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Kampf um Deutschland, Kampf in Deutschland

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Im Zentrum weltpolitischer Auseinandersetzungen in Paris, Washington und Moskau steht heute Deutschland. Wie sieht es im Zentrum Deutschlands selbst aus?

Langgestreckt und flach wie ein modernes Geschäftshaus; in den hinteren Trakten mit den Konsumationshallen und den breiten Rheinterrassen einem Restaurationsbetrieb gleichend: der Bundestag, das neue deutsche Parlament. Geschäftiges Fluten der, wenn vollzählig vertreten, über 500 Abgeordneten und ihrer Klienten. Wieder erneuert sich im Fahrstuhl und in den von regem Leben erfüllten Gängen der Eindruck: hier geben Männer der großen Interessen den Ton an, prägen das Ganze.

In den letzten Tagen haben aufs eifrigste diese Männer der Industrie und Wirtschaft quer durch ihre Parteien (CDU, FDP und Deutsche Partei) Verhandlungen geführt, schon spricht man von einer neuen „Konservativen Partei“, deren politisches Bekenntnis etwa den früheren Deutschnationalen gleichen wird. Mag eine solche nach außen weithin sichtbare politische Fusion verfrüht erscheinen, unzweifelhaft haben wir es hier mit dem geschlossensten machtpolitischen Block zu tun, den es heute im sichtbaren politischen Leben Deutschlands gibt! Sehr ähnlich den Verhältnissen nach 1918 gelang es diesen Kreisen, wichtigste Positionen mit ihren Männern zu besetzen. Der Oberst a. D., der General als Wirtschaftsführer, Exportchef, Direktor großer Handelshäuser und Betriebe, ist wieder zur alltäglichen Erscheinung geworden. Für die gegenwärtige Stunde heißt das: diese einflußreichen Kreise kennen keine ideologischen oder konfessionellen Gegensätze, wichtig ist für sie der Primat der freien, das heißt ihrer Wirtschaft, sie bekennen sidi. mit Vorbehalten, zum Schuman-Plan und zur Politik des Kanzlers, dessen Verhandlungen auf dem Petersberg sie mit Interesse verfolgen.

Da drüben nämlich, auf der anderen Seite des Rheins, verborgen in den lichten Nebeln dieses Herbstes, liegt der Petersberg, Sitz der Alliierten Hochkommissare und Botschafter, Dort ringt Adenauer in zähen, schwierigen Verhandlungen um einen neuen Status für Deutschland, um seine Integration in die westliche Welt als gleichberechtigter Partner. Der Kanzler bleibt als einziger führender deutscher Politiker für uns unsichtbar. Sichtbar aber sind drei Phänomene um ihn: die starken Schlagschatten dieser mächtigen Persönlichkeit, die in großer Einsamkeit ihren Weg geht, und die etwas ungemein Starkes, Zielbewußtes, Kategorisches und Ausschließendes an sich hat; der Primat der Außenpolitik, mit deren Gelingen das Schicksal seiner Regierung untrennbar verbunden ist und damit notwendig ein Zurücktreten der innenpolitischen Bezüge, deren wichtigste Stellungen in der Regierung eben Männern der großen Interessen, wie sie zumal die „Freien Demokraten“ vertreten, anheimfallen. An dieser Größe und Grenze seiner Persönlichkeit entzünden sich die Gegensätze.

Tragisch an ihn gebunden scheint der Mann mit dem einen Arm und dem einen Bein, der uns in seinem Dienstzimmer im Bundestag gegenüber sitzt: Kurt Schumacher, der Führer der Opposition. Ein Leben aus dem Gegensatz; man muß an Kierkegaards Einzelnen denken, auch an Max Stirner „Der Einzelne und sein Eigentum“. Besitzt diese Persönlichkeit ihre Ideen oder wird sie von ihnen besessen, erliegt dieser Mann selbst vielleicht am meisten der Faszination seines Denkens, das sich nur mehr in Gegensätzen realisieren zu können scheint? Sofort springt er in das große Thema des Tages, das Ost-West-Gespräch. „Die Sowjets wollen Gespräche nur als Stimmungszauber“: Bitter beklagt er den „außerordentlichen Dilettantismus und die Abwesenheit der Denkkraft“ bei den westdeutschen Politikern: „Entweder wollen sie himmelhoch jauchzend an den Verhandlungstisch stürzen oder schimpfend absagen.“ Schumacher ist für eine regierungsbildende Nationalversammlung, die das deutsche Schicksal in die Hand nehmen soll; von den ostdeutschen Gebieten erwartet er sich eine sozialistische Mehrheit. „Der Schuman-Plan ist gegen die deutsche Einheit“, er ist „die Geburtsurkunde des neuen Kommunismus“, er bedeutet „50 Jahre Fremdherrschaft über Deutschland“. Aufrüstung?: „Deutschland soll Risiken übernehmen, von denen die anderen sich drücken.“ „Deutschland wird als Vorfeld mißbraucht“, „es fehlt der stählerne Schirm für die deutsche Aufrüstung“. Schumacher wirft der Regierung vor, sich bedingungslos, unter allen Umständen, den Alliierten preiszugeben, statt, wie er es wünscht, eine „Politik das gleichen Engagements und der gleichen Voraussetzungen“ zu betreiben. „Die Bundesregierung besitzt keine Souveränität in Deutschland, die Alliierten haben alle Rechte einzugreifen“ und „sie schachern wie die Greisler in einer Nebenstraße“, sie entwürdigen und mißhandeln das deutsche Volk. Alle zusammen aber charakterisiere „ein großer Mangel an internationaler Denkkraft und Verantwortung“.

