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Kann Vietnam Frieden finden?

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Die verzweifelten Bemühungen der Amerikaner, die Nordvietnamesen an den Verhandlungstisch zu zerren, stoßen infolge ihres mangelnden Interesses an früheren Friedensfühlem vielerorts auf Zweifel. Auch betrachtet man eigentlich Friedensfühler als zarte Pflänzchen, die den rauhen Wind der Öffentlichkeit nicht überleben. Man wundert sich daher über den originellen Stil Präsident Johnsons, der bisherigen diplomatischen Gepflogenheiten zuwiderläuft.

Trotzdem darf man glauben, daß der Präsident Frieden wünscht und in Kauf nimmt, daß dieser nur die Folge eines Dialoges sein kann. Allerdings bleibt damit noch die Frage unbeantwortet, ob ein Politiker, der seine Popularitätskurve ebenso intensiv verfolgt wie ein Schwerkranker seine Temperaturschwankungen, schließlich die Risiken akzeptieren wird, die einem Kompromißfrieden unvermeidlich anhaften müssen.

Wie könnte so ein Friede überhaupt beschaffen sein? Darüber hatte Ihr Korrespondent neulich eine aufschlußreiche Unterhaltung mit Joseph Buttinger, dem Verfasser der ersten und bisher einzigen westlichen Geschichte Vietnams. Französische und englische Historiker befaßten sich nur mit dem von den Franzosen künstlich geschaffenen Indochina, also der Vereinigung Vietnams, Kambodschas und Laos.

Es sei gleich erwähnt, daß „The Smaller Dragon” — so heißt das Buch — gelesen werden muß, wenn man über Vietnam ausreichend informiert sein will. Es macht den un bändigen Unabhängigkeitswillen dieses erstaunlichen Volkes verständlich, der sich früher genauso gegen die Chinesen wie heute gegen die Amerikaner richtete. Vor allem erkennen wir, daß Vietnam das traurigste Kapitel in der Kolonialgeschichte des Westens ist. Eine deutsche Ausgabe liegt leider noch nicht vor.

Seitdem Buttinger 1954 als Leiter eines Hilfswerkes in Saigon war, spielte er als Vorsitzender der amerikanischen Freunde Vietnams eine wichtige Rolle. Er befürwortete Diems Berufung an die Spitze Südvietnams und setzte sich für die Nichtabhaltung der in den Genfer Vereinbarungen von 1954 vorgesehenen Wahlen ab. Heute gibt er freimütig zu, daß er sich in beiden Punkten geirrt habe.

Für Österreicher ist es interessant, daß Buttinger ein ehemaliger Landsmann ist. Er war ein Führer der Sozialdemokraten, der nach dem Anschluß flüchtete. Im Exil wandte er sich mehr und mehr von der dogmatischen marxistischen Philosophie ab. Sein Buch „Am Beispiel Österreichs” behandelt seine Rolle in der österreichischen Sozialdemokratie.

Buttinger ist zuversichtlich, daß die Nord Vietnamesen die Gefahr einer völligen Zerstörung ihres Landes, wie sie sich bei einer weiteren intensiveren Steigerung der amerikanischen Angriffe ergäbe, nicht riskieren, sondern zu einem Kompromißfrieden bereit wären. Das Kompromiß könnte so aussehen, daß sie eine amerikanische Präsenz in Südvietnam auf Jahre hinaus akzeptierten, wogegen die Amerikaner der Nationalen Befreiungsfront eine Beteiligung an der südvietnamesischen Regierung einräumten. Letzteres haben die Amerikaner bekanntlich bisher als unannehmbar bezeichnet.

Da nun die Nationale Befreiungsfront, der politische Arm der Vietminh, wahrscheinlich den größeren Teil der Bevölkerung repräsentiert, könnte Hanoi kaum auf die Forderung ihrer Regierungsbeteiliman antikommunistische Zivilisten mit dem Zielbewußtsein und der Entschlossenheit der Front finden? Vietminh, Franzosen und Japaner haben in einer unheiligen Allianz alle antikommunistischen nationalistischen Kräfte zerstört. Daher fand man 1954 niemand anderen als Diem, der seinerseits wieder die Reste der nichtkommunistischen Opposition ausmerzte.

Buttinger sagt selbst, daß man damals gehofft hatte, Diem werde einen demokratischen Musterstaat schaffen, dessen Bevölkerung gegenüber dem Kommunismus immun werde. Man erkannte bald, daß die in den Genfer Vereinbarungen vorgesehenen zwei Jahre bis zur Abhaltung der Wahlen selbst dann nicht ausgereicht hätten, wenn Diem der politische Revolutionär und Soziąl- reformer gewesen wäre, für den man ihn irrtümlicherweise hielt. Wie viele Jahre würden heute zur Durchführung der Revolution benötigt, der sogar Luftmarschall Ky Lippendienst bezeugt hat? Alle diese Jahre aber müßten die Amerikaner im Lande bleiben.

