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Kanadas neuer Premier

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Ehe Pierre Elliott Trudeau (46) zum Führer der liberalen Regierungspartei gewählt wurde, gestand er, daß der Politiker, den er am meisten bewundere, Machiavelli sei. Noch im Monat April hatte Trudeau, der Sohn eines Franko-Kanadiers und einer Schottin, das Amt des Justizministers aufgegeben, um als Nachfolger des Friedensnobedpreis- trägers Lester Bowles Pearson (71) der Regierungschef des zweitgrößten Landes der Erde zu werden.

Die außenpolitischen Ansichten des dynamischen Montrealers, den man bereits als „Kanadas Kennedy” bezeichnet, weichen von jenen seines Vorgängers ab. Er behauptet: Nach dem Krieg sei Kanada im militärischen Sinn eine der großen Nationen gewesen und habe in Europa „eine wichtige Stimme gehabt”. Heute, da Europa erstarkt sei, solle Kanada nicht mehr versuchen, dort eine große Rolle zu spielen; er ziehe eine Konzentrierung auf die Verteidigung des amerikanischen Kontinents vor. Trudeau wies auch darauf hin, „daß Kanadier und Schweden nicht für immer die Polizisten der Welt sein sollten”.

Karriere ohnegleichen

Pierre Elliott Trudeaus politische Karriere ist in Kanada ohnegleichen. Obwohl er erst seit April 1967 dem Kabinett und bloß drei Jahre der Partei angehörte, wählten ihn die Liberalen zu ihrem Führer und damit zum Premierminister Kanadas. Jack Scott, Reporter des Toronto Daily Star, Kanadas größter Zeitung, berichtete, er habe bei dem Parteitag in Ottawa den Eindruck gehabt, Trudeau sei hier unter den Politikern so fehl am Ort wie etwa Marcello Mastroianni in einem Jerry-Lewis- Film; anderseits habe der Sechsundvierzigjährige — Universitätsprofessor, Weltreisender, Sportenthusiast. (Judo, Schwimmen, Tauchen, Boxen, Segeln) und Junggeselle — einen ähnlichen „appeal” wie Yves Montand und Jean-Paul Belmondo …

Seit dem Jahre 1888 wechseln Franko-Kanadier und Anglo-Kana- d’ier als Führer der Liberalen Partei ab. Bei dem Parteitag in Ottawas Civil Centre war Pierre Elliott Trudeau der einzige franko-kanaddsdhe Kandidat, doch die Tatsache, daß er als „Linksliberaler” galt, gefährdete diese seit acht Jahrzehnten bestehende Tradition. Andere Kandidaten wiesen darauf hin, daß es wegen seiner Zusammenstöße mit Quebecs Premier Daniel Johnson nicht weise sei, Trudeau zu wählen. Doch Trudeaus „charisma”, seine Gabe, Anglo- und Franko-Kanadier zu begeistern, Heß die Bedenken überwinden. So mitreißend warseine Rednergabe, daß für seine überfüllten Versammlungen sogar eine Eintrittsgebühr eingehoben werden konnte, was um so bemerkenswerter war, weil Kanadier im allgemeinen politischen Versammlungen auswei-

Der richtige Moment

In einem Zeitpunkt, da Separatisten versuchen, Quebec von Kanada abzusplittem, kommt der Wahl des Quebecers Trudeau als Regierungschef des zweitgrößten Landes der Erde besondere Bedeutung zu. Der bekannte Schriftsteller Roger Lemelin vertritt die Meinung, daß Separatismus den Quebecern Faschismus und wirtschaftlichen Verfall bringen würde. „Trudeau erscheint im richtigen Augenblick. Ein starkes Kanada ist mehr denn je ein Bollwerk für unsere Rettung.”

Im entscheidenden vierten Wahlgang wird JustLzminister Pierre Elliott Trudeau mit 1203 Stimmen chen wie der Wolf einem giftigen Köder…

Ehe sieh Trudeau der Liberalen Partei zuwandte, hatte er starke Sympathien für die sozialistische NDP, was Außenminister Paul Martin (64), einen anderen Kandidaten für die Nachfolge Pearsons, zu der Bemerkung veranlaßte: „Es ist undenkbar, daß wir die Führung unserer Partei einem Mann anvertrauen, der ihr nicht seit geraumer Zeit angehört!” Während Landwirtschaftsminister J. J. Greene, ein anderer Kandidat, bei dem Parteitag erklärte, „daß Kanadas Sozialisten noch einen Klassenkampf ausfechten, der seit langem gewonnen werde, und den Kopf in den Wolken und die Füße im 19. Jahrhundert haben”, unterstützte Trudeau noch 1963 in Mount Royal den sozialistischen Kandidaten. Zwei Jahre später gewann er den gleichen Wahlkreis für die Liberalen. Damals sagte er, er sei Politiker geworden, um etwas in jener Spare zu tun, die er 15 Jahre kritisiert habe. Reüssiere er, könnten ihn die anderen kritisieren… zum Parteiführer — und damit zu Kanadas nächstem Regierungschef — gewählt. Sein stärkster Opponent, Handelsminister Robert Winters, Deutschkanadier aus Lunenburg (Neuschottland), erhält 954 Stimmen. Außenminister Paul Martin erlebt die größte Enttäuschung seines Lebens. Er erhält bei dem ersten Ballot so wenige Stimmen, daß er seine Kandidatur zurückzieht. Schon vermutet man, daß er nicht lange Extemal-Affairs-Minister bleiben werde. Bereits 1948, als Louis St.-Lau- rent siegte, und 1958, als die Wahl auf Pearson fiel, hatte sich Paul Martin um die Parteiführung beworben.

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