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...kann nicht gewonnen werden

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Keine verstärkten militärischen Machtmittel Amerikas können den Schaden guitmachen, den ihr Einsatz In Vietnam politisch anrichtet. Sorensen erinnert den Leser mit leicht erkenntlicher Absicht an einen Ausspruch des, Präsidenten Kennedy, wonach der Vietaamkrieg letzten Endes der Krieg der Südvietnamesen sei. „Sie allein können ihn gewinnen oder werden ihn verlieren.“ Und Sorensen fährt fort: „Aber indem wir mehr und mehr Truppen eingesetzt und dabei Südvdietnams ökonomiische Stabilität wirksamer zerstört haben als es den Kommuni-

sten möglich war, ist das unser Krieg geworden.“ Wir aber können die Südvietnamesen nicht für uns gewinnen, „wenn wir ihre Dörfer dem Erdboden gleichmachen, ihre Ernten verbrennen, die Kriegsführung in unsere Hand nehmen und den Krieg verlängern“; ferner, wenn wir, statt uns mit dem Volk und den besorgten Intellektuellen zu verbinden, mit der privilegierten Minderhe-'t, verankert im Militär und der Regierung, zusammenarbeiten. „Die gegenwärtige Militärregierung, mit der wir uns idenrtlifiizieren — jetzt gewählt, aber weit davon entfernt, allgemein anerkannt zu sein —, scheint unfähig, das Problem einer ernsthaften Landreform und ernsthafter Friedensverhandlungen in Angriff zu nehmen.“

Den Anwälten einer noch härteren Kriegsführung sagt Sorensen, daß dieser Krieg, in dem traditionellen Sinne des Wortes, nicht „gewonnen“ werden kann. „Ich lese alle Voraussagen, daß die nächste Esfcalattonsstufe den Sieg bringen wird, aber ich habe diese Voraussagen schon vor drei, vier und fünf Jahren gehört. Ich lese die rosigen Statistiken über die vielen getöteten und gefangenen Kommunisten, und ihre vielen Deserteure, aber die Zahl

der Kommunisten nimmt ständig zu. Ich lese alle Berichte über den Erfolg unserer Bombardierungen im Norden, aber die Infiltratton in den Süden geht weiter.“

Kein Wunder, sagt Sorensen, daß ein amerikanischer militärischer Führer die Ansicht geäußert habe, 2,000.000 US-Soldaten seien nötig, um die Vietkong zu besiegen. „Aber wenn die Truppenbestände der Gegenseite durch Rekrutierung und Infiltration trotz Bombardierung und elektronischer Mauer ständig zunehmen, dann werden auch 2,000.000 noch nicht genug sein. Was aber würde ein amerikanischer Truppenednsate von 2,000.000 für unsere Truppenstärke zu Hause und in der übrigen Welt bedeuten?“

Kompromißfriede durch Verhandlungen

Da ein Friede durch einen „altmodischen“ Sieg unmöglich ist, und, selbst wenn er möglich wäre, eine zeitlich unbegrenzte Besetzung des Landes durch amerikanische Truppen erfordern würde, zieht Sorensen den Schluß, daß ein Kompromißfriede durch Verhandlungen gesucht werden müsse. Was sind die Voraussetzungen für ernsthafte Friedensverhandlungen, und was kann die Basis eines Kompromißfriedens sein? Die erste Voraussetzung ist ein Ende der Bombardierungen des Nordens. „Wir haben gelernt, daß diese Bombardierungen keine Verhandlungen erzwingen können, sondern sie wahrscheinlich verhindern ... Der Augenblick ist gekommen, wenn das Bombardieren unbegrenzt und bedingungslos eingestellt werden muß.“ Wir können von den Nordvietnamesen auch nicht verlangen, daß sie als Gegenleistung die Sendung von Truppen und MateriaJ nach dem Süden einstellen; „das würde für sie bedeuten, den Krieg einzustellen, während wir ihn fortsetzen“.

Sorensen hat offensichtlich wenig Vertrauen in Johnsons Versicherungen, daß er einen Frieden auf Verhandlungswege erstrebe. Er sagt, daß Hanoi wiederholt Zeichen von Verhandlungsbereitschaft gegeben hat, und er verlangt, daß in Zukunft vermieden wird, Gelegenheiten für Verhandlungen zu ignorieren oder gar zu leugnen und auf sie mit „Eskalation“ zu antworten. „Wir haben meines Wiesens keinen konkreten, beader-

seitig annehmbaren Verhandlungsplan ausgearbeitet — zum Unterschied von schönklingenden aber vagen prinzipiellen Bereitschafts-erklärungen —, und wir haben einen solchen Plan Hanoi nicht unterbrei-

tet. öffentlich zumfadest haben wir keine Konzessionen und Kompromisse offeriert, die als militärische und praktische Bedingungen für eine realistische Lösung angesehen werden könnten; was wir stattdessen in der Hegel zu verstehen gegeben haben ist unsere Bereitschaft, über die Unterwerfung der Vietkong zu verhandeln.“ Verhandlungen, fügt Sorensen hinzu, müssen überdies mit allen am Kampf Beteiligten geführt werden, „einschließlich den Vietkong“.

Sorensen glaubt, daß die bevorstehenden Feiertage eine Gelegenheit für einen Waffenstillstand bie-

ten, der möglicherweise unibegrenzt verlängert werden könnte. Leider sprechen alle Anzeichen dagegen, daß Johnson diese Erwartung erfüllen wird. Nur wenn die Antükiriegs-stimmung unter den Intellektuellen,

Studenten und nachdenkenden Politikern breite Massen ergreift, wird Johnson einlenken.

Eine Warnung an ihn, daß ein solcher Umschwung nicht ausgeschlossen ist, lieferte eine kürzlich ; im nördlichen New Jersey von einer Lokalzeitung durchgeführte Meinungsbefragung. In dieser Erhebung sprachen sich 57 Prozent der Befragten gegen eine Weiterführung der gegenwärtigen Viefatampolitifc aus; 58,4 Prozent verlangten eine Bombardierungspause, 53 Prozent äußerten die Befürchtung, daß die USA auf einen Krieg mit China zusteuere. Ein noch günstigeres Vorzeichen eines möglichen Meinungsumschwunges waren die 68,8 Prozent, die sagten daß die Kriegskosten dringend notwendige Reformen im eigenen Lande verhinderten. Nicht weniger bedeutungsvoll ist, daß sich 66,8 Prozent gegen eine Wiederholung des Vietnamabenteuers in einem anderen Land (Laos, Thailand, Kongo) aussprachen. Nur 20,9 Prozent bekannten sich offen zur Kriegspartei (hawks) gegen 35,3 Prozent, die eine „mäßigere“ Politik befürworten, und 35,8 Prozent, die Anhänger eines Kompromißfriedens sind (doves).

Niemand kann heute sagen, ob dies die ersten Wellenschläge einer steigenden OpposiitJionsflut sind, der Johnson früher oder später weichen wird. Sicher aber ist, daß die Zahl der Amerikaner, die den Krieg als eine materielle und moralische Last empfinden und ihn politisch verurteilen, seit dem Sommer 1967 beträchtlich zugenommen hat. Di Mehrheit der Bevölkerung würde wahrscheinlich bereits heute einem Präsidenten folgen, der bereit wäre, die Autorität seines Amtes mutig zugunsten einer Kompromißlösung des Vietnamkrieges einzusetzen.

Solange es jedoch in Washington an einer solchen Führung fehlt, bleiben die von Sorensen beschriebenen Gefahren, einschließlich die eines vernichtenden Atomkrieges, unvermindert bestehen.

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