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Kampfruf „Montini“!

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„Wir haben einen Papst!“ riefen (rieh in Madrid nach Bekanntwerden der Wahl Msgr. Montinis freudestrahlend Leute zu, von denen man sonst

nicht behaupten könnte, daß sie sich für Kirchenangelegenheiten interessieren. In diesem als „erzkatholisch“ angesehenen Land sind keine 20 Prozent der Männer praktizierende Katholiken, und gerade unter den 80 Prozent Lauen, meist sogar radikal Antiklerikalen, waren die zu finden, die des Mailänder Erzbischofs Erhöhung zum Oberhaupt der katholischen Christenheit so feierten, als ob ihnen der erste Sohn geboren worden wäre. „Montini!“ war in diesen Tagen zu einem Kampfruf der „Linken“ geworden — und als links gilt hier alles, was nicht unbedingt regimetreu ist und nicht einem Katholizismus anhängt, der den Anforderungen der neuen Zeit garantiert unverdächtig ist.

Ein „Ratschlag“ General Francos?

Natürlich begrüßten viele die Entscheidung des Konklaves nur deshalb so begeistert, weil sie glaubten, daß Papst Paul VI. der spanischen Staatsführung liebstes Kind nicht ist. Zu solcher Vermutung war ihnen auch Anlaß gegeben: Vor Zusammentritt der Kardinäle war das Gerücht entstanden, das schließlich auch in einer römischen Zeitung seinen Niederschlag fand, daß General Franco den spanischen Purpurträgern Instruktionen gegeben habe, die Wahl Montinis zu verhindern. Der Kardinal-Primas von Spanien, Pia y Deniel, mußte daraufhin von Rom aus über eine internationale Nachrichtenagentur vor der Weltöffentlichkeit versichern, daß diese Gerüchte haltlos seien. „Wir haben in diesem Zusammenhang keinerlei Mitteilungen seitens des Generalissimus Franco oder eines spanischen Regierungsmitgliedes erhalten“, erklärte er und betonte: „Es widerspricht den Prinzipien der spanischen Regierung, sich in die Angelegenheiten der Kirche einzumischen.“ Aber was half das Dementi! Man fühlte sich dadurch in seinem Glauben nur noch bestärkt, daß der neue Papst geradezu der Gegenspieler Francos werde und sich nun alles, alles ändern müsse.

Hoffnung unter christlichen Demokraten

Hochstimmung herrscht darum in diesen Tagen in all den Kreisen, die

man als linkskatholisch und christlichdemokratisch zu bezeichnen pflegt, also in den Arbeiterorganisationen der Katholischen Aktion und unter den

i nsru-üngif, ni.'D;i'?ih “iii-nir i;, ''.fr.. Intellektuellen der „nueva ola“, der Neuen Welle, sie seien Priester oder Laien. Sie wollen wissen, daß mit dem 21. Juni eine neue Ära für Spanien begonnen habe. Msgr. Montini nannte sich den „Bischof der Arbeiter“, und so sind es hauptsächlich HOAC und

JOC — die Arbeiterbruderschaften der Katholischen Aktion mit ihrem Jugendverband — die die Zukunft für sich rosig sehen. Ihre Tätigkeit ist zwar durch das Konkordat geschützt, aber es ist hier kein Geheimnis, daß sie häufig in Konflikt mit den offiziellen Einheitssyndikaten falangistischer Prägung geraten, die Unternehmer und Arbeitnehmer zwangsweise zusammenfassen und besonders auf dem Arbeitersektor eifersüchtig über ihre Monopolstellung wachen. Die „Arbeiterbruderschaften“ betonen zwar, daß ihre Aufgabe das Apostolat sei, doch gehört dazu Aufklärung der Arbeiter über ihre Rechte, und so fragen die staatlichen Syndikatsstellen oft, wo denn das Apostolat aufhöre und die illegale gewerkschaftliche Tätigkeit beginne. Von ihrem Standpunkt aus nicht zu Unrecht, denn die maßgebliche Teilnahme von Angehörigen der HOAC an den großen Streiks des Vorjahres war allgemein bekannt und vielleicht der am meisten überraschende Aspekt der ganzen Ausstandsbewegung.

Die „Bruderschaften“ wiederum beschweren sich über die vielfachen Hindernisse, die ihnen offiziellerseits in den Weg gelegt werden, und deswegen kam es einmal zu einem geharnischten Briefwechsel zwischen dem Kardinal-Primas und Jose Solis, dem Leiter der Syndikate, der zugleich Minister der

„Nationalbewegung“ (Falange) ist. Der Gegensatz zwischen der spanischen Kirche und dem Regime, zumindest in der Frage der Arbeiterorganisationen, wurde damit vollends offenkundig, und bedürfte es noch einer Illustration dazu, so bietet sie die kürzliche fünftägige Inhaftierung des Leiters der katholischen Arbeiterjugend, der einer längst zurückliegenden Rede wegen zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Da er sich zu zahlen weigerte, wurde er schließlich in Haft gesetzt und erst entlassen, als kirchliche Stellen die Geldstrafe für ihn erlegten.

Neben den legalen „Bruderschaften“ besteht aber noch eine zahlenmäßig schwache, illegale christliche Gewerkschaft, die jetzt ihre Stunde gekommen wähnt und in der ersten Euphorie sogar an Propagandamärsche denkt. Jedoch auch andere im Untergrund bestehende Bewegungen, von den Sozialisten bis zu den Kommunisten, ja selbst der linke Flügel der Falange, der die geduldete, sozialisierende Opposition innerhalb des Regimes darstellt, hoffen auf eine Änderung der Verhältnisse. Wohl rechnet man nicht mit einer direkten Einmischung des Vatikans in spanische Angelegenheiten, aber man glaubt, daß durch die Wahl Msgr. Montinis eine neue Situation entstanden ist, in der es dem Regime schwerer als früher fallen wird, sich Forderungen der Arbeiter nach Koalitionsfreiheit, anerkanntem, nicht bloß geduldetem Streikrecht und natürlich auch höheren Löhnen und Sozialleistungen zu widersetzen.

Ein Telegramm und seine Folgen

Aus analogen Gründen glauben auch intellektuelle Kreise, situationsentsprechend in erster Linie die christlichdemokratischen, aber auch manche anderen, an eine allmähliche Lockerung des autoritären Regimes und sogar an eine Regierungsumbildung. Man stützt sich bei dieser Annahme auf einen Vorfall vom letzten Herbst: Damals fand ein Prozeß gegen Gegner des Regimes, darunter einen Sprengstoffattentäter, statt, wobei der Staatsanwalt vor zwei Instanzen die Todesstrafe forderte. Msgr. Montini sandte darauf ein Telegramm an General Franco, in dem ex ihn bat, Menschenleben zu schonen. Der spanische Außenminister Castiella aber teilte ihm im Auftrag des Staatschefs mit, daß für die Intervention kein Grund bestehe, da kein Todesurteil gefällt wurde. Tatsächlich sprach der Gerichtshof in erster und zweiter Instanz

nur Kerkerstrafen aus. In hiesigen christlich-demokratischen Kreisen aber meinte man, daß nur das rechtzeitige Vorgehen des Mailänder Erzbischofs das Äußerste verhütet habe.

Da Castiella der Protagonist in der Auseinandersetzung Montini—Madrid war, glaubt man nun hier, daß er nicht mehr lange auf seinem Posten bleiben und seine Abberufung mit einem allgemeinen Kabinettsrevirement verbunden sein werde. Aber General Franco liebt keine überstürzten JEntschlüsse und hat sich wohl auch in den 25 Jahren seiner Herrschaft in schwierigeren Situationen befunden, als sie ein möglicher Stimmungswechsel des Vatikans gegenüber Madrid hervorrufen könnte. Seine Selbstsicherheit ist so leicht nicht zu erschüttern, und er bringt auch schon den Beweis dafür: Castiella führte die Delegation bei der Papstkrönung anl

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