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Kampf um Pfründe bei der Bahn

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Wer ist schuld am derzeitigen Speisewagen-Chaos? Der Betriebsrat von Wagon Lits und die neue Betreiberfirma sowie die ÖBB beschuldigen einander.

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Wer ist schuld am derzeitigen Speisewagen-Chaos? Der Betriebsrat von Wagon Lits und die neue Betreiberfirma sowie die ÖBB beschuldigen einander.

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Am Wiener Westbahnhof werden einsteigende Fahrgäste gratis mit Sandwiches und Getränken versorgt. Im fahrenden Zug müssen die Schaffner nicht nur die Tickets der Reisenden entwerten, sondern auch den kostenlosen Reiseproviant umherschleppen. Der Grund: Nur einige wenige Speisewägen werden derzeit bewirtschaftet. Die rollenden Restaurants fahren zwar mit, doch es niemand drinnen, der die hungrigen und durstigen Gäste bewirten würde.

Auf der Westbahn soll es deshalb schon zu Handgreiflichkeiten zwischen aufgebrachten Reisegästen und dem Zugpersonal gekommen sein. Auf einen abgestellten Speisewagen wurde nach Angaben des Geschäftsführers der Firma Trainristo, Günter Frühwirth, ein Brandanschlag versucht, zwei andere seien in Paris „ van-dalisiert” worden, so daß der Betrieb bei der Bückfahrt nicht mehr möglich gewesen sei. Die Täter: unbekannt.

Die Vorgeschichte der seltsamen Vorgänge: Der Vertrag, gemäß dem die internationale Firma Wagon Lits seit 1991 die Speisewägen der ÖBB bewirtschaftet, wurde von den Bundesbahnen nicht verlängert. Stattdessen erhielt im März dieses Jahres das wesentlich kleinere österreichische Unternehmen Trainristo den Auftrag, weil es das in den Augen der ÖBB günstigere Angebot legte. Wagon Lits erhielt von der Bahn in den letzten Jahren jährlich einen Zuschuß von 130 Millionen Schilling, während Trainristo für die nächsten fünf Jahre insgesamt 125 Millionen Schilling bekommen wird und danach ohne Hilfe seitens der ÖBB auskommen soll.

Die 400 in den Speisewägen Beschäftigten von Wagon Lits wurden daraufhin mit 1. Juni gekündigt. Nach einem von den ÖBB, Wagon Lits und Trainristo ausgehandlten Sozialplan hätten 110 der gekündigten Angestellten von Trainristo übernommen werden und die ÖBB hätte freiwillige Abfertigungen in- der Höhe von 200.000 Schilling für jeden gekündigten Wagon Lits-Mitarbeiter bezahlen sollen. Ende Mai jedoch, zwei Tage bevor Trainristo seine Arbeit hätte aufnehmen sollen, ist diese Vereinbarung geplatzt. Nun fehlt der Firma Trainristo das Personal, um die Speisewägen der ÖBB zu bewirtschaften. Schuld daran sei, wie Bahn und Trainristo unisono erklären, der Betriebsrat von Wagon Lits.

Die Mitarbeiter sind verunsichert

„Die Wagon Lits-Mitarbeiter sind vom Betriebsrat derart verunsichert worden, daß sie sich nicht trauen, zu uns zu kommen”, ärgert sich Trainri-sto-Chef Frühwirth. Ihnen sei angedroht worden, die ihnen zustehende Abfertigung nicht ausbezahlt zu bekommen, erklärt er.

„Das ist Unsinn. Wir bezahlen ja die Abfertigungen gar nicht”, sagt Martin Hasenöhrl, Betriebsratsobmann von Wagon Lits. Der Grund dafür, warum der ursprünglich vereinbarte Deal geplatzt sei, seien die schlechten Bedingungen, unter denen Trainristo seine Mitarbeiter anstelle: Die Speisewagenbediensteten, die bei Wagon Lits 16.000 bis 17.000 Schilling netto pro Monat verdient hätten, müßten Lohneinbußen von bis zu fünfzig Prozent hinnehmen. Und weil Frühwirth ein „fanatischer Nichtraucher” sei, dulde er nur Angestellte, die ebenfalls den Glimmstengeln entsagen.

Überdies sei Trainristo nicht bereit, seinen Mitarbeitern eine Zusatzpension beim Pensionsinstitut für Verkehr und öffentliche Einrichtungen (PI) zu bezahlen. Das PI ist eine Körperschaft, die Privatbahnen, etwa auch Seibahnen, die Möglichkeit von zusätzlichen Pensionen für ihre Mitarbeiter eröffnet.

„Wir können keinen Druck ausüben. Aber wir empfehlen unseren Leuten, nicht unter solchen Bedingungen zu arbeiten”, umreißt Hasenöhrl die Position des Betriebsrates.

Trainristo-Chef Frühwirth bestreitet Hasenöhrls Behauptungen. „Bei uns verdient man 14.000 bis 16.000 Schilling netto im Monat, also rund zehn bis 15 Prozent weniger als bei Wagon Lits, und nicht die kolportierten 50 Prozent” Auch dürften Raucher durchaus bei Trainristo arbeiten: „In ihrer Freizeit und in den Pausen können unsere Mitarbeiter machen, was sie wollen. In der Küche allerdings herrscht Rauchverbot, das ist ja auch gesetzlich vorgeschrieben.”

„Hier geht es um Pfründe, die nicht aufgegeben werden wollen. Persönliche Interessen werden auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgespielt”, sagt Frühwirth. Er verweist dabei auf Heinz Pacovsky, der sowohl Obmann des PI ist, als auch für Privatbahnen zuständiger Gewerkschaftssekretär. Als Obmann des Pensionsinstituts fürchte er um 400 Beitragszahler (von 3.500). Diese spezifischen Interessen verfolge er auch in seiner anderen Funktion, lautet die Argumentation von Frühwirth.

Übernehmen die ÖBB die Mitarbeiter?

Pakovsky weist diesen Vorwurf zurück. „Ich bin als Gewerkschaftsvertreter auf diesen Posten (Obmann des PI, Anm. d. Red.) gewählt worden”, verteidigt er sich. Die Lösung des Schlamassels ist für den Doppelfunktionär einfach: Die Bundesbahnen sollen zumindest eine Teil der gekündigten Wagon Lits-Mitarbeiter übernehmen.

Möglicherweise können die ÖBB dazu gesetzlich gezwungen werden: Gemäß dem Arbeitsvertragsrecht-Anpassungsgesetz (AVBAG) muß bei einem „Betriebsübergang” ein Unternehmen, das die Aufgaben eines anderen Betriebs übernimmt, unter bestimmten Umständen das gesamte Personal seiner Vorgängerfirma übernehmen. Der Betriebsrat von Wagon Lits und die Gewerkschaft verfügen über juristische Gutachten, nach denen es sich bei der Ablöse von Wagon-Lits durch Trainristo um einen derartigen Betriebsübergang handelt und gingen vor Gericht. Letzten Freitag wurde die Verhandlung auf Oktober vertagt.

Eine solche Übernahme würde die Sparpläne der defizitären Bundesbahnen durchkreuzen. Das führt zu seltsamen Reaktionen: Sicherheitshalber hat auch die ÖBB die 400 Betroffenen gekündigt, obwohl sie nie Dienstnehmer der Bundesbahnen waren.

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