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Kardinal-Primas Wyszynski im Zentrum der kommunistischen Angriffe

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Mäßigung hat den klugen Primas Wyszyn-ski nicht davor bewahrt, daß er schon, seitdem er die Nachfolge Kardinals Hlonds angetreten hatte — 1948 —, Zielscheibe heftiger kommunistischer Angriffe war. Der Kirchenfürst hat sich nicht zum Konsistorium nach Rom begeben, um dort den ihm verliehenen Kardinalshut zu empfangen, und er wollte damit weise vermeiden, entweder an der Heimkehr verhindert oder nach der Rückkehr wegen angeblicher Kontakte mit dem amerikanischen Feind und der polnischen Emigration als Verräter verhaftet zu werden. Ein Kollektivhirtenbrief der Bischöfe, den der „Tygodnik Powszechny“ in seiner Nummer vom 8. März — faktisch am Todestag Stalins, dem 5. März — veröffentlichte, wurde zum Vorwand, daß erstens dieses letzte Sprachrohr der Kirche, das schon vorher während mehrerer Wochen suspendiert war, eingestellt wurde; daß zweitens die linkskatholischen Laien, ein Teil des niederen Klerus und selbst einige auf weltlichen Druck hin bestellte Diözesanoberhäupter sich öffentlich gegen die Hierarchie und gegen Kardinal Wyszynski wandten.

Am 18. Juni fand eine Versammlung statt, an der unter anderen Professoren der Lub-liner Katholischen Universität, der Dekan der Theologischen Fakultät der Krakauer Universität und der Prodekan der Warschauer Fakultät, ferner der berühmte Linguist Professor Lehr-Splawinski, aber auch die Generalvikare von Krakau und Kattowitz, der Domdekan von Breslau beiwohnten. Hier wurde ein Referat des Geistlichen Radosz begrüßt und zur Grundlage einer Resolution gewählt, in der es heißt: „Angesichts der jüngst beobachteten Tatsachen, die einen unrichtigen sozialpolitischen Standpunkt einiger Personen bezeugen, die in Polen hohe kirchliche Würden bekleiden, einer Haltung, die

der Sache der Verständigung zwischen Kirche und Staat in Volks-Polen ernstlich schaden könnte, beschließen die Versammelten“ erstens das Referat Radosz' als Basis der künftigen ideologischen Linie des fortschrittlichen Katholizismus anzuerkennen, zweitens darüber in gesonderten Tagungen der Woj-wodschaften zu berichten, drittens „die Möglichkeit aktiver Betätigung an der Arbeit zum Heil der Verständigung zwischen Kirche und Staat für d i e Geistlichen und Laien zu schaffen, die bisher in keine Organisation eingeordnet waren“. Was so viel heißt, wie daß die Massen des Klerus und der Gläubigen in eine ähnliche „Actio Catholica“ gepreßt werden sollen, wie die berüchtigte Organisation Plojhars in der Tschechoslowakei.

Die Warnung Wyszynskis und der Bischöfe, die den Auftakt zur jetzigen Kampagne geboten hatte, wird also schnell gerechtfertigt. Das allgemeine mildere Klima hindert nicht den verschärften Zustand der Spannung auf kirchenpolitischern Gebiet, der in Polen zu bemerken ist. Gleich dem Herausgeber des vor mehreren. Jahren verbotenen Warschauer katholischen Wochenblatts sitzt nun auch der des „Tygodnik Powszechny“ hinter schwedischen Gardinen. Einige mißliebige Priester teilen sein Los. Anderseits verdoppeln die Sympathisanten ihren Eifer. Knapp vor der obenerwähnten Tagung hat die Ueber-reichung katholischer Literaturpreise Anlaß gegeben, in streitbaren Reden die „reaktionäre“ katholische Dichtung zu verdammen und für ein fortschrittliches Schrifttum im Sinne des bekannten „sozialistischen Realismus“ einzutreten. Einst als katholisch geltende Historiker huldigen in ihren Arbeiten dem dialektischen Materialismus als der einzigen wissenschaftlichen Geschichtstheorie. Und der Kapitelvikar der nun nach Stalin benannten Diözese Kattowitz beklagt den

Tod des „Führers der fortschrittlichen Menschheit“ in einer Depesche an Ministerpräsidenten Bierut als einen unersetzlichen Verlust.

Die Feinde sind tief in die katholische Festung, in die „Schanzen der Dreifaltigkeit“, eingedrungen. Doch es gibt eine stärkere Festung, die Herzen, und über die waltet in Polen nach wie vor die Autorität der berufenen Oberhirten. Brauchte es dafür einen Beweis, so hatte man diesen von den Hunderttausenden empfangen, die am heurigen Fronleichnamstag zur Prozession strömten, die Kardinal Wyszynski durch die Straßen Warschaus führte oder von den Millionen andächtiger Gläubigen, die in der gesamten „Volksrepublik“ an den das Sakrament begleitenden Umgängen teilnahmen. Es darf aber außerdem als Zeichen gelten, daß auch auf Seiten des kommunistisch gelenkten Staates entweder der Mut oder die Lust zum allerletzten Ansturm fehlt, wenn derlei öffentliche Bekundungen eines lebendigen Katholizismus nicht gehemmt werden.

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