Wir verlassen diesen faszinierenden Gefangenen seiner Thesen und Antithesen und treten auf die Straße. In der Öffentlichkeit gibt es so gut wie keine Auseinandersetzungen mehr über diese großen Themen: Ost, West und Aufrüstung. Seit dem Rücktritt Dr. Heinemanns als Bundesminister vor einem Jahr ist diese Aussprache in die Illegalität, zumindest ins Sektiererische, nahe an das Abstruse abgedrängt worden. Eine einzige deutsche Zeitung -c über die Problematik des heutigen deutschen Zeitungswesens unterhält sich aufs liebenswürdigste Bundespräsident Dr. Heuß mit uns — bringt soeben den Mahnruf dieses Mannes, der an ein Wort Reinhold Schneiders über „Die Stunde des frften Wortes“ anknüpft. „So lange wir der Diffamierung im politischen Leben und der Anfälligkeit zur Gleichschaltung des Denkens nicht zu begegnen vermögen, sind wir weder ein freiheitliches Volk, noch überhaupt auf guten Wegen.“

Wir gehen weiter. Dieser Tatsache gilt es also, ins Gesicht zu sehen. Uber eine der wichtigsten Lebensfragen des heutigen Deutschlands gibt es so gut wie keine öffentliche Aussprache; eine solche aber findet soeben statt über brennende innenpolitische Fragen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert Verwirklichung des verfassungsmäßig bereits zugesicherten Mitbestimmungsrechtes. In dem Augenblick, in dem wir in den fünften Stock des Hans-Boeckler-Hauses, die Gewerkschaftszentrale in Düsseldorf, hochfahren, haben die Auseinandersetzungen mit der Regierung einen Höhepurikt erreicht. Der DGB hat die Verhandlungen unterbrochen, weil sich, wie er sagt, Justizminister Dehler und führende Persönlichkeiten der Regierungspartei der FDP wie auch der DP „mit dem Schlachtermesser“ auf den Gewerkschaftsbund gestürzt hätten und diesem Hitlerismus und Diktaturgelüste vorwarfen. Als Führer des DGB sitzt uns nun Fette gegenüber: „Eine Demokratie ist erst vollkommen, wenn zur politischen Demokratie die wirtschaftliche Demokratie tritt.“ Der DGB ist, wenn auch mit einigen Vorbehalten, für den Schuman-Plan. Ernst sieht er die Gefahr einer möglichen Inflation: „Kommt der Staatshaushalt in Unordnung, dann ist es aus“ (mit eiserner Ruhe verneint später Finanzminister Fritz Schäffer diese Möglichkeit). Der DGB geht soeben daran, „eine stärkere politische Aktivität zu entfalten“, er will von den Parteien klare Stellungnahmen zum Mitbestimmungsrecht. Der DGB will keine Verstaatlichung, keinen Staatssozialismus, sondern Gemeinwirtschaft. Fette erklärt, daß Deutschland mit dem Mitbestimmungsrecht überall dort, wo es bisher durchgeführt wurde, sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Das gilt etwa für die „Arbeitsdirektoren“ im Vorstand der 24 Stahlbetriebe; nun soll dieser Arbeitsdirektor als Vertreter der Arbeiter auch für die auf fünf Betriebe entflochtene Großchemie durchgesetzt werden. Dann ergreift Hans vom Hoff, der Leiter der Abteilung Wirtschaft im DGB, das

Wort: „Kapital und Arbeit sollsn gleichermaßen verantwortlich 6ein für die Wirtschaft, für das Schicksal des Volkes.“ „Wenn die Unternehmer sagen, der DGB wolle Macht, dann sagen wir ja, denn die Wirtschaft ist Macht, und diese Macht muß heute mitgetragen und mitverantwortet werden von der Arbeiterschaft.“

