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Kanadas Kennedy

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Als Justizminister Pierre Elliott Trudeau (47) kürzlich bed der Tagung der Liberalen dn Toronto eintraf, meinte ein politischer Kommentator, kein anderes Ereignis habe in der Metropole am Ontariosee eine ähnliche politische Erregung kreiert, seit der Rebell Mackenzie mit seinen Anhängern (Anno 1837) durch die Straßen Torontos marschierte

Die Karriere des vermögenden, von Frauen umschwärmten, sportgestählten UniversitätsprofesBors, den Neufundlands Premier Smallwood als „geistvollsten Mann im Parlament“ bezeichnete, ist in der politischen Arena Kanadas ohne Beispiel. Seit erst drei Jahren Abgeordneter und seit kaum einem Jahr Minister, hat der Montrealer jenes politische „Charisma“, das Präsident Kennedy besaß; die Gabe, mit- zureißen und zu begeistern. Justiz- minister Trudeaus später Entschluß, sich im April um die Position des Führers der liberalen Regierungspartei zu bewerben —- eine Kandidatur, die den Sieger automatisch als Nachfolger Lester B. Pearsons zum Regierungschef des zweitgrößten Landes der Erde macht —, veran- laßte Peter C. Newman, Kanadas maßgebendstes politisches „Orakel“, zu der Feststellung: „Trudeaus Kandidatur ist interessanter, als die aller anderen zusammengenommen!“

Ein Millionär kandidiert

Der Junggeselle aus Montreal, der einer vermögenden Familie entstammt — er gilt als der einzige Millionär unter den Kandidaten —, studierte in Montreal, Harvard, London und Paris. Trudeau ist weit gereist, war 1960 in Rotchina und wurde in Jerusalem von Arabern als Israeli-Spion verhaftet. Ehe er sich einen Mercedes 300 SL zulegte, war er ein enthusiastischer Motorradfahrer. Trudeau gilt als Cracksportler — er besitzt den „Braunen Gürtel“ der Judorneister und ist ein ausgezeichneter Skifahrer und trefflicher Schwimmer. Vier Jahre wirkte er als Professor (Constitutional law) an der Universität Montreal, ehe er sich der Politik zuwandte. Wie es dazu kam, ist ungewöhnlich genug.

1965 hielten die Liberalen Ottawas nach profilierten Quebecern Ausschau, um die Regierung und die Partei zu stärken — als der Separatismus in la Belle Province Terrain zu gewinnen schien. Damals zogen der Gewerkschaftsführer Jean Mar- chand (nun Einwanderungsminister), Pierre Elliot Trudeau (nun Justizminister) und der Publizist Gerard Pelletier als Abgeordnete in das Parlament ein.

Als Justizminister trat Trudeau für die Entstaubung veralteter Gesetze ein, schlug Reformen vor und erfreute sich bald eines beneidenswerten Prestiges. Heute gilt er als jener Kandidat, der die beste Chance hat, die Nachfolge von Ministerpräsident Pearson anzutreten. Von den 2475 Delegierten, die am 6. April ihre Stimme für den neuen Parteiführer abgeben werden, repräsentieren 626 Quebec. Trudeau sollte die überwältigende Mehrzahl ihrer Stimmen erhalten, doch auch in der „Kernprovinz“ Ontario und in Neu-Braunschweig ist der Justizminister sehr populär. Außenminister Paul Martin (64) aus Windsor und Finanzminister Mitchell Sharp (56) aus Toronto gelten als Trudeaus schärfste Opponenten.

Bleiben die Liberalen ihrer achtzigjährigen Tradition treu, in der Parteiführung einen Anglokanadier (Pearson) von einen Francokanadier aus Quebec ablösen zu lassen, würde dies Trudeaus Sieg sichern. Sein persönlicher Magnetismus zeigte sich auch bei der Tagung der Partei in Toronto. Trudeau war hier von enthusiastischen Anhängern umlagert und wurde immer wieder um sein Autogramm gebeten. Eine junge Dame, die hinter mir stand, flüsterte: „So etwas gab es bei Politikern nur, als Ronald Regan der Gouverneur von Kalifornien wurde “

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