, für eine Ausschaltung des Krieges als Mittel der Politik, für eine allgemeine Abrüstung und für einen Appell an die Regierungen ein, die Produktion neuer Waffen einzustellen und mit den auf diese Weise freiwerdenden Mitteln den Kampf gegen die Not in der Welt zu unterstützen. Für einen „gerechten Verteidigungskrieg“

und klaren Erklärung des Konzils vor der ganzen Welt. Die radikale Verurteilung der Atomwaffen durch die Kirche kann eine Kettenreaktion auslösen und andere religiöse und staatliche Autoritäten mitreißen. Maximos bittet die Konzilsväter, „um der Liebe Christi, des Menschenfreundes und Friedenskönigs, willen“, jeden Krieg mit atomaren, bakteriologischen und chemischen Waffen feierlich und nachdrücklich zu verurteilen und die Verantwortlichen zu bitten, sie mögen die Milliarden, die sie heute für die atomare Rüstung ausgeben, zum Nutzen der armen und hungernden Menschheit einsetzen.

Jetzt meldet sich ein deutscher Bischof zu Wort: Bischof Franz Hengsbach von Essen (dieses Ruhrbistum wurde vor wenigen Jahren erst geschaffen): Man muß noch einen Schritt weitergehen und gerade in diesen Fragen, die die Welt sosehr bewegen, zu einem Dialog kommen. Hengsbach macht einige Vorschläge für einen solchen Dialog, unter anderem: Verantwortliche Christen, die in den einschlägigen Fragen bewandert sind, sollen mit Experten auf politischen, militärischen und verwandten Gebieten erste und konkrete Schritte zur Festigung des Friedens beraten. An diesen Gesprächen sollen zunächst auch nichtkatholische Christen teilnehmen. Der Erfolg solcher Gespräche hängt wesentlich vom gegenseitigen Vertrauen der Teilnehmer und von der strikten Geheimhaltung äußerst diskret zu behandelnder Fragen ab. — Wir ergänzen hier: Solche Gespräche Anden zwischen sowjetischen, amerikanischen und anderen östlichen und westlichen Wissenschaftlern seit Jahren in deh Pugwash-Konferenzen statt.

Bischof Hengsbach fährt fort: Das Schema des Konzils soll ausdrücklich zu solchen Gesprächen einladen und die Bereitschaft der Kirche, sie zu fördern, betonen. Der deutsche Bischof unterstreicht die Notwendigkeit, Einfluß und Wirksamkeit der internationalen Organisationen wie der UNO zu stärken. Wie der Patriarch Maximos appelliert er an die Staatslenker, die Produktion neuer Waffen einzustellen und dafür die Entwicklungsländer zu unterstützen.

Der Kampf um den Frieden beginnt: beginnt 50 Jahre nach 1914, 25 Jahre nach 1939 in der Herzmitte der Kirche. Noch fehlen fast alle geistigen Voraussetzungen und Vorarbeiten für eine katholische Friedenswissenschaft, die Konfliktforschung sein muß: Der große Friede von morgen besteht ja in einem Leben in großen und kleineren Konflikten. Noch fehlt eine Erhellung des Bewußtseins der allermeisten Christen durch Seelsorge, Predigt, Unterricht und Personenbildung, die nüchtern und sachbezogen, ohne Phrase und Sentimentalität in die vielfältigen Probleme und Konflikte der modernen Gesellschaft einführen. Noch fehlt ein christliches Schrifttum sachkundiger Friedensforschung. Noch fehlt weithin eine christliche Presse, die dem Kampf um den Frieden den Vorrang gibt vor katholisierenden Vereinsangelegenheiten.

Im Dezember 1964 tritt „Die Furche“ in ihr zwanzigstes Jahr. Neunzehn Jahre hat sie dem Abbau von Haß, Vorurteil, von atavistischem Defaitismus gewidmet. Hier, in Wien, in der „Furche“, sind mitten in einer Zone des kalten Krieges, von 1945 46 an, die großen Fragen angesprochen worden, die nun das II. Vatikanische Konzil „mit unerschrockener Kühnheit“ (Maximos IV.) angehen und beantworten soll. „Sonst könnte man sagen: Wir baten um Brot, ihr gabt uns ein Schema“ (Gerald Mahon, London, Generaloberer der St.-Josephs-Missionare von Mill Hill, auf dem Konzil).

mit Einsatz von kontrollierten Kernwaffen sprach sich, etwas verklausuliert, Erzbischof George Beck von Liverpool aus. Weihbischof Philipp Hannan von Washington, USA, wirft die Frage auf, ob zur Verteidigung der Freiheit nicht doch der Einsatz von kontrollierten Kernwaffen gestattet ist.

Der melchitische Patriarch Maxi- mos IV. Saigh weist auf die real drohende Gefahr eines Atomkrieges, der zur Vernichtung der Menschheit führen könnte, hin. Das entschlossene Eintreten der zweitausend Bischöfe im Konzil für den Frieden könne vielleicht den Lauf der Geschichte ändern und von der Menschheit diese Gefahr abwenden. „Man redet vom gerechten Krieg, aber gibt es einen hinreichenden moralischen Grund, der eine Weltkatastrophe rechtfertigen könnte? Kann man Zivilisationen und Völker unter dem Vorwand der Verteidigung vernichten? Wenn die Menschen von einem Augenblick zum anderen ausgelöscht werden können, wem soll dann die neue Seelsorge dienen, nach der- wir seit der Ankündigung des Konzils so eifrig streben? Muß nicht die hergebrachte Konzeption vom gerechten Krieg heute neu gesehen und im Licht der heutigen Lage neu durchdacht werden?“

Dieser Patriarch wirft dem vorliegenden Schema über den Frieden vor, daß es, im Gegensatz zur klaren Sprache Johannes' XXIII. in „Pacem in terris“, vom Frieden in etwas platonischer Weise spreche. Heute bedarf es jedoch einer festen

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