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Katholische Blutzeugen

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„Die europäische Fackel einer alles zündenden Begeisterung brennt über allen unterdrückten Völkern, und wir, aus deren Mitte der Mann, der Europa ins Unglück gestürzt hat, hervorgegangen ist, wir wollen nicht abseits stehen. Wir wollen mitkämpfen in der europäischen Revolution!“

Diese Sätze stehen auf einem 1942 zirkulierenden Flugblatt der „Österreichischen Freiheitsbewegung“ an die österreichischen Angehörigen der deutschen Truppen in Norwegen. Sie dürften aus der Feder des jungen Sankt-Poltner Sanitätssoldaten Friedrich Leinböck-Winter stammen, eines Altmitgliedes der Marianischen Studentenkongregation, Gründer einer wenig später verratenen österreichisch-norwegischen Widerstandsgruppe. Wir wissen von ihm derzeit nicht viel mehr, als daß er sich vor dem Feldgericht trotz vorhergehenden „verschärften Vernehmungen“ in jeder Hinsicht als aufrechter Österreicher und brennender Christ verantwortete und völlig gefaßt in die Ewigkeit ging. Der Entschluß zum Widerstand gegen die „Schmach dieser Welt“, wie er sich laut Gerichtsakt treffsicher über den Nazismus ausdrückte, war diesem jungen, reinen Menschen erwachsen sus dem weiterwirkenden Kongregationserlebnis seiner Jugendtage. Und er wurde gemeinsam gefaßt mit dieser kleinen und so starken Gemeinschaft. Die Gemeinschaft aber weist hin auf ihren Gründer und Führer: den Karmeliterpater August Wörndl, P. Paulus, wie er mit seinem Ordensnamen hieß, einen jener Märtyrerpriester, deren man seit Österreichs Befreiung in diesem Lande nicht gedacht hat, und denen man es auch unter den Gläubigen nicht dankt, daß sie für den Glauben ihr Leben gelassen haben, für einen Glauben, in dem die Freiheit des Vaterlandes weit vorne stand. Friedrich Leinböck-Winter weist mit seinem Leben und seinem tapferen Sterben hin auf P. Paulus als seinen...geistigen Vater,, auf das priesterliche Vorbild seiner St.-Pöltner Jugendtage. Wie sinnvoll, daß wir über P. Paulus gerade aus jenen Briefen Friedrich Leinböck-Winters unterrichtet werden, die dem Todesurteil über P. Paulus als „Beweisstücke“ beigegeben sind!

August Wörndl wurde am 20. August 1894 in Itzling bei Salz-burg-Gnigl geboren. Als Sechzehnjähriger wurde er Novize des Unbeschuhten Karmeliterordens, absolvierte die Reifeprüfung an einer Hauslehranstalt und studierte dann Theologie. 1919 empfing er die Priesterweihe und wurde nach längerer Tätigkeit in den Ordenshäusern am 1. April 1930 Verweser der mit dem St.-Pöltner Konvent neugegründeten Pfarre St. Josef. Nach einigen Jahren führte er dort als Feldmeister den Katholischen Pfadfinderbund St. Georg.

„Schon in der Dollfuß-Zeit betätigte er sich reichsfeindlich (!)“, wird die „Begründung“ des Todesurteils vom 18. April 1944 feststellen. Und sie wird, um den „gerichtlich“ verfügten Mord auch vor katholischen Gegnern des Regimes als gerechtfertigt zu bemänteln, in längst zur Routine gewordener Niedertracht hinzufügen: .....und hat mit einigen

Dutzend Pfadfinderjungen, die ihm anvertraut waren, in-.seiner <Zlle- gleichgeschlechtlichen Verkehr getrieben.“