Buttinger glaubt selbst nicht, daß Hanoi mehr als fünf Jahre zugestehen würde. In Ungarn, der Tschechoslowakei und anderen Ländern haben wir gesehen, daß, sobald einige Kommunisten in die Regierung aufgenommen wurden, die träge, einfallslose bürgerliche Majorität kein Gegengewicht bildete. In Südvietnam wären die Gewichte noch ungleichmäßiger verteilt. Man kann dagegen einwenden, daß in den obengenannten Ländern die Kommunisten nur mit Hilfe eines brutalen Polizeiterrors die ganze Macht erlangten. In Südvietnam würde man ihnen erstens die Polizei nicht ausliefern, zweitens würde die amerikanische Präsenz einen Staatsstreich verhindern. Ganz abgesehen davon, daß die Kommunisten in Südvietnam einen viel stärkeren Rückhalt im Volke haben, würde den Amerikanern die Rolle eines unparteiischen Schiedsrichters, selbst beim besten Willen ihrerseits, nicht abgenommen. UNO-Kontingente könnten die Hoffnung gegenüberstellen, daß die Sowjets Hanoi zu einer versöhnlicheren Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten bewegen würden. Mit anderen Worten: Die ab 1945 versäumte Möglichkeit, aus Hotschi- minh einen asiatischen Tito zu machen, böte sich nochmals an. In diesem Falle aber wäre es noch schwieriger, Hos Anspruch auf ganz Vietnam zu bestreiten. Könnte man darnach die amerikanische Öffentlichkeit überzeugen, daß, trotz des Verlustes von Südvietnam, mehr gewonnen als verloren wurde? Außerdem ist Ho edn alter Mann. Man kann aber nicht wissen, ob seine Nachfolger einen neutralistischen Kurs fortsetzen.

Präsident Johnson muß sich außerdem den Nachteil ausrechnen, daß er den starken Auftrieb, den ihm die Rolle des Friedensstifters im amerikanischen Volk gäbe, in den beinahe drei Jahren bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen zum größten Teil wieder einbüßte. Buttinger sieht zwar eine Verhandlungsdauer von zwei bis drei Jahren. Vielleicht zieht er dabei zwei Faktoren nicht in seine Rechnung edn? Der eine, daß die ungeduldigen Amerikaner den Präsidenten verdächtigten, er zögere die Verhandlung mit Rücksicht auf die Wahlen hinaus. Der andere, daß schon die Verhandlungen an sich dem waidwunden Regime in Saigon den Gnadenstoß gäben, so daß Hanoi noch vor der Konkretisierung seiner eigenen Zugeständnisse den Hauptteil seiner Forderungen erreicht hätte.

Der Präsident muß also hervorstechende Nachteile gegen hypothetische Vorteile abwägen. Hanoi, das 1954 um die Früchte 9eines Sieges betrogen wurde, woran allerdings sowohl die Russen als auch die Chinesen Anteil hatten, wird, mißtrauisch und selbstüberheblich, die Entscheidung nicht leicht machen. Zweifellos wird Mr. Johnson von der Erkenntnis beeinflußt werden, daß eine Fortdauer des Krieges den Bau der großen Gesellschaft sehr verlangsamen wird, was wiederum andere Wählerschichten gegen ihn auf reicht sein werde, an dem Chin direkt in Vietnam eingreift, ein- greifen muß, um nicht dieselbe Politik einzuschlagen, wie es die Sowjetunion tut; dafür ist aber China noch nicht reif. Der Eigengesetzlichkeit des Kampfes, der sich zu verselbständigen droht, steht der Zwang gegenüber, einer solchen Entwicklung gerade noch rechtzeitig vorzubeugen. Der einzusehenden Notwendigkeit, die Schwerpunkte der amerikanischen Vietnampolitik zu verlagern, isit die Schwierigkeit in jeder wirklichen Demokratie, eine Umkehr einer einmal eingeschlagenen und von der öffentlichen Meinung gedeckten Politik vorzunehmen, entgegengesetzt. In diesem Gewirr von Notwendigkeiten und Hindernissen, von kaum noch zu bändigenden Mechanismen, muß der Präsident der USA einen Weg finden, der der Welt den Frieden erhält, ohne das Sicherheitsbedürfnis der USA und ihrer Verbündeten zu vernachlässigen. Ist dieser Weg überhaupt noch gangbar, darf man angesichts der abweisenden Reaktionen Hanois auf die amerikanischen Bemühungen noch hoffen? Ist nicht ein zweites Korea das mindeste, was der Welt und dem gepeinigten Volk Vietnams droht? Sind nicht der Präsident der USA und noch mehr Hanoi Gefangene, deren tatsächliche Möglichkeit, zu entscheiden, immer geringer wird? Fast könnte man alle Hoffnung verlieren.

Ein Quentchen Optimismus ist trotzdem statthaft. Indirekt und ohne es zu wollen wird China einen mäßigenden Einfluß auf beide Parteien ausüben. Auf die Nordvietnamesen, weil es, trotz aller Prahlerei, nicht durch eine massive Intervention den Amerikanern den Grund für eine Zerstörung seiner Atomanlagen liefern wird; auf die Amerikaner, weil diese nach der militärischen Zerstörung Nordvietnams dort auf Jahrzehnte Truppen unterhalten müßten, damit die Chinesen nicht in das Vakuum vorstoßen. Der Guerillakrieg würde damit nichts von seiner Intensität verlieren, sondern sich nur vom Süden in den Norden verlagern.

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