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Karl Barth und die deutschen Protestanten

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Vir bringen im folgenden einen Beitrag eines Wiener evangelischen Theologen zur geistigen Lage des deutschen Protestantismus, j

Den Höhepunkt der sechsten Wipkin-ger Tagung des schweizerischen evangelischen Hilfswerks für die bekennende Kirche in Deutschland bildete der Vortrag Karl Barths über „Die evangelische Kirche in Deutschland nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiche s“. In ihm kam die am schärfsten profilierte Persönlichkeit unter den heute lebenden evangelischen Theologen deutscher Zunge zu Wort.

Man mag gegen die von Barth vertretene dialektische Theologie gewichtige Einwendungen geltend machen, daß sie das Gesamtleben der evangelischen Kirche entscheidend bestimmt hat, kann nicht bezweifelt werden. Barth ist aber in diesem Bereiche nicht nur Wegbereiter eines neuen theologischen Denkens; in dem großen geistigen Ringen, das mit der Machtergreifung des Nationalsozialismus einsetzt, ficht er in vorderster Linie als Bannerträger der sogenannten „Bekennenden Kirche“, der er auch, nachdem er 1935 die Bonner Professur niedergelegt hat und in seirte Schweizer Heimat zurückgekehrt ist, in seinen theologischen und kirchenpolitischen Veröffentlichungen unablässig scharfgeschliffene Waffen zur erfolgreichen Weiterführung des Kampfes darreicht.

. Wie sieht Barth die heutige Lage der evangelischen Kirche in Deutschland? Das Bild, das er entwirft, ist alles andere als hoffnungslos; aber es hebt sich ab von dem dunklen Hintergrund einer Katastrophe, wie sie Vollständiger nicht gedacht werden kann. Der Nationalsozialismus ist zusammengebrochen; er hat den letzten Rest an Glaubwürdigkeit im deutschen Volke verloren. Allein noch ist es ungewiß, ob diese Abkehr von einer Doktrin, der man verfallen war, nur einer augenblicklichen Enttäuschung über das Scheitern hochgespannter Pläne entstammt oder eine wirkliche innere Umkehr und damit den ersten zaghaften, aber zugleich verheißungsvollen Schritt auf dem Wege zur Wiedergeburt der Nation bedeutet. „Hitler ist tot... Aber was hülfe das der Welt und rJen Deutschen selbst, wenn diese etwa nicht begreifen sollten, daß mit Hitler auch Friedrich und Bismarck, auch Fichte und Treitschke tot sind, wenn sie etwa unter allen Zeichen des Verdrusses und des ehrlichsten Entsetzens über Hitler doch nur auf einen neuen Staat der Herrschaft naef innen, der Drohung nach außen hoffen und zielen, wenn sie statt auf 1848 aufs neue auf ein 1866 und 1870 zurückkommen wollen sollten?“ Denn nach Barths Auffassung war und ist der eigentlich gefährliche deutsche Feind der Geist, diej Gesinnung und Haltung derer, die im Deutschen Reiche als „Deutschnationale“ nach dem letzten Krieg unter dem Pathos einer deutschen Befreiungsbewegung allen Imperialismus, Kapitalismus und Militarismus der vorangegangenen Zeit zo vollen

Ehren gebracht und das deutsche Volk dem Mann ausgeliefert hätten, der es dann in den Abgrund führte.

Die Gefahr einer Wiederholung abzuwehren, muß nach Barth ernstes Anliegen einer dem Evangelium verpflichteten Kirche sein. Werde sie der ihr gestellten Aufgabe gerecht, dann helfe sie jene „furchtbare Möglichkeit“ bannen, „daß das deutsche Volk von der Welt fallen gelassen und cUnn auch sich selbst fallen lassen könnte und daran innerlich und äußerlich zugrunde gehen müßte“. Daß sie sich dieser Forderung gewachsen zeigen wird, kann um so zuversichtlicher erwartet werden, als eben 'diese bekennende evangelische Kirche in der Zeit des Ringens mit dem Nationalsozialismus sich bewährt hat. Denn wenn auch der von ihr „gewählte Kampfplatz zugegebenermaßen zu schmal war, so darf man doch nicht übersehen, daß sie daselbst ernstlich gestritten und gelitten und daß sie ihn bis zum bitteren Ende behauptet hat“.

Die aus diesem Kampf erwachsene innere Konsolidierung des deutschen Protestantismus hat überdies inzwischen auch zu einem verfassungsrechtlichen Neubau der evangelischen Kirche geführt. Jene Elemente, die sich als destruktiv oder aus sonstigen Gründen als untragbare Belastung erwiesen hatten, wurden ausgeschieden, alle maßgebenden Stellungen mit im Streit um die christliche Wahrheit erprobten Persönlichkeiten besetzt und so weithin die Voraussetzungen für eine ihrem Auftrag gemäße Ausrichtung der kirchliehen Arbeit in Gegenwart und Zukunft geschaffen.

Indessen dies /alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die evangelische Kirche in Deutsdiland heute vor eine Reihe bislang nicht befriedigend gelöster Entscheidungsfragen gestellt sieht, die eine Antwort heischen. Es handelt sich hiebei vornehmlich um das rechte Verhältnis der Kirche zu Staat und Gesellschaft. Das Luthertum habe in verhängnisvoller Weise darauf verzichtet, das öffentliche Leben vom Evangelium her zu gestalten; und indem es so — legt Barth dar — den Bereich des Politischen dam freien Spiel der in ihm wirkenden Kräfte preisgab, habe es mitgewirkt an einer Entwicklung, die die Idee eines im Machtgedanken verwurzelten Staates gebar und zur furditbaren Wirklichkeit werden ließ. An die Stelle dieses Molochs ist heute die politische Ordnung der Demokratie getreten. Sie nicht allein aus schuldiger Loyalität oder gar nur aus Opportunitäts-gründen gutzuheißen, sondern auch inner-lidi zu bejahen, sollte- sich die evangelische Kirche um so freudiger getrieben fühlen, als der von der biblischen Botschaft her gesehene „rechte Staat jedenfalls auf der Linie zu suchen ist, die irgendeinmal zur freien Verantwortlichkeit jedes einzelnen Bürgers und also des ganzen Volkes und also zur Demokratie führen muß“.

Auf dem Wege der von Barth hier geforderten Neubesinnung ist die deutsche evangelische Kirche dann zum Ziele gelangt, wenn sie sich auch der sozialen Demokratie, das hejßt, konkret gesprochen, jenen Anliegen, die in den programmatischen Forderungen der Linksparteien ihren Ausdruck gefunden haben, innerlich erschlossen hat. Heute ist der russische Kommunismus bis an die Mitte Europas vorgedrungen. „Das bedeutet nicht notwendig das nahe Ende dessen, was wir bis jetzt als das „christliche Abendland“ gekannt haben. Wohl aber, daß dieses „christliche Abendland“ nun einer Prüfung auf Herz und Nieren ausgesetzt werden könnte.“ Wird die evangelische Kirche den Prozeß der.durchgängigen Proletarisierung, wie er als Folgeerscheinung des Verlorenen Krieges zumal im Osten Deutschlands sich zu vollziehen begonnen hat, nur widerstrebend als ein eben unabwendbares Geschick hinnehmen, oder wird sie bereit sein, bewußt und freudig auf die überkommenen gesell-sdiaftlichen Sicherungen ihrer äußeren Existenz zu verzichten und so erst die Fähigkeit gewinnen, gerade unter den neuen Verhältnissen ihrer Aufgabe gerecht zu werden? Diese aber kann nur darin bestehen, „nicht die verfallenen Interessen einer sozialen Heuchelei, nicht die wirtschaftlichen Machtverhältnisse von gestern,sondern um Gottes willen heute wie gestern ganz schlicht den Merschen zu schützen“.

Barth verhehlt sich freilich nicht, daß seine politischen Anschauungen durchaus nicht Gemeingut der deutschen evangelischen Christenheit sind. Daß in ihren Reihen vielfach die Neigung besteht, sich mit dem ehemaligen katholischen Zentrum den beiden Linksparteien gegenüber au einem „christlich-demokratischen“ Block zusammenzuschließen, ruft ernste Sorge in ihm wach. Vor allem aber erhebt er seine Stimme gegen jene .deutschnationalen Elemente, die, seiner Überzeugung nach, ungeachtet ihrer bekenntnistreuen Haltung in den Jahren der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sich ständig als ein Hemmnis für eine kompromißlose Führung des Kampfes erwiesen haben. Nicht nur die evangelischen Christen in Deutschland, auch die Ökumene glaubt er vor ihnen warnen zu müssen: „Wer heute ausgerechnet diese „Kräfte“ des deutschen Protestantismus hochschätzt, und unterstützt. ., der fördert, was die Zukunft betrifft, die Restauration, um nicht zu sagen die Reaktion in der deutschen Kirche ... und last not least den deutschen Nationalismus, der, wenn irgendwo in der Kirche, dann eben in diesen „Kräften“ seinen gefährlichen Rückhalt haben wird.“

Wir glauben die schwerwiegenden Bedenken, die sich gegen diese Ausführungen Barths erheben, nicht verschweigen zu dürfen. Barth tut Unrecht daran, den von ihm so erbittert befehdeten sogenannten Deutschnationalen im Räume der Kirche das Kainszeichen eines brudermörderischen Nationalismus aufzuprägen. In Wahrheit handelt es sich bei ihnen zumeist tun Menschen, die, im konservativen Ideengut ▼erankert, nach dem Ende des ersten “Weltkrieges sich in den Reihen der Deutschnationalen Volkspartei des Reiches sammelten, dann aber, als diese einen Kurs zu steuern begann, der ins Verderben führen mußte, politisch hier wurzellos geworden zumeist auch äußerlich sichtbar die Brücken zu ihr abbrachen. Sie gleichsam in Acht und Bann zu tun, hieße nicht zuletzt auch, ihnen das Heimatrecht in der Demokratie versagen, das ihnen von ihrem Gesamtdenken her offen steht, und sich damit auf inen folgenschweren Irrweg zu begeben.

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