Der Kundige weiß, daß Urteile gegen priesterliche Gegner des Naziregimes — es sei an dieser Stelle an die hier („Die Furche“, 50/1961) veröffentlichten Notizen über P. Josef Pontil-ler OSB erinnert — regelmäßig mit der Beschuldigung des homosexuellen Verkehrs „beweiskräftiger gestaltet wurden. Die Bluturteile selbst enthalten nicht den Schatten eines Beweises und qualifizieren schon damit ausreichend Niveau und Moral der NS-Justiz und ihrer „Richter“. Aber auch Nachforschungen in den Justiz- und Polizeinkten bestätigen, daß es für den Anwurf der Homosexualität in den gegenständlichen Fällen nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt. Dem psychologisch geschulten Zeitgenossen wird es freilich kein Geheimnis bleiben, warum eine mörderische Justiz im Dienste einer von der Homosexualität naturnotwendig geplagten nationalistischen Bandenmoral ausgerechnet zu dieser Kollektivverleumdung griff. Welch unbewußten Ausdruck richterlicher Schwäche stellt es zugleich dar, daß man sich bemühte, politische „Urteile“ allgemeinmenschlich zu „fundamentieren“! Aber wir Heutigen sollten uns jeden Tag folgenden nüchternen Sachverhalt vorsagen: da starben Menschen, weil sie im Leben der Kirche mehr sahen als gewohnheitliches Brauchtum.- und- in Österreich mehr als einen „Staat wider Willen“ — und wir haben bis heute viel zu wenig getan, um uns ihrer würdig zu erweisen. Den Mord freilich können wir nicht ungeschehen machen. Aber wir haben bis heute einen niederträchtigen, letztlich den ganzen Priesterstand verleumdenden Rufmord unwidersprochen lassen. Indem wir aber den Sorgen des Tages mehr verhaftet sind als dem Bedürfnis, den gestrigen Anwurf menschlichen Schmutzes von unseren Märtyrern zu nehmen, von unseren wirklichen Märtyrern und Zeugen, bekennen wir unser Desinteresse und damit unsere Mitschuld: unser Schweigen gibt den Mördern recht, unsere Untätigkeit ihren Untaten und jenem Geraune in verstockten Schichten unserer Bevölkerung, auch der christlichen, es seien „keine Unschuldigen“ gewesen, die damals durch das Fallbeil starben . ..

P. August Wörndl OCarm. war Gegner der nazistischen Barbarei, wie so mancher unter uns. Aber er war mehr als wir: er blieb als Gegner nicht passiv — uns damit auch für das Heute ein Beispiel gebend! Sein Geist strahlt wider aus den Worten seines jungen Freundes aus den Kongregationstagen, der nun in der Ewigkeit sein Bruder geworden ist, weil er ihm in Lfeben und Sterben brüderlich verbunden war.

„Ich betrachte es gerade als Katholik als meine Aufgabe, immer vorzuleben. Sie kennen wohl den Ausspruch: ,Wer führen will, muß vorangehen können.' Und gerade den Katholiken fällt meiner Meinung nach in der Jetztzeit eine verstärkte Führungsaufgabe zu. Wenn auch unsere Religion den Frieden und das Verzeihen an die Spitze stellt, so sind wir doch nicht nur eine leidende, sondern auch eine streitbare Kirche und haben auch als solche Pflichten zu erfüllen. Die Liebe zu unserem Lande und Volke hat im wesentlichen ein Teil unserer Religion zu sein, und die jetzige Generation scheint dazu auserlesen zu sein, dieser Forderung den nötigen Nachdruck zu geben. Aber ich habe mir eine Aufgabe geschaffen, die mein Leben wieder lebenswert macht und ihm darüber hinaus die Bedeutung eines Gebetes, eines übermenschlichen Opferganges gibt... )a, meine Mutter hatte mir bereits geschrieben, daß Fritz Kleiner gefallen ist, und ich %atte sofort an den großen Verlust gedacht, den Sie und wir alle dadurch haben . .. Mir widerstrebt es, jeden Streich geduldig hinzunehmen! Ich bin Katholik, das heißt: ich bin Kämpfer! Freudig trete ich an die Stelle Kleiners, denn ich weiß, daß ich ihn rächen werde, ihn und viele andere!... Es ist mir versagt, auf der Kanzel zu stehen, aber ich möchte nur einmal dort oben stehen und allen zurufen, was mein Herz zersprengen will: Seid tapfer und treu, seid ausdauernd und wahrhaft, seid Kämpfer und Rächer unerhörter Leiden, seid Befreier und Retter! Mit einem Wort: Seid Katholiken! Wahrer Gottesdienst liegt nicht im sinnlosen Lippengebet! Er liegt im Gebet des Herzens und der Faust! Und so ist denn die Stunde gekommen, wo wir . . . antreten müssen zum Kampfe um Freiheit und Recht! Kämpft um die Heimat — Ihr kämpft um Gott! Lieber Freund! Sie sprechen von meiner Sendung als Katholik! Wie recht haben Sie damit! Ich habe meine Sendung erkannt, und ich führe sie durch, unter allen Umständen! Heute bin ich stolz, Sie und Ihre ganze Gemeinschaft bitten zu können: Nehmt uns auf und helft uns im Kampfe um die Heimat!“

Diese Worte Friedrich Leinböck-Winters, dem Todesurteil gegen P. Paulus als „Beweisstück“ beigefügt, sind das getreue Spiegelbild, die Antwort auf den Anruf des Märtyrerpriesters in der Seele des jugendlichen Mitkämpfers und das klarste Beweisstück gegen dde Verleumdung der „Richter“.

Nach fast zweijähriger Haft im Schatten des Fallbeils wurde P. Paulus „im Namen des deutschen Volkes“ vom Volksgerichtshof, erster Senat, „in der Hauptverhandlung vom 18. April 1944 (Aktenzeichen 1 L 79/44 — 8 J 168/43), an welcher teilgenommen haben als Richter Präsident des VH Dr. Freisler, Vorsitzender, Oberlandesgerichtsrat Doktor Iiiner, Min.-Dirigerrt Dr. Linden, Ortsgrup-penleiter Winter, Min.-Rat im OKW Dr. Herzlieb, als Vertreter des Oberreichsanwalts Landesgerichtsrat Doktor Emmerich, für Recht erkannt:

„August Wörndl, von jeher fanatischer Feind unserer nationalsozialistischen Lebensauffassung, hat unter Berufung auf seine Priesterautorität einen deutschen Soldaten fortgesetzt habsburgisch-separatistisch verseucht und ihn darin bestärkt, auch andere hochverräterisch zu zersetzen. Als Handlanger unserer Kriegsfemde hat er dadurch unsere Kraft zu mannhafter Wehr (!) angegriffen. Für immer ehrlos, wird er mit dem Tode bestraft.“

Wir, die wir dies lesen, wurden weder für ehrlos erklärt noch getötet. Aber können wir uns noch ins Auge sehen, solange wir nichts getan haben, die vergangenen Dinge vor Gott und der Welt in das richtige Licht zu rücken? Alles Licht geht von Gott aus. Wie soll es uns erreichen, wenn wir uns nicht zu den Seinen bekennen, uns in Gebet und Leben nicht mit jenen vereinen, die uns im Zeichen des bezeugten Glaubens vorangegangen sind?

Christ in der Welt sein: das heißt heute, von unserem Vaterlande fordern, daß es seine Justizakten aus den Jahren der Schmach konfrontiert mit der Wahrheit und ungekürzt der Öffentlichkeit Österreichs, der Welt und der Kirche übergibt. Es geht nicht an, daß uns der Sumpf der Vergangenheit lautlos immer tiefer hinabzieht, weil wir — „aus deren Mitte der Mann, der Europa ins Unglück gestürzt hat, hervorgegangen ist!“ — diesen Sumpf unter uns, in uns, über uns kultivieren, indem wir uns aus falschen und gefährlichen Rücksichten nicht entschließen, berichtend, bekennend, bezeugend und anklagend an die Seite der Opfer dieses Sumpfes zu treten. Möge die Geschichte des österreichischen Widerstandes gegen Hitler endlich geschrieben werden in aller Eindeutigkeit des Bekenntnisses zu Österreich und zu den je persönlichen Motiven des Bekennerrums von damals! Und möge dabei nicht vergessen werden, daß Geschichtsschreibung diese Bezeichnung nur verdient, wenn sie, sei's gelegen oder ungelegen, objektiv verzeichnet, was getan, was versäumt, wie verurteilt und wie vollstreckt wurdel

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