Vieles andere noch sagen diese Gewerkschafter; etwas überrascht stellen wir fest: alles das findet sich bereits im Ahlener Programm, in dem 6ich vor vier Jahren die CDU grundsätzlich zur Neuordnung der Wirtschaft und zum Mitbestimmungsrecht bekannte. Um dieses Programm ist es seither völlig still geworden. Nun hat Karl Arnold, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, in seiner großen Rede in Karlsruhe, die, symptomatisch, in der deutschen Presse nur mit wenigen Sätzen erwähnt wurde, von der Partei Bekenntnis und Verwirklichung des Ahlener Programms gefordert, während er sich selbst gleichzeitig zu den Gewerkschaften als „einem der wichtigsten Faktoren für die Erhaltung des sozialen Friedens“ bekannte, unter dem Hinweis, daß auf hundert Erwerbstätige in Deutschland heute 52 Lohn- und 20 Gehaltsempfänger kommen. Sein Land Nordrhein-Westfalen stellt mit über 13 Millionen Einwohnern 27,4 Prozent der Gesamtbevölkerung des Bundes, es hat die größte Bevölkerungsdichte (mit 387 Menschen auf einen Quadratkilometer); an Rhein und Ruhr, in Eisen und Kohle und Stahl spürt es den Puls des sozialen Lebens am stärksten. In seiner Landesverfassung sind in Artikel 12 das Elternrecht auf Bekenntnisschule, in Artikel 26 das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer und in Artikel 27 die Uberführung der Großbetriebe der Grundstoffindustrie in Gemeineigentum gesetzlich verankert. Arnolds Landesregierung, bisher aus acht CDU- und zwei Zentrumminister bestehend, erwägt soeben die „Große Koalition“, das Zusammengehen mit den Sozialisten. Dieses Land ist das Zentrum der christlichen Gewerkschaftsbewegung und des fortschrittlichsten deutschen Unternehmertums, dem Wort seines Ministerpräsidenten darf also in jeder Hinsicht hohe Bedeutung zugesprochen werden.

Arnold geht davon aus, „daß sich das soziale, politische und moralische Gefüge unseres Volkes im letzten Jahr eher gelockert als verstärkt hat“.

„Die zunehmende Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung der sozialen Ordnung in Deutschland ist vor allem erkennbar an der Tatsache, daß zahlreiche Menschen das Vertrauen zu sich selbst und damit zu ihrer Umwelt, zur Gesellschaft und zum Staat verloren haben.“ Diesen Zustand möchte man „mit einer Flucht in die Leichtlebigkeit betäuben“. „Die Hoffnung, durch rein politische Mittel, etwa durch außenpolitische Erfolge, die Gefahren unserer labilen Lage zu beseitigen oder doch zeitweise beheben zu können, ist meiner Ansicht nach trügerisch.“ Im Sinne des Ahlener Programms fordert Arnold, „daß es in der Wirtschaft nicht gestattet sein soll, die Verluste zu sozialisieren, etwaige Gewinne aber zu kapitalisieren“. „In dem Ahlener Programm wurden andere und bessere Methoden der Neuordnung empfohlen als Subventionswirtschaft oder Staatskapitalismus“, nämlich: Mitbestimmungsrecht, soziale Partnerschaft. Arnold warnt, erst dann mit dem Neubau zu beginnen, „wenn sich die Spannungen ins Unerträgliche gesteigert haben. Dann könnte es für überlegte Maßnahmen zu spät sein“. Schließlich erklärt Arnold, daß er es falsch findet,

„wenn mit jenen abgewirtschafteten Generälen, die nach ihren eigenen Äußerungen noch immer nicht von nazistischer Gesinnung frei sind, über einen europäischen Wehrbeitrag Deutschlands gesprochen wird“.

Stellen wir diesem Expose noch ein beachtenswertes Dokument aus dem dem Bundeskanzler nahestehenden „Rheinischen Merkur“ zur Seite, wo soeben über »die Bekehrung der CDU“ gehandelt wird, mit dem Untertitel „Selbsterkenntnis ist der einzige Ausweg“. Hier wird „Missonierung, Bekehrung, Umdenken des Einzelnen“ in der Partei gefordert und der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß jetzt die echte Konzeption einer Kulturpolitik und eine weltanschauliche Konsolidierung eingeleitet werde, durch den Kulturausschuß der Partei.

Der Kreis schließt sich. Das politische

Schicksal Deutschlands hängt heute an seinem Kanzler, am sozialpolitischen Verständnis des massiven Blocks der Männer der großen Interessen und an den Gewerkschaften. Breite Schichten der Bevölkerung stehen in „politischer Apathie und Eigenbrötelei“ (ein Wort Arnolds) abseits, andere massieren sich langsam zu politischer Opposition, geführt (verführt?) von Männern des Gegensatzes. Das ist das politische Bild; hinter ihm, hinter alldem aber steht, wir müssen es noch einmal wiederholen, dieses große arbeitstüchtige Volk, das zu größten Leistungen befähigt ist. Schon erstehen aus dem Schutt seine Städte, und aus dem Schrott seine Fabriken und Betriebe. Möge es diesem Volk gelingen, nach und mit dem Wiederbau der Stadt auch den Staat zu bauen. Europa dürfte eines starken Trägers seiner Wiedergeburt sicher sein.

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