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Kann und soll der Papst zurücktreten?

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Es liegen 700 Jahre dazwischen; damals wie auch heute ein Thema: der Petrusdienst und die Qualifikation der Kandidaten. 1294 wählten die Kardinale keinen aus ihren Reihen, sondern einen frommen, ja heiligmäßigen Mönch, der im Lande nicht nur bekannt war, sondern sogar hoch geschätzt wurde. Er nahm den Namen Coe- lestin (V.) an, resignierte allerdings schon nach fünf qualvollen Monaten.

Und jetzt sah ich zum ersten Mal , die Originalurkunde, in der der gewählte Papst, ein schlichter Mönch, ultimativ aufgefordert wurde, nach Rom zu kommen und sein Amt anzutreten. Punktum.

Und ich sah dieser Tage noch ein weiteres Originaldokument: das Schreiben der Briten an den Papst, die erste Ehe des Königs Heinrich VIII, für ungültig zu erklären, damit er erneut heiraten könne. Wir wissen heute: Der Papst sprach ein drittes Nein. Der Bruch mit Rom war perfekt, die Geschichte der „anglikanischen Gemeinschaft“ begann.

Unter den Unterzeichnern entdeckte ich Thomas Morus, den späteren Märtyrer der katholischen Kirche, sowie die Unterschriften samt Siegel mehrerer Bischöfe.

Und heute: Die große Krise in der anglikanischen Kirche, der Konflikt um die Weihe von Frauen zu Priestern, wenig später das päpstliche Nein, an das auch seine Nachfolger gebunden sein sollen, und schließlich die Krise, ja der absehbare Untergang der britischen Krone mit all ihren ungustiösen Enthüllungen und gegenseitigen Beschuldigungen. Und der weltweite Konflikt in der katholischen Kirche, wie man mit den geschiedenen Wiederverheirateten umzugehen habe.

Die Probleme von damals sind die Probleme von heute. Rom einmal ganz anders gesehen. Rom jenseits der nie versiegenden Pilger- und Touristenströme. Das vatikanische Geheimarchiv ist kein Ziel Neugieriger, sondern Quelle ausgewiesener Wissenschaften und qualifizierter Publizisten. 100 Kilometer Regale, ein, ja das Weltarchiv, mit seiner Ar- chivsperre 1922; sehnsüchtig erwartet die Ausweitung um ein weiteres Pontifikat, jenes von Pius XL, der 1939 verstarb.

Warum hat mich die eingangs erwähnte Urkunde von 1294, somit exakt 700 Jahre alt, so interessiert? Der Grund: Der gegenwärtige Papst, an der Schwelle zum 75. Lebensjahr, erscheint nicht wenigen krank. „Er lebt noch“, soll Johannes Paul II. vor kurzem auf die Hochrufe auf dem Petersplatz geantwortet haben. Das alles ist Grund genug für Kommentare auf allen Kontinenten und vor dem päpstlichen Haus die Fragen zu formulieren: Wie krank ist der Papst? Kann und soll er in einem speziellen Fall zurücktreten? Ist das Pontifikat schon an einem möglichen Endpunkt angelangt?

Vor 700 Jahren zog sich ein überforderter Papst zurück. 700 Jahre später muß sich ein Papst — und sein Team - viele Fragen gefallen lassen. Dies in einem Zeitalter der totalen Vernetzung und Kommunikation. Und schon werden Namen genannt: Carlo Martini, der gewandte, vielsprachige Kardinal aus dem Jesuitenorden auf dem Stuhl des hl. Karl Borromäus, einer zentralen Figur der planmäßigen Verwirklichung des Konzils von Trient. Oder der aus Afrika vertriebene schwarze Kardinal Arinze, der dieser Tage regelrecht explodierte, als ihn ein österreichischer Journalist fragte, ob er nächstens zum Papst gewählt würde.

1294 — 1994: Perspektiven im Schatten von St. Peter, längst nicht mehr das Zentrum, obwohl man sich dort noch immer gern so fühlt und dies auch zum Ausdruck bringt. Die Revolution der Veränderung, mit einem Schwerpunkt von etwa Lateinamerika, ist die große Herausforderung der Stunde und auch die Frage, ob der nächste oder der übernächste Papst nicht mehr weißer Hautfarbe sein wird.

Petrus ist ewig und nichts scheint einfacher, als einen neuen Papst zu wählen. Nichts fällt schwerer, als angesichts des Anforderungsprofils am Vorabend des 21. Jahrhunderts der bewegten, blutigen Geschichte der Kirche Vorhersagen zu machen. Und man darf sich fragen: Wann beginnt das beschworene Zeitalter des Heiligen Geistes? Rom in der Vorweihnachtszeit 1994 - an einem Wendepunkt oder in einer bitteren Phase eines umstrittenen Pontifikats